28. Erinnerungen

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Ein Jahre später

Jeden Tag versuche ich, einen Grund zu finden, um nicht von zu Hause wegzulaufen. Es ist jedes Mal eine Herausforderung, nicht einfach zu verschwinden und wie vom Erdboden verschluckt zu werden. Ich habe mein Bestes versucht, mich nicht von meinen negativen Gedanken beherrschen zu lassen und einfach auf das Beste zu hoffen, aber das klappt nicht immer. Ich schaffe es einfach nicht, von hier wegzukommen. Meinem eigenen Gefängnis.

Ich hasse es, meine Eltern streiten zu hören. Noch schlimmer ist es, wenn sie mich in den Streit hineinziehen und meine Meinung hören wollen. Von dem Moment an schalte ich immer ab. Ich will nichts mehr hören. Ich will nicht sprechen. Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Aber sobald ich nichts tue, wird der Streit immer größer, und dann bin ich die neue Zielscheibe. Ich werde nicht wie eine erwachsene Person behandelt, sondern wie ein erbärmliches Kind.

Die Vergangenheit wird ausgegraben und es wird geschrien, wie schlecht ich bin. Ich sei keine gute Tochter und würde nicht so sein wie die anderen. Ich könne nicht sprechen und sei zu faul. Sie vergleichen mich mit anderen Kindern und wie erfolgreich sie sind. Sie können sprechen, sie arbeiten hart und sind gute Kinder, die sich um ihre Eltern kümmern. Jedes Mal, wenn ich diese Sätze höre, habe ich einen Kloß im Hals. Ich möchte weinen, aber ich möchte mir diese Demütigung auch nicht antun. Ich verschwinde in meinem Zimmer, aber auch dort lassen sie mich nicht in Ruhe. Sie verfolgen mich ständig.

Und wenn ich es irgendwann nicht mehr aushalte und mein Kopf zu platzen droht, laufe ich weg. Vielleicht für ein paar Tage. Manchmal sogar länger. Das ist mein einziger Ausweg, um dieser ganzen Situation zu entkommen. Seit ich denken kann, ist das die beste Maßnahme, die ich für mich ergriffen habe. So fühle ich mich für einige Zeit frei.

Vielleicht ist das alles eine Strafe für mich. Vielleicht bin ich kein guter Mensch und habe das alles verdient.

Heute ist wieder einer dieser Tage. Ich laufe durch den schneebedeckten Boden durch die leeren Straßen. Die Nacht ist seltsam leise. Es ist dunkel. Um genau zu sein, ist es bereits 23:50 Uhr. Aber das ist mir egal. Ich musste einfach raus, damit ich endlich atmen kann. Meine Familie erdrückt mich einfach. Je länger ich zu Hause bin, desto schlimmer wird es.

Ich bin immer noch schockiert, dass ich immer noch bei meinen Eltern wohne, obwohl ich schon siebenundzwanzig Jahre alt bin. Ich fühle mich wie ein Versager. Ich habe immer noch keinen Job gefunden, der mir Spaß macht. Ich trage immer noch die Kleidung, die meine Mutter für angemessen hält. Ich habe keine Freunde und kann mich immer noch nicht verteidigen. Ich bin einfach ein Verlierer, der immer noch wie ein Kind wegläuft, wenn es mir zu viel wird. Ich seuftze, versuche dabei die negativen Gedanken zu verdrängen.

Ich fühle mich so einsam und als gehöre ich nicht hierher. Ich möchte glücklich sein, aber ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen. Ich drücke meine Jacke fester um meinen Körper. Es ist so furchtbar kalt.

Irgendwann laufe ich weiter und merke, dass mir dieser Weg aus irgendeinem Grund bekannt vorkommt. Ich weiß nicht genau, ob ich hier schon einmal durchgelaufen bin. Oft streife ich durch die Stadtteile, ohne auf die Straße zu achten. Die meiste Zeit bin ich in Gedanken versunken, bis ich schließlich einen klaren Kopf bekomme. Dabei vergesse ich oft meine Umgebung. In diesem Moment spüre ich, dass etwas nicht stimmt.

Werde ich verfolgt? Langsam blicke ich mich um. Ich bin komplett aufmerksam. Ich schüttele den Kopf. Es ist niemand in meiner Nähe. Trotzdem läuten meine inneren Alarmglocken. Ich laufe weiter. Mein Herz rast gegen meine Brust.

Ich streiche mit der Hand über die Wand neben mir, während ich geradeaus gehe. Ich fühle mich dabei ein bisschen wie ein Kind, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei. Ich lächle leicht.

Plötzlich spüre ich einen Schmerz in meiner Hand. Schnell ziehe ich meine Hand zurück. Vorsichtig strecke ich meine Finger aus und stelle fest, dass ich mich geschnitten habe. Blut fließt über meine Haut. Mein Kopf beginnt wieder zu schmerzen. Wie all die Tage zuvor.

Warum jetzt? Ich kneife die Augen zusammen. Langsam atme ich ein und aus und versuche, mein Herz zu beruhigen. Es klappt. Ich öffne die Augen und schaue wieder auf meine blutige Hand.

Die warme Flüssigkeit fühlt sich gut auf meiner Haut an. Mein Bauch fängt an zu kribbeln und breitet sich dann auf meinem ganzen Körper aus.

Und dann passiert es. Plötzlich. Ohne Vorwarnung. Meine Erinnerungen...

Die Nacht.

Stefan.

Leonie.

Diese Monster.

Krieg.

Tod.

Mein Boss.

Eine dicke Träne fließt über mein Gesicht. Ich lache laut auf.

"Ich kann es nicht fassen..."

Noe hat mir meine Erinnerungen weggenommen. Er hat mich einfach verlassen.



Monster -Die schöne IllusionHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin