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Mein eigenes Gesicht blickte mir entgegen! Das Foto, welches von allen Bewerberinnen des Castings gemacht wurde, war in groß auf einer Seite abgedruckt.

Auf der Seite daneben sah ich Oriadne's Bild.

In dem linken, oberen Bildteil standen mein Name, mein Alter und meine Kaste. Darunter in der Ecke war ein Photo von mir in dem Kleid vom gestern Abend abgedruckt und daneben befand ich eine Bewertung, bei der bis zu zehn Punkte vergeben wurden, diese waren der Durchschnittswert, der Punktanzahl, die die befragten Leute angegeben hatten.

Bei mir stand:
Erstes Foto: 9/10
Im Kleid: 8/10
Interview: 7/10
Erster Eindruck/Auftreten: 10/10
Gesamt: 8,5 Punkte

Erstaunt blickte ich auf die Bewertung. Das konnte doch nicht sein! Ich blätterte weiter, am Ende gab es ein Ranking.

Caitlin und Oriadne teilten sich den ersten Platz, beide mit 9,5 Punkten im Durchschnitt, dahinter kamen ein paar andere, darunter auch Tatjana mit 9,0 Punkten. Etwas weiter unten kam ich, auf Platz sieben und dahinter - was ich wirklich genoss - Fabiana mit 8,25 Punkten.

Marico fand ich auf Platz 13 mit 7,75 und Rebecca auf Platz 16 mit 7,0 Punkten.

"Lady Yora", ertönte da Charlot's Stimme hinter mir, "Der Prinz wartet"

Ich stand auf und folgte Charlot aus dem Damensalon. Nervös knibbelte ich an der harten Haut an meinem Daumennagel.
Reiß dich zusammen, befahl mir eine Stimme in meinem Kopf, Derek's Stimme, Ich dachte, du wolltest gar nichts von dem Prinzen.

Charlot hielt vor einer Tür und öffnete sie. Dahinter saß Mirolan, auf einer kleinen abgezäunten Terrasse und trank gerade einen Schluck aus seinem Glas. Er setzte das Glas ab und ein spitzbübisches Lächeln trat auf sein Gesicht.

Ich holte tief Luft, trat zu ihm und knickste.

"Setzten Sie sich, Lady... Yora", er lehnte sich vor und tat so, als müsse er erst das Namensschild lesen.

Während ich mich auf einem Stuhl gegenüber von ihm fallen ließ, wand sich der Prinz an Charlot, die immer noch vor der Tür stand und wartete: "Ich glaube, Sie können jetzt gehen. Ich bin sicher, Lady Yora findet den Weg zu ihrem Gemach mittlerweile selbst"

Charlot neigte höfflich den Kopf, schloss die Tür hinter sich und ließ mich somit mit Mirolan allein.

Dieser räusperte sich und wirkte ziemlich unsicher. Das wunderte mich, denn er hatte dieses Gespräch schließlich schon 34 mal durchgemacht. Oder überlegte er, wie er mir sagen soll, dass ich draußen bin.

"Möchten Sie etwas trinken?", der Prinz deutete auf den eleganten, metallernen Gartentisch auf dem zwei Gläser und ein gläserner Krug mit einer gelben Flüssigkeit stand, die ich noch nie gesehen hatte.

"Was ist das?", fragte ich und betrachtete die Flüssigkeit argwöhnisch.

"Keine Angst, ich vergifte Sie schon nicht", antwortete Mirolan lachend,  wurde dann aber Ernst, "Haben Sie denn noch nie Limonade probiert?"

Ich schüttelte den Kopf. "Woraus besteht das?", jetzt verwandelte mein Argwohn in Neugierde.

"Zitronen und Farb- und Süßstoffe und wasweißich", er nahm ein Glas und goß die Flüßigkeit ein. Dann reichte er es mir. "Probier mal"

Ich nahm das Glas an und betrachtete die Limonade von allen Seiten, wobei uns beiden wohl nicht auffiel, dass Mirolan mich nicht mehr Siezte.

Ich hob das Glas an meinen Mund und trank. Es war kühl und schmeckte einfach köstlich.

Der Prinz beobachtete mich aufmerksam. Als ich aufgetrunken hatte, fragte er: "Was trinkst du denn normal?"

"Wasser und Tee... oh und manchmal auch Kaffee, wenn wir ihn uns leisten können" Das letzte war mir einfach so herausgerutscht, eigentlich wollte ich unsere Armut vor dem Prinzen nicht preisgeben.

