𝟎𝟓

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Odesa
Düsseldorf
August 2022

Der Tod.

Der Tod ... er hinterlässt Dreck. Er säubert die leidenden Seelen und verschmutzt die lebenden Körper. Er ist raffiniert. Seine Kälte hinterlässt eine bittere Gänsehaut und seine Schlagfertigkeit macht dich sprachlos. Er ist der Feind der Menschen und der Erlöser der Seelen. Er verletzt dich, reißt dich in Stücke und löst sich anschließend in Luft auf. Der Tod ist die wandelnde Vergessenheit, die dich dazu herausfordert dich zu erinnern. Wir Menschen fürchten uns vor dem Tod, wobei sich unsere Seelen nach ihm sehnen. Sie möchten ihre Aufgabe erfolgreich absolvieren und endlich das Paradies finden. Es ist ein ganz einfaches Konzept und doch eine Thematik, vor der sich die Menschen verstecken. Ich blinzle langsam. Der Tod nimmt einen die Freude weg. Es stiehlt dir das Glück und verbannt es in Kummer. Kummer, welches solch ein schwaches Herz gerade Mal überlebt. Es ist der Tod, der wie ein dunkler Schatten über unseren schlagendem Herzen liegt. Wir Menschen werden ihn nie verstehen. Die einen respektieren Ihn und die Anderen verachten Ihn. Es ändert nichts daran, dass er uns wie ein alter Freund besuchen kommt. Sie hat er besucht. Auch wenn es meiner Meinung nach zu früh gewesen ist.

Meine tränenden Augen beobachten die Rahmen der zwei Bilder. Sie wandern über die unschuldigen Augen, über das große Lächeln und dem braunen Kopftuch der Frau. Ebru Çiçek. Geboren 1999; Gestorben 2022. Ich kneife meine Augen zusammen und fahre mir über meine nackten Arme. Sie war die Frau, die gebetet hat. Die, die erschossen wurde. „Sie war jünger als ich.", murmle ich vor mich hin. Um ihren Bild liegen viele Kerzen und Blumen. Auch ich habe eine Blume hingelegt. Eine weiße Petunie. Neben ihrem Bild steht dass des Mannes. Sebastian Kermann. Geboren 1981; Gestorben 2022. Eine Gänsehaut benetzt meinen ganzen Körper. Ein Schauer verläuft meinen Nacken runter, bei dem Gedanken wie ich nach dem Telefon greifen wollte. Schuldgefühle keimen sich hoch, bei dem Gedanken wie ich die Beiden zurückgelassen habe. Sie können nicht ein Mal beerdigt werden. Auch bei ihm liegt eine weiße Petunie. Wie es wohl den anderen Menschen geht? Besitzen sie dieselben Albträume wie ich? Dieselben Schuldgefühle, dasselbe Leid? Oder weint nur meine Seele um die der Erlösten?

Meine Gedanken schweifen zu der süßen Dea. Ein unfassbares grauenhaftes Erlebnis für jemanden, der so jung ist wie sie. Ich hoffe Agon kümmert sich um sie. Ich beiße mir nachdenklich auf die Lippen. Agon. Er wirkte so verhasst. So bitter und ... verzweifelt. Ich weiß nicht was ihm widerfahren ist, jedoch war ich der Überzeugung, dass die Vaterrolle anzunehmen ein Schritt in die richtige Richtung wäre. Ihn wiederzusehen war unerwartet und dann auch noch unter diesen Umständen. Khadijah beteuert es sei Schicksal. Doch daran glaube ich nicht. Es war ein ironischer Zufall. Einem Mann sein Kind heil zurückzubringen, welches man selber keines schenken konnte. "Ich sage dir, es ist Schicksal! Du glaubst mir nicht? Dann werde ich sogar eine wissenschaftliche Erklärung dafür finden." Ein kleines Lächeln legt sich auf meine Lippen. Es ist ihre Art mich von meiner Tragödie abzulenken. Ich bin dankbar dafür, doch trotzdem fühle ich mich bezüglich dieser Thematik unverstanden in ihrer Nähe. In manchem Momenten erinnert sie mich an Yara.

Yara.

Nachdem Agon mir meine Vorahnung bestätigt hat, habe ich anschließend stundenlang geweint. Jeder andere Mensch würde mich als lächerlich betiteln, doch ich konnte nicht anders. Sie war so jung und ihr wurde die Chance genommen zusehen, wie ihre Tochter zu einer Frau aufwächst. Sie hatte einen schrecklichen Fehler begangen ... sie hatte mich verraten. Doch dafür verdient sie es nicht zu sterben. Ich habe ihr schon Jahre davor verziehen. In meinem Herzen ist kein Platz für Hass, welches dich nur Bitterkeit ertränkt.

TränenblindWhere stories live. Discover now