𝟏𝟑

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Odesa
Düsseldorf
Oktober 2022

»Steig ein.«

Ich zucke zusammen und atme anschließend tief aus. Es ist seine tiefe und angenehme Stimme, die mich mehr aus der Fassung bringt, als seine plötzliche Erscheinung. Meine Augen weiten sich als ich bemerke, dass er in Zivilkleidung vor mir steht — naja eher sitzt. Agon hat mir die Tür zum Beifahrersitz von innen geöffnet und blickt mich ungeduldig an. Sein angespannter Bizeps, der sich schön um sein weißes und enges T-shirt zieht, ist die erste Sache die mir auffällt. Er trägt nichts anderes als ein weißes Shirt und eine blaue lockere Jeans und trotzdem überfordert mich sein Aussehen. Seine Hand umgreift fest das Lenkrand und seine Augen strahlen vor Intensität. Ich verkneife es mir, mir auf die Lippen zu beißen bei dem Anblick von seinem scharfen Kinn und den schönen Tattoo's, die seine Arme verzieren. Agon ist unbeschreiblich attraktiv. Es sind seine vollen Lippen und seine grünen Augen, die mich immer wieder in einen Bann ziehen, die keine reine Seele entkommen kann. Meine Mundwinkel zucken nach unten, während ich ihn weiter ausgiebig anstarre.

Neben ihm fühle ich mich nun ... overdressed. Ich trage eine schlichte braune Hose mit einem engen und orangenen Rollkragenpullover. Passend dazu einen langen braunen Ledermantel und braune Stiefeln. Ich wollte präsentabel aussehen vor den Familien. Einen guten Eindruck hinterlassen, doch neben ihm habe ich nun das Gefühl, ich würde kurz nach New York fliegen um shoppen zugehen. Meine Wangen erröten sich. Ich spiele leicht an mein Pferdeschwanz und drücke meine Zunge unwohl gegen meine Mundhöhle. »Heute noch?«, schnauzt er und ich rüttle mich für ein kurzen Moment. »Musst doch nicht so unhöflich sein.«, murmle ich und steige bockig in sein Wagen rein. Agon verdreht seine Augen und rast förmlich los, sobald der Gurt befestigt ist. »Ist dir nicht kalt?«, frage ich unsicher und deute dabei auf sein T-Shirt. Er schnalzt mit der Zunge. »Meine Lederjacke liegt im Kofferraum.« Oh. Sehr informativ. Doch ich kann wenig damit anfangen. »O-okay.«, murmle ich nachdenklich. Mein eigentlicher Plan war viel mit Agon zu plaudern, doch irgendwie geht jenes gerade in die Hose. Als ich heute aufgestanden bin, war ich in der Hoffnung, dass wir dieses Abendessen hinter uns lassen können. Seine Laune verrät mir, dass er auf was ganz anderes hoffte.

»Schönes Auto.« Ich versuche erneut ein Gespräch zu starten. Ausnahmsweise sitzen wir in keinem Polizeiauto. Nein, wir sitzen in einem schönen schwarzen Brabus G V12 900 mit schöner Innenausstattung und viel Freiraum. Ich hätte nicht gedacht das ein Agon jemals so ein Auto besitzen würde. Er antwortet mir nicht und schaut konzentriert auf die Straße. »Ich dachte immer du würdest dir ein Ferrari oder so kaufen.«, witzle ich und Agon wirft mir ein komischen Blick zu. »Habe ich das jemals behauptet?« Nein, aber es war eine Vermutung.

Enttäuscht seufze ich aus und blicke aus dem Fenster. Ich höre wie er neben mir tief einatmet. »Es war ein Geburtstagsgeschenk von Adem. Er dachte sich es wäre besser für Dea.« Mit hochgezogenen Augenbrauen blicke ich ihn an. »Kommt Dea überhaupt ohne Hilfe hier hoch?«, frage ich belustigt und er schüttelt den Kopf. Für ein kurzen Moment landet mein Blick auf seinen Hals und ich sehe wie sein Adamsapfel sich bewegt. Ich räuspere mich. »Gefällt dir das Auto?« Er nickt. »Ein G-Wagon ist keine Enttäuschung.« Nein, die einzige Enttäuschung ist das, was aus dir geworden ist.

»Zu wem fahren wir zuerst?« Agon atmet zischend ein und holt etwas aus seinem Armaturenbrett raus. Er reicht mir ein Zettel rüber und dankend nehme ich diesen an. Für ein kurzen Moment berühren sich unsere Fingerkuppen und mein Blut gerät in Wallung. Ich ziehe scharf die Luft ein und bemerke aus dem Augenwinkel, wie Agon sein Griff um das Lenkrad verfestigt. Ich beiße mir auf die Lippen und blicke anschließend auf den Zettel. Familie Kermann und Familie Çiçek. Mein Herz sinkt. Es wird sehr hart sein den Menschen ins Gesicht zusehen und von Hoffnung und Gerechtigkeit zu predigen, wenn ich selbst mein Glauben daran verliere. Meine Gedanken wandern zu meiner Mutter. Sie ist gestern nach Hause gefahren. Der Abschied hat mich traurig gemacht und auch meine Mutter verließ mich mit Tränen in den Augen. Zwar hat sie wegen meiner unaufgeräumten Wohnung gemeckert, aber immerhin war sie traurig. Ich habe die Bilder immer noch nicht entsorgt. Bedenken wandern in mein Kopf. Hatte Daniel recht? Sollte ich Agon von den Bildern beichten? Unwohl fahre ich mir über die Unterlippe. Ich kann es ihm nicht erzählen, was soll er von mir denken? Was wird er von mir halten, wenn ich mein Tatverdächtigen erwähne. Er sieht mich jetzt schon als fahrlässig und verhurt, macht die Sache mit den Fotos es dann nicht schlimmer?

TränenblindWhere stories live. Discover now