~35~

14K 768 54
                                    

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich zu Hause, nur mit meiner Familie. Der Kameramann musste gehen und vor der Straße zum Haus warten und die Wachen liefen außerhalb des Hauses auf und ab. Barred kam auch irgendwann und musste sich vor den Wachen erst einmal ausweisen, bevor er reingelassen wurde.

"Dad? Was ist hier -?", rief Barred und brach ab, als er in das Wohnzimmer trat und mich sah.
"Deine Schwester ist da", erklärte unser Vater fröhlich, "Sie hat uns zum wohnen in den Palast eingeladen"
Barred schwieg eine Weile. "Sie wird also wirklich den Prinzen heiraten", stellte er leise nuschelnd fest.

"Ich stehe hier! Hör auf so zu tun, als wäre ich nicht anwesend!", Wut stieg in mir auf.
"Ich darf reden, wie ich will", entgegnete er nicht minder aufgebracht, "Du kannst mir das nicht verbieten, nur weil du bald eine Krone aufgesetzt bekommst"

Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu, holte mit der rechten Hand aus und traf seine Magengrube mit einem harten Schlag. Barred schnappte überrascht nach Luft und krümmte sich.
"Nur weil ich bald eine Krone aufgesetzt bekomme, heißt das nicht, dass ich mich auch wie eine Prinzessin verhalte", zischte ich mit einem Grinsen, "Auch wenn ich niemlas jemanden ohne dessen Erlaubniss verheiraten werde", das letzte sagte ich so leise, dass nur er es hören konnte, "Wir sind nicht mehr im Mittelalter"

"Kinder, hört auf!", mahnte Dad uns teils überrascht und teils genervt.

Ich wandte mich erhobenen Hauptes von meinem Bruder ab und ging in die Küche.
Für wen hält er sich?! Was habe ich ihm getan? Ich bin die einzige, die Grund hat, wütend auf ihn zu sein und nicht er auf mich!
Ich griff zu einem Glas und füllte es zur Hälfte mit Wasser, dann nahm ich einen großen Schluck. Ich lehnte mich an die Theke.
Wie kann er nur?!
Mit einer Hand umklammerte ich das Glas so fest, dass ich fürchtete es würde in meiner Hand zerbrechen.

Irgendwann, als ich mich wieder halbwegs abgeregt hatte, öffnete sich die Tür und Jem trat ein.
"Alles wieder okay?", fragte er vorsichtig und schloß die Tür hinter sich.
"Wie kann es?", entgegnete ich frustriert, "Wäre es ihm etwa lieber gewesen, ich würde nicht den Prinzen sondern diesen eckelhaften Schleimbeutel heiraten?"

Jem lehnte sich neben mir an und starrte ins Leere. "Barred ist nur besorgt um dich. Er kann dich dort nicht sehen oder dir helfen"
"Pff. Besorgt", machte ich, "Als ob er mir hier helfen könnte! Als ob ich überhaupt Hilfe bräuchte! Ich bin verdammt noch mal älter als er, und reifer als er je sein wird", während ich sprach wurde ich immer lauter.

Jem legte seinen Arm um meine Schulter. "Beruhig dich", sagte er, "Er hat Schuldgefühle, weil er dich versprochen hat, und wegen dem, was damals mit dir und Mom passiert ist"

Ich sah ihn an und erkannte, dass er bloß den Autounfall meinte, bei dem unsere Mutter starb und ich ihr dabei zu sehen musste, und dass er nicht mehr wusste.
"Er ist keine sonderlich große Hilfe", meinte ich dann bloß trocken.

"Niemand kann in allem gut sein", Jem stieß sich von der Theke ab ind trat zur Tür, "Willst du jetzt lieber schmollen oder die restlich Zeit mit deiner Familie verbringen?"

Er hatte leicht reden, er wusste ja nicht, mit wem mich Barred da verlobt hatte. Wobei, Barred wusste es wahrscheinlich selbst nicht...
Ich seufzte resigniert auf.
Woher nimmt ein vierzehnjäriger Junge wie Jem nur so eine Weisheit?, fragte ich mich, als ich meinen kleinen Bruder ins Wohnzimmer folgte.

Ich sprach zwar den ganzen Tag nicht mehr mit Barred, aber irgendetwas in mir sagte, dass es einfach Zeit bräuchte, bis ich ihm verzeihen können würde. Wie immer würde Jem also recht behalten.

Um ehrlich zu sein hatte ich Angst davor aus dem Haus zu gehen und ich freute mich schon darauf in den Flieger zu steigen und meine alte Heimat, die Vergangenheit zurück zu lassen. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so einen zutreffenden Gedanken gehabt.

Es war schon dunkel draußen, als eine Wache von draußen herein rief, dass es Zeit war zu gehen. Ich stopfte noch ein paar Reithosen und Sportt-shirts in eine kleine Tasche und verabschiedete mich dann von Dad, Jem, Kristopher und Dougless. Barred sah ich einfach nur eine Zeit lang schweigend an, bevor ich zu meiner Tasche griff und aus der Haustür trat. Sofort bildeten die Wachen einen Schutzwall aus Körpern um mich, wofür ich ausnahmsweise tatsächlich dankbar war.
Noch mehr Angst, als vor zu nahe kommenden Wachen hatte ich vor einigen der Stadtbewohner.

Auch wenn mir die ganze Zeit, in der wir durch die Straßen gingen, der Angstschweiß lief und ich mich ständig in alle Richtungen umschaute, da ich das Gefühl hatte, überall meine alten Bekannten zu sehen, erreichten wir ohne irgendwelche weiteren Vorkomnisse den Flughafen.

Im Geleit einiger Wachen gingen wir durch das Flughafengebäude und dann weiter zu der kleinen privaten Landebahn, auf der das Flugzeug des Könighauses wartete. Ich stieg gefolgt von den Wachen ein und ließ mich auf den erstbesten Platz am Fenster fallen. Die Wachen ließen mich alleine und so hatte ich heute endlich etwas Zeit für mich.

Mit einem Ruckeln setzte sich die Maschine in Bewegung und rollte über die asphaltierte Strecke. Immer schneller fuhr sie, bis sie irgendwann abhob und meine Heimatstadt hinter sich ließ.
Ich starrte der Pandebahn nach bis sie hinter den Wolken verschwand. Eine seltsame Erleichterung überkam mich, als auch die Stadt aus der Höhe nicht mehr zu sehen war. Es war vorbei und ich brauchte keine Angst mehr vor den Männern zu haben, die mein Leben für eine so lange Zeit zerrissen hatten - bis Mirolan sie wieder heil gemachts hatte.
Lächelnd starrte ich auf den Sitz gegenüber von mir. Mirolan. Bald würde ich wieder bei ihm sein. Und später würde auch meine Familie bei uns sein.

Ich konnte einfach nicht aufhören zu grinsen.
Womit habe ich es verdient so glücklich zu sein. Womit habe ich Mirolan verdient?, fragte ich mich die ganze Zeit. Eigentlich wollte ich die Antwort gar nicht wissen. Es war doch schon alles so nahezu perfekt.

Ich hatte immer noch ein Lächeln auf den Lippen, als das Flugzeug plötzlich einen starken Schwenker nach rechts machte und ich mit voller Wucht gegen die linke Innenwand der Maschine gepresst wurde.
Mein Kopf schlug gegen das Fenster. Ich stöhnte auf und betastete meine Schläfe. Sie war feucht und klebrig. Ich nahm meine Hand wieder herunter und wischte das Blut kurzerhand an meinem Kleid ab.
Ich wollte mich gerade wieder setzten, als das Flugzeug nach vorne kippte. Ich stolperte ein paar Schritte und versuchte irgendwie meine Balance zu behalten. Erfolglos. Ich stürtzte auf den Boden.
Aus dem Fenster konnte ich den Bach unter uns immer größer und die Felder immer näher kommen sehen.

Für einen winzigen Moment fühlte fallen sich an wie fliegen. Ich hatte weder zum Sitz noch zum Boden des Flugzeugs Kontakt. Alles schien stumm zu sein und sich in Zeitlupe zu bewegen. Ich wollte etwas tun. Ich wollte den Sturz aufhalten. Doch ich konnte nicht. Dieses Gefühl der Hilfslosigkeit werde ich nie wieder vergessen.

Von einer Sekunde auf die andere hatte die Realität mich wieder. Ich hörte das Stottern des Motors, die panischen Stimmen der Wachen aus dem Cockpitt, das viel zu laute Pochen meines Herzens.

Dann schulg das Flugzeug auf die Erde auf.

Augenblicklich spürte ich einen heftigen Schmerz, haupstächlich von meinem linken Bein ausgehend. Es steckte zwischen Flugzeugtrümmern fest. Verzweifelt versuchte ich mich zu befreien, strampelte mit beiden Beinen, zerrte an den Wrackteilen. Nichts.
Mein Bein ließ sich nicht bewegen. Ich sah mich um ich war von einem Haufen Flugzeugteilen umzingelt, von allen Seiten schienen sie auf mich nieder zu drücken. Ich wusste nicht, wie lange ich da lag und mein Bein zu befreien versuchte.

Dann hörte ich Stimmen, einige von den Wachen, die mit gereist waren, sie alle klangen schmerzerfüllt und noch ein paar andere, die ich nicht zuordnen konnte.

Ich wollte schreien, wollte ihnen sagen, dass ich hier bin. Aber aus meinem Mund drang nur ein Wimmern.
Plötzlich hörte ich ein weiteres neues Geräusch. Es klang wie das beiseite schieben von Metall. Helles Licht drang in meine Augen und ich musste blinzeln. Umrisse von drei Männern nährten sich rasch vom Licht ausgehend. Ich erkannte eine der Wachen, die mich heute begleitet hatten. Er hinkte stark und hielt sich etwas auf den Oberarm.

Erleichtert atmete ich aus. Ich würde frei kommen.

Doch plötzlich stürzten die Trümmern auf mich ein.

Zumindestens war ich am Ende glücklich, dachte ich noch.
Dann wurde meine Seele dunkel.

The Selection ~ Yora's GeschichteWhere stories live. Discover now