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Die Formulare auszufüllen gestalltete sich jedoch als schwieriger als erwartet. Und mir wurde allmählich klar, dass es keine reine Auslosung sein konnte, wenn nach besonderen Fähigkeiten gefragt wurde. Das war auch mein Problem. Ich hatte keine besonderen Fähigkeiten, außer vielleicht Rasen mähen oder Hecken schneiden.
Als ich das jedoch sagte, protestierte Barred sofort.

"Yora Lissón, wenn jemand besondere Fähigkeiten hat, dann du", erklärte er fast wütend, "Denk nur daran, wie gut du im reiten bist, obwohl du es nur ein Mal gemacht hast, oder im Schießen"

Es stimmte schon, dass ich gut Schießen konnte, als Dad noch fit war, hatte er Barred, der kaum Talent darin zeigte, und mich oft mit auf die Jagd genommen.

"Ich glaube nicht,  dass sie jemanden suchen, der gut schießen kann", erwiederte ich trocken.

"Aber das mit dem Reiten können wir schon Mal aufschreiben", brachte Dad sich vom Sofa aus ein. Er hatte sich nicht ins Bett bringen lassen, weil er unbedingt noch dabei sein wollte, wenn wir die Formulare ausfüllten.

"Ich würde das mit dem Schießen auch hinschreiben", mischte Jem sich ein, "Vielleit steht Prinz Mirolan ja auf außergewöhnliche Mädchen"

Jem schrieb es einfach hin. "Hm, mal sehen... Wenn uns noch eine Sache einfällt, sieht das ganze schon sehr gut aus", meinte er mit Blick auf das Formular.

"Schreib doch einfach 'kann gut singen' hin", mischte Dougless sich ein.

"Was? Warum das denn?", fragte ich aufgebracht.

"Naja...du singst Kristopher und mir doch abends immer vor", er blickte zu Boden.

Ich lachte laut auf. "Du sagst doch immer, ich habe eine scheußliche Stimme", stellte ich klar.

"Ja aber.. das stimmt nicht, ich finde sie wunderschön", gab Dougless zu, "Aber ich wollte nicht, dass du das weißt, weil.. weil... ich weiß auch nicht"

"Dougless hat Recht", stimmte Barred zu, "Du singst doch auch immer bei der Arbeit, also sag nicht, dass du es nicht magst!"

Ohne auf meine Antwort zu warten, die alles andere als freundlich gewesen wäre, nahm Barred Jem den Kugelschreiber aus der Hand und schrieb 'singen' auf das Formular.

"Bitte sehr, morgen früh können wir es gleich abgeben gehen", verkündete er heiter, "Und zieh dir was hübsches an, ich hab mal gehört, die machen Fotos"

An diesem Abend brauchte ich Stunden, um einzuschlafen, immer wieder fragte ich mich, ob ich auch wirklich teilnehmen wollte. Aber mir blieb ja sowieso keine Wahl. Ich tat es für meine Familie.

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Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um die Anmeldung schnell hinter mich zu bringen. Dad bestand darauf, dass ich erst noch ein Mal duschen ging. Was mir ein Rätsel war, denn selbst wenn sie Fotos machten, meine Haare würde ich sowieso zurück binden und an mir riechen würde man ja whl kaum.

Als Barred und ich schließlich mit den Formularen das Haus verließen, trug ich - auf Wunsch von Jem - mein bestes Hemd, das mir allerdings an den Schultern etwas zu eng war, aber Barred meinte, dass es, solange ich mich nicht allzu viel bewegte nicht auffiel. Meine goldbraunen Haare hatte ich nach hinten gebunden und nun fielen sie mir in langen Wellen, die nach unten hin heller wurden, über den Rücken. Dad hatte gesagt, dass meine Augen, die seltsam mehrfarbig waren, dadurch besonders hervorleuchteten. Mir war das zwar so ziemlich egal, aber Dad hatte ein stolzes Leuchten in den Augen, weil er so eine schöne Tochter hatte. Das wagte ich allerdings zu bezweifeln, sagte aber nichts dazu.

Ich war überrascht von den Menschenmengen, als Barred und ich am Bügeramt ankamen. Die Schlange war so lang, dass ich mich fragte, ob es überhaubt so viele 16 bis 20 jährige Mädchen in unserer Provinz gab, und dabei waren noch sechs Tage Zeit, um sich anzumelden! Ich war jetzt schon genervt von den ganzen Menschen, aber immerhin war meine Chance, gezogen zu werden, durch sie geringer als ich erwartet hatte.