"Ihr könnt Euch keinen Kaffee leisten?", Mirolan riss überrascht die Augen auf.

"Doch natürlich. Also manchmal. Seltener. In letzter Zeit eigentlich gar nicht", beim Sprechen wurde ich immer leiser.

"Verdienen Ihre Eltern denn so wenig?", erstaunt blickte er mich an.

"Ehrlich gesagt verdienen meine Eltern gar nichts", ich wandt den Blick von ihm ab, "Ich will jetzt nicht darüber reden"

Der Prinz hatte den Mund schon aufgemacht, um etwas zu erwiedern, schloss ihn jetzt aber wieder.

"Wenn Ihr es wünscht", sagte er schließlich, "Ich habe mir Eure Formulare durch gelesen. Welche Waffe benutz Ihr?"

Obwohl ich mich wunderte, dass Mirolan meine Formulare gelesen hatte, wusste ich sofort, was er meinte.

"Zum Jagen nutze ich einen Langbogen, aber mein Vater brachte mir auch bei, mit Schusswaffen umzugehen", antwortete ich.

"Ihr Vater brachte Euch das alles bei? Obwohl Ihr als Dame überhaupt nicht kämpfen dürft?"

"Mein Vater ist der Meinung, dass auch Mädchen sich verteidigen müssen", entgegenete ich trocken.

"Mein Vater brachte mir lediglich bei, mit dem Schwert zu kämpfen", nachdenklich blickte der Prinz auf sein Glas Limonade.

Bei seinen Worten schoß mein Kopf in die Höhe. "Ihr vermögt es mit Schwertern umzugehen? Seid Ihr gut?", neugierig blickte ich ihn an.

"Nun, ja, ich bin ein ganz passabeler Schwertkämpfer", auf einmal blitzten seine Augen auf, "Wenn ich Euch im Schwertkampf unterrichte, lehrt Ihr mir dann das Jagen mit Pfeil und Bogen?"

"Ich denke, da lässt sich was machen", sagte ich lachend. Plötzlich fiel mir etwas ein. "Sind fünf Minuten nicht schon um?"

"Schon längst", grinste der Prinz, "Aber wem soll das schon auffallen? Sie sind die letzte", er seufzte, "Dennoch sollte ich Sie wohl auf Ihr Zimmer bringen"

Ich hob eine Augenbraue. "Meintet Ihr nicht eben noch, ich würde den Weg selber finden?"

"Daran habe ich auch keinerlei Zweifel", erwiederte der Prinz, während wir uns gemeinsam auf den Weg zu meinem Zimmer machten, wobei ich darauf achtete ihn nicht zuberühren, "Ich versuche es nur heraus zu zögern, die ersten Mädchen nach Hause zu schicken", nachdenklich blickte er geradeaus.

Ich wusste nicht genau, was ich darauf erwiedern sollte, deshalb schwieg ich einfach.

Als wir vor meiner Zimmertür standen, verabschiedete sich der Prinz mit einer kleinen Verbeugung. "Einen schönen Tag noch, Lady Yora"

Dann wandte Mirolan sich um und ging davon. Als er jedoch an mir vorbei rauschte flüsterte er noch: "Wenn du heute Nacht wieder nach draußen kletterst, verbrenn dich nicht wieder"

Ich fuhr herum, doch da war der Prinz auch schon verschwunden. Wie angewurzelt stand ich da.
Woher weiß er, dass ich mich verbrannt habe, ich hab es ihm doch gar nicht verraten!?  Wie konnte er so schnell verschwinden? Und warum spricht er mich plötzlich mit "Du" an?

Ich beschloss ihm die Fragen beim nächsten Mal zu stellen - nun gut, die letzte vieleicht nicht. Falls es überhaupt ein nächstes Mal gab - Aber, hatten wir nicht so etwas wie eine Abmachung, er bringt mir kämpfen bei und ich ihm jagen? Oder hatte er das einfach nur so dahingesagt?

Mir brummte der Kopf, noch nie hatte mich ein Mann so verwirrt! Normalerweise hatte ich die Jungs immer verstanden, weil ich oft so dachte wie sie, aber der Prinz war so... anders, als alle die ich kannte.

Ich gab mir einen Ruck und während ich in mein Zimmer trat, beschloss ich, nicht weiter darüber nachzudenken.

The Selection ~ Yora's GeschichteWhere stories live. Discover now