𝟎𝟏

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Odesa
Düsseldorf
August 2022

Ich hasse Zimtschnecken. Allgemeine hasse ich alles was Zimt beinhaltet. Daher hasse ich es auch mit Zimt zu arbeiten. Was ich liebe sind Zitronen. Sei es Zitronenpasta, Zitronenkuchen oder eine Scheibe Zitrone in einer Cola. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte den Menschen die ich jahrelang kenne erklären, warum ich von Anfang an weiß, was ich liebe und was ich hasse. Manche nennen es Intuition. Andere meinen es hat ein psychologischen Hintergrund. Doch bei mir ist es keins von beiden. Ich habe es mir gelegentlich antrainiert.

»Feierabend!«, ruft Khadijah erfreut. Ich werfe ihr ein strengen Blick zu. »Liebst du deine Arbeit etwa nicht?«, frage ich gespielt vorwurfsvoll. Sie legt gelassen ihren Arm über meine Schulter und grinst mich schelmisch an. »Doch! Am meisten liebe ich die Überstunden mit meiner äußerst attraktiven Chefin.« Ich klatsche grinsend ihre Hand weg. »Hör auf zu schleimen.« Sie lacht. Ich beobachte die marokkanische Schönheit. Seitdem ich sie vor ein paar Jahren kennengelernt habe, sind ihre Haare rot gefärbt. Jedes mal färbt sie es nach und jedes Mal beschimpft sie ihre Naturfarbe. Was sie auch beschimpft sind ihre Naturlocken. Jede paar Monate klatscht sie sich eine Keratin-Glättung in die Haare und hofft darauf, dass es diesmal länger hält. Ich blinzle sie an. Was eine beneidenswertere Frau. Ihre braunen Augen sind so dunkel wie Ebenholz und ihre Zähne sind strahlend weiß. Khadijah ist mit ihren anderthalb Metern kleiner als ich. Ihre Nägel sind immer in derselben Farbe wie ihre Haare lackiert und außerhalb der Arbeit, liebt sie es ihren Modestil zu präsentieren. Khadijah ist nämlich angehende Designerin. Sie liebt es zu gestalten, zu nähen und zu schneidern. Ihre offene und laute Persönlichkeit strahlt sich in ihrem Aussehen immer wieder neu und das ist einer der Gründe, warum ich sie als meine engste Freundin sehe.

»Was ist mit dir? Kein Date heute?« Ich schüttele resigniert mein Kopf. »Tinder und Lovoo sind alles andere als seriös.«, seufze ich. Khadijah kichert vergnügt. »Und du dachtest, sie wären es?«, fragt sie mich ungläubig. Ich blinzle sie genervt an. »Ich mache nur Spaß!«, erklärt sie mir lächelnd. Ich seufze. »Ich weiß. Es ist nur... ich habe wirklich gedacht ich könnte den Richtigen finden.«, murmle ich. Khadijah reibt aufmunternd meine Oberarme hoch und runter. »Das weiß ich doch und das wirst du auch! Wenn die Zeit reif—« Ich unterbreche sie blitzschnell. »Ich bin seit sechs Jahren Single. Seit drei Jahren bin ich auf Männersuche. Wie kann die Zeit nicht reif sein?«, frage ich verzweifelt. Die rothaarige Schönheit seufzt ebenfalls betrübt. »Vielleicht aufhören zu suchen und anfangen darauf zu warten, bis die Liebe dich findet?«, schlägt sie enthusiastisch vor. Ich nicke langsam. »Du hast recht! Ich weiß auch gar nicht, warum ich hier auf die Mitleidstube drücke.« »Das macht mir nichts aus, dazu sind Freunde da.«, erinnert sie mich. Ich lächle sie dankend an.

Ich habe Khadijah von meinem letzten Date nichts erzählt. Ich schäme mich.

»Deine Mutter schon wieder?«, fragt sie mich anschließend. Ich seufze gestresst auf. Ich stelle den Teig in eine Schüssel und bedecke ihn mit einem Tuch ab. »Jedes mal spricht sie davon, dass sie in meinem Alter schon verheiratet und schwanger war.« Khadijah blinzelt mich bemitleidend an. »Du bist ihre einzige Tochter. Sie möchte nur das du glücklich bist.«, erwidert sie neutral. »Trotzdem fühlt es sich die meiste Zeit so an, als möchte sie mir etwas unter die Nase reiben. Dabei schlafen, ihr ach so toller Ehemann und sie, in getrennten Zimmern. Auf solch ein Leben bin ich nicht eifersüchtig.« Sie nickt verständnisvoll. »Hat sie eigentlich mit diesen arrangierten Treffen aufgehört?« Ich schüttle meinen Kopf. »Jeden Samstag möchte sie, dass ich sie besuche. Jedes Mal ist da ein neuer potentieller Schwiegersohn dabei.«, gebe ich augenrollend von mir. Khadijah lacht. »Arzt oder Ingenieur?«, fragt sie mich lachend. »Letztes Mal war er Anwalt.« Ein lautes prusten entfährt ihr, welches mich auch leicht zum lachen bringt. »Ich wusste nicht einmal, dass meine Eltern so viele Freunde haben? Und wie kann es sein, dass jeder dieser Freunde ledige Söhne haben?«, frage ich kichernd. »Vielleicht gibt es Tinder für Eltern?« Wir beide glucksen auf.

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