22. Kontrolle ist gut?

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,,Soso, was haben wir denn hier?", kommentiert er monoton und bleibt neben mir stehen. Mein Blick ist nach vorne gerichtet. Er erlaubt mir nicht, ihn anzuschauen. Warum tut er das immer? Warum will er auch die Kontrolle über meinen Körper? Es ist ja nicht so, dass ich ihm etwas antun könnte. Dafür ist er viel zu stark und mächtig.

,,Ihr zwei habt hier wirklich etwas durcheinander gebracht. Ihr wisst schon, dass so etwas hier nicht erlaubt ist, oder?", fragt er und geht einen Schritt näher. Ich kann ihn nun von der Seite sehen. Er trägt einen Anzug und hat die Hände in den Hosentaschen. Er scheint unbeeindruckt von der ganzen Situation zu sein. Ich verstehe diesen Mann nicht. In einem Moment ist er sehr warmherzig und besorgt und im nächsten Moment ist er so kalt und grausam.

Keiner von ihnen sagt ein einziges Wort. Im Hintergrund bemerke ich, dass viele Kunden gegangen sind. Die Frage ist, ob sie es freiwillig getan haben oder ob es das Werk meines Chefs gewesen ist. Er hat auf jeden Fall die Macht, es zu tun.

Als der letzte Kunde das Restaurant verlassen hat, wird mir langsam klar, in was für einer Situation ich mich befinde. Alles lief gut, bis die beiden anfingen zu streiten. Und jetzt stehe ich hier... Und was ist mit Stefan? Mein Herz beginnt wieder zu rasen.

Plötzlich dreht Noe sich zu mir um. Er würdigt den anderen kein Blick mehr. Er schaut mich wissen an. Er hat mich gewarnt, und ich habe ihm nicht geglaubt.

 ,,Ich möchte, dass du gehst."

Mein Herz schlägt schneller. Nein, nein. Ich will sehen, was er tut. Ich will wissen, ob die beide sterben werden oder nicht. Stefan ist verdammt nochmal tot!  Alles wegen diesen Bestien. Sie haben ihn umgebracht. Sein Herz... Ich kneife meine Augen zusammen.

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

Kontrolle. Mein Boss weiß wie man jemanden kontrollieren kann. Mein Körper hört auf ihn. Mein Körper tut, was er will. Noe kann mich steuern wie er will. Immerhin bin ich ein einfaches Opfer für ihn.

Ohne die Situation zu verstehen, finde ich mich nach ein paar Sekunden in meinem Zimmer wieder. Als ich in meinem Zimmer ankomme, fallen meine Schultern unten. Mein Körper fühlt sich nicht mehr unter Strom an. Die Kontrolle hat nachgelassen. Noe ist verschwunden. Ich fange an, laut zu lachen.

Warum schickt er mich einfach weg? Warum tut er das? Warum kann ich nicht sehen, was er mit Stefans Mördern macht? Ich bin kein verdammtes Kind, das verschont und vor allem beschützt werden muss.

Zitternd halte ich meine Hand an die Türklinke. Ich schaffe das. Ich kann das. Ich habe keine Angst. Ich schlucke den Kloß in mein Hals herunter. Innerlich kämpfe ich einen schmerzhaften Kampf und dann tue ich es. Ich drücke die Klinke herunter und mache die ersten Schritte aus meinem Zimmer.

Kann ich das wirklich? Kann ich wieder hinuntergehen und das aushalten? Traue ich mir das wirklich zu? Ich nicke. Ich muss es versuchen. Ein weiterer Schritt.

Langsam gehe ich den Flur entlang und höre ein Schluchzen, das aus Leonies Zimmer kommt. Abrupt bleibe ich stehen. Es geht mir bis ins Knochenmark. Leonie weint. Ich atme laut aus und schüttele den Kopf. Ich schaffe das. Ich muss es sehen! Ich muss nach unten.

Mit jedem Schritt wird die Luft schwerer und angespannter. Ich kämpfe mit all meiner Kraft und es wird immer schwerer und schwerer. Es fühlt sich an, als würde mich jemand nach hinten ziehen, damit ich kein weiteren Schritt mache. Meine Gedanken kreisen wild in meinem Kopf, aber als ich dann den Rücken meines Chefs sehe, sind meine Gedanken wie weggeblasen. Völlige Stille.

Das Retsaurant ist leer und die Luft ist raus. Kein einziger Gast ist mehr im Raum. Die Tische liegen verstreut auf dem Boden. Zerbrochenes Glas und Teller; Geschirr und Essen zieren nun den Boden. Ein wahres Chaos zeigt meine Umgebung und er steht inmitten des Chaos. Er wirkt so deplatziert in dieser Umgebung, aber als er sich umdreht und mich erblickt, wird mir klar, dass ich mich irre. Dies ist seine Welt. Der Tod gehört zu ihm.

Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht und seine kühle Seite kommt zum Vorschein. Er hat sich stark verändert. Er wollte nicht, dass ich es sehe und ich bin trotzdem hergekommen.

Die beiden Ungeheuer liegen blutend auf dem Boden. Eine Blutlache hat sich gebildet. Zerfetzte Kleidung liegt verstreut auf dem Boden. Körperteile, die voneinander abgetrennt wurden. Ein Arm neben dem Tisch und ein Kopf neben der Eingangstür. Ich schlucke und wende meinen Blick ab. Ich sehe Noe wieder an. Er hat es für mich getan, nicht wahr? Er würde mir so etwas nicht an tun oder?

Wieder schleichen sich seltsame Gedanken in meinen Kopf. Warum musste das passieren? Warum konnte er uns nicht beschützen? Warum musste Stefan sterben? Warum war die Welt ein so grausamer Ort?

Diese Gedanken hören auf, als ich plötzlich seine Hände auf meinem Gesicht spüre. Er berührt mein Gesicht mit einer Hand und hebt mein Kinn an, so dass sich unsere Augen treffen. Keine Wärme. Nur traurige Kälte.

,,Geh in dein Zimmer. Das ist nicht mehr dein Kampf", sagt er und streicht mir leicht über die Wange. Ich lehne mich automatisch gegen seine Hand und schließe für ein paar Sekunden die Augen. Als ich die Augen wieder öffne, flüstere ich: ,,Warum musste er sterben?"

Natürlich hat er mir keine Antwort gegeben, aber ich mache ihm auch keinen Vorwurf. Jeder muss irgendwann sterben, aber jeder hofft, nicht dieser Mensch zu sein. Dieses Mal hat es Stefan erwischt. Ich greife seinen Oberteil und halte mich an ihm fest. Seine Hände liegen nicht mehr auf meinem Gesicht, sondern sind zu meinen Schultern gewandert.

Seine Hände sind schwer auf meiner Schulter. Er versucht, mich umzudrehen, aber ich schüttle nur den Kopf. Ich kann nicht weggehen. Ich will nicht in mein Zimmer fliehen. Ich brauche noch Zeit, um diese Situation zu verstehen.

Ich ziehe fester an seinem Hemd und ziehe ihn näher zu mir. Ich umarme ihn und drücke mich an seinen Körper. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Brust und weine leise.

Stille. Keine Reaktion von ihm. Das ist alles, was ich in diesem Moment brauche.

Ruhe in Frieden, Stefan.


Monster -Die schöne IllusionWhere stories live. Discover now