15. Eine Feier

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Heute ist ein sehr seltsamer Tag. Zahlreiche Gesichter, die ich noch nie gesehen habe, sind heute im Restaurant. Natürlich ist so etwas normal, aber dieses Mal fühlt sich alles anders an als sonst. Die meisten Kunden, die hier sind, kenne ich. Heute sind aber ganz andere Wesen vorbeigekommen. Wesen, die ich sozusagen als Schatten oder Gespenster bezeichnen würde. Viele gehen nach dreißig Minuten. Sie essen schnell etwas und mischen sich dann in das Straßengewühl draußen.

Im Moment ist wirklich viel los. Jede Minute kommen neue Kunden herein. Die Straßen sind überfüllt. Die Tische scheinen nie leer zu sein und viele hungrige Wesen warten auf ihre Bestellungen. Ich höre den Koch im Hintergrund schreien, dass sie sich beeilen müssen. Die Bestellungen hören nicht auf. Die Kunden unterhalten sich lautstark, es wird viel gelacht und von draußen ertönt laute Musik. Eine fröhliche Atmosphäre herrscht hier.

,,Heute wird gefeiert", sagt Leonie, als sie zu mir kommt und mir zuzwinkert. Ich schaue sie erstaunt an. Ich schaue sie verwirrt an.

,,Woher weißt du das?", frage ich sie und greife nach der fertigen Bestellung, die ich dann dem Kunden an der Theke vorlege. Ich nehme die Bezahlung entgegen und lasse den Kunden wieder allein. Sie läuft schnell zu einem anderen Kunden, bringt die Bestellung und kehrt dann zu mir zurück.

,,Das hat mir ein Kunde erzählt. Ich weiß nicht genau, was gefeiert wird, aber heute scheint es ein jährliches Fest zu geben. Ein sehr großes Fest, so wie ich es verstehe", antwortet sie munter und begrüßt dann die neuen Kunden. Ich folge ihr und räume die leeren Tische ab, damit die neuen Kunden Platz nehmen können.

Einige Stunden später konnten Leonie, Stefan und ich die Kunden so gut es ging zufrieden stellen. Jeder hat seine Bestellung bekommen. Als die Uhr auf 0:00 Uhr zeigt, ist unsere Schicht zu Ende. Stefan verabschiedet sich von mir und erzählt mir, wie anstrengend der heutige Tag gewesen ist. Ich nicke. So etwas habe ich noch nie erlebt. Auch Leonie verabschiedet sich von mir, während sie mit Stefan auf ihr Zimmer geht. Ich bleibe noch eine Weile hier.

Ich gehe zur verschlossenen Tür des Restaurants und beobachte die Gestalten, die dort hin und her laufen. Über allen Gebäuden hängen bunte Lampen. Laute Musik ist zu hören und rege Unterhaltungen kann ich erkennen. Einige Wesen tanzen und singen, und ich muss sogar ein wenig lächeln, als ich das sehe. Sie wirken wie Menschen. Anscheinend sind diese Wesen nicht wirklich anders als wir.

,,Heute feiern wir die Wiedervereinigung dieser Stadt nach Jahren des Krieges", höre ich eine Stimme hinter mir sagen. Ich drehe mich schnell um und blicke in das Gesicht meines Chefs. Er schaut mich neugierig an und kommt näher. Er steht jetzt neben mir und schaut genau wie ich nach draußen.

,,Krieg?" frage ich zögernd und sehe ihn verwirrt an. Er betrachtet mich nicht. Ich schaue wieder nach draußen. Es herrscht Schweigen zwischen uns.

,,Wir haben 150 Jahre lang Krieg geführt, bevor wir vor 90 Jahren beschlossen, damit aufzuhören. Wir gründeten eine Stadt, in der wir in Frieden leben und Handel treiben konnten. Es hat lange gedauert, aber es hat funktioniert.", antwortet er nach einer langen Zeit. Seine Stimme klingt immer noch ein wenig härter als sonst. Es scheint, als ob er keine Lust hat, zu antworten. Oder irre ich mich da?

,,Warum habt ihr Krieg geführt? Aus welchen Gründen?", frage ich nun etwas mutiger und schaue die beiden älteren Wesen an, die zu tanzen beginnen.

,,Macht."

,,Also die gleichen Gründe, die wir Menschen haben", sage ich und beiße mir auf die Lippe, als mir dieser Satz herausrutscht.

Plötzlich höre ich ihn lachen. Ich habe ihn nie lachen gehört. Ich betrachte ihn kurz und spüre, wie mein Herz schneller schlägt. Er sieht entspannt aus, man sieht seine Härte nicht mehr. Er wirkt so anders, wenn er lacht. Sein Anblick fasziniert mich.

,,Das ist wohl wahr. Wir scheinen uns in mancher Hinsicht ähnlich zu sein", antwortet er und sieht mir in die Augen. Mein Herz rast. Und mein Lächeln gefriert. Er hat so schöne Augen.

Es wird wieder ruhig. Die Stille zwischen uns ist angenehm. Das Restaurant ist unser Platz. Es trennt uns von der Menge draußen.

,,Warum bist du hier?", frage ich leise, während ich meinen Blick abwende und auf meine Hände schaue.

,,Ich verstehe nicht", erwidert er.

Ich schaue ihn wieder an und sage : ,,Warum feierst du nicht mit den anderen? Warum bist du hier?"

Seine Augen weiten sich kurz, aber er fasst sich schnell wieder. Er wirkt wieder distanziert.

,,Ich feiere auf meine eigene Art und Weise. Das Restaurant ist...", er bricht seinen Satz ab. ,,Ich muss nicht dort sein und unter vielen meiner Kameraden sein, um diesen Tag zu feiern. Manchmal ist Stille ein Segen."

Irgendwie kann ich verstehen, dass er nicht feiern will. Ist er der ruhige Typ? Das kann ich mir irgendwie ganz gut vorstellen. Er wirkt wie ein gewaltiges Gefahrenbündel, aber sein Auftreten ist so zurückhaltend. Er hat so viel Kraft, aber er setzt sie nicht ein. Seit ich hier bin, hat er seine Macht nie benutzt, um andere zu verletzen, sondern nur um uns zu beschützen. Er hat sogar seine Kunden vor dem Tod bewahrt und sie aus dem Restaurant geschickt.

Wer ist er wirklich? Was verbirgt sich hinter seiner Fassade? Ich verstehe einfach nicht, wie er hier sein kann? Warum feiert er diesen Tag nicht mit einer besonderen Person? Warum steht er ausgerechnet hier neben mir und schaut sich mit mir zusammen die glückliche Leuten an?

Ich sage nichts zu seiner Erwiderung. Ich bin froh, dass er mir geantwortet und ein Gespräch mit mir geführt hat.

Plötzlich regnet es. Einzelne Regentropfen treffen auf die Glastür und wandern nach unten. Die Menge lässt sich vom Regen nicht stören. Viele tanzen leidenschaftlich weiter und singen noch lauter in die Nacht hinein. Ich habe noch nie jemanden mit so viel Freude in seinem Leben gesehen. Mein Herz klopft heftiger in meiner Brust. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Ich war noch nie so glücklich wie in diesem Moment.

Ich habe noch nie ein eigenes Zimmer gehabt. Ich habe noch nie einen Job gehabt, den ich mochte. Ich habe nie jemanden gehabt, der sich um mich gekümmert und mich in die richtige Richtung gedrängt hat. Nach einer langen Zeit höre ich niemanden mehr streiten, nicht wegen mir, wie es meine Eltern immer getan haben. Die ganze Vergangenheit ist vergessen. Ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal angekommen bin. Zufrieden mit allem. Und ich habe endlich einen Sinn in meinem Leben. Ich fühle mich beschützt.

Ich bin glücklich, sage ich mir, als ich meinen Chef wieder ansehe. Aber für wie lange?


Monster -Die schöne IllusionWhere stories live. Discover now