Wir reihten uns ein und Barred unterhielt sich mit einigen Mädchen vor uns. Ich nicht. Mit Mädchen hatte ich nie etwas anfangen können und erstrecht nicht mit Mädchen, die unbedingt Prinzessin werden wollten.

Als wir an der Reihe waren, musste ich zunächst die Formulare auf ihre Richtigkeit unterschreiben.
Schließlich wurde ich tatsächlich für ein Foto vor eine Leinwand gesetzt. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, nicht zu lächeln, aber da hatte die stolpernde Suset, die vor mir an der Reihe gewesen war, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich brach in schallendes Gelächter aus, als die Zwei mit ihren Pumps über ihr langes Kleid stolperte und kopfüber auf einen Tisch mit Snacks für die Fotografen fiel. Wahrscheinlich sah das Foto später grauenvoll aus: Yora Lisson mit aufgerissenem Mund, nicht einmal in die Kamera blickend. Das war mir jedoch egal, so lange niemand dieses Bild sah und das würde auch niemand, wenn ich nicht ausgelost wurde.

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Am Freitagabend hatten wir es uns alle, sogar Dad, in der Stube bequem gemacht und verfolgten auf unserem alten Fernseher den Bericht aus dem Capitol. Zuerst berichtete der Nachrichtensprecher von zwei neuen Rebellenangriffen auf die südlichen Provinzen, bei denen hauptsächlich Zweier und Dreier zu Schaden gekommen waren, dann verkündete er die Rekutierung neuer Schlosswachen, die für drei Jahre im Dienst waren und danach automatisch zu den Zweiern gehörten.

Nach dem Vortrag trat endlich der Moderator des Castings, Elija Dilores, nach vorne und begrüßte das Publikum.

"Ich wette, Sie sind nun alle gespannt, welche 35 Mädchen in der nächsten Woche in den Palast einziehen werden", vermutete Elija mit einem charmanten Lächeln, "Und daher wollen wir auch sofort beginnen"

Elija räusperte sich verheißungsvoll und verkündete dann: "Aus Carolina, Lady Fiona Klarkson"

Auf der linken Bildhälfte wurde das Foto eingeblendet, welches am Abgabetag der Formulare geschossen wurde und rechts die Reaktion des Prinzen, die bei diesem Mädchen ziemlich langweilig ausfiel. Auch bei der nächsten, Lenotta Fanfield, zeigte Prinz Mirolan kaum eine Reaktion.

Elija ging zum nächsten Mädchen über, meine Provinz war jetzt an der Reihe. Schwungvollrief er aus: "Lady Yora Lissón"

Ich begriff erst, dass ich gemeint war, als mein Foto eingeblendet wurde, welches überigens gar nicht so schlimm war, wie gedacht, denn der Fotograf hatte mich genau in dem Moment erwischt, in welchem ich mich noch mit einem schrägen Lächeln auf den Lippen wieder der Kamera zugewandt hatte.

Für einen kurzen Moment war es in der Stube totenstill. Dann brach der laute Jubel wie ein plötzliches Unwetter los: Jem schrie begeistert auf, Dougless sprang auf dem Sofa herum und rief immer wieder: "Meine Schwester hat gewonnen! Sie ist berühmt" und Barred hob mich lachend hoch und wirbelte mich durch die Luft. Schnell befreite ich mich aus seinem Griff. "Du hast es tatsächlich geschafft!", murmelte mein Zwilling glücklich.

Dad klopfte mir annerkennend auf die Schulter, nachdem ich mich von Barred befreit hatte, und in seinen Augen glänzten Freudentränen. Selbst Kristopher schien bemerkt zu haben, dass irgendetwas ungewöhnliches geschehen war, denn er saß mit einem breiten Grinsen vor dem Fernseher und betrachete aufmerksam mein Gesicht auf dem Bildschirm.

Alle schienen begeistert zu sein, nur mir war nicht nach Feiern zu Mute. Ich hatte eher das Gefühl ins Gefängniss gesteckt zu werden, als in den Palast zu kommen, und wahrscheinlich hatte ich damit auch gar nicht so unrecht.

Durch die Ablenkung meiner Familie bekam ich jedoch nicht mit, wie der Prinz beim Anblick meines Fotos neugirig eine Augenbraue leicht hob. Andererseits hätte ich es gesehen, hätte ich geglaubt es mir nur eingebildet zu haben.

The Selection ~ Yora's GeschichteWhere stories live. Discover now