𝟎𝟐

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Odesa
Düsseldorf
August 2022

Schüsse.

Schreie.

Blut.

Ein stechender Schmerz durchzieht mein Arm.

Dea ... Dea!

Meine Sicht verschwimmt. Ich spüre Flüssigkeit auf meiner Wange. Menschen schreien. Sie weinen und flehen. Weitere Schüsse fallen. Ist das Blut? Was ist hier los?Bin ich gestorben? Meine Ohren fühlen sich so taub an. Kleine Hände umklammern mein Bauch. Warum ist der Boden nass? Warum tut mein Arm so weh? Warum sehe ich nichts? Weine ich? Ich habe keine Kraft. Ich kann mich nicht bewegen. Ich höre ein lautes Schluchzen. »Tun Sie doch etwas!«, schreit eine Person. Mein Lippen sind taub.

"Odesa?" Diese beruhigende Stimme besänftigt mich. Was tut er hier? Ich spüre wie eine Person meine Wangen streichelt. "Du musst wach bleiben, Odesa." Ich schüttle meinen Kopf. Ich kann nicht. "Ich bin müde.", weine ich. "Odesa, sie braucht dich." Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. "Wer braucht mich?" "Du musst wach bleiben, Odesa." Wo bin ich? "Bist du es?", murmle ich. Ich spüre wie er meine Tränen wegwischt. "Bist du es?", wiederhole ich. Keine Antwort. "Wo bist du, Odesa?" Ich weiß es nicht. Wo bin ich? Was mache ich hier? Warum ist er hier? Geht es ihm gut? Ist er gekommen um mich zu beschützen? Oder ist er gekommen um mich zu retten? Träume ich? Ist er echt? Bin ich echt? "Lebe ich?", frage ich heiser. Er nickt. "Die Kugel hat dich nicht getroffen, Odesa." Welche Kugel? Wovon spricht er? Ich sehe auf mein rechten Arm hinunter. Ein tiefer Schnitt ziert meine Haut. Ich fange an zu zittern. "Was ist das?", schluchze ich. "Dir geht es gut, Odesa." Ich winde mich. Angst durchflutet meinen Körper. Warum fühle ich mich so gefangen? "Dir geht es gut. Es ist nichts großes." Warum sieht es dann so groß und hässlich aus?

"Ich habe Angst." Er nickt und streichelt meine Wange. "Ich beschütze dich." Ich schüttle meinen Kopf. Er lügt! Er wird mich nur wieder verlassen. "Sie braucht dich, Odesa." Was ist mit mir? Brauche ich denn niemanden? Muss ich immer alles alleine machen? Das ist nicht fair. "Ich kann nicht." Ich schüttle winselnd den Kopf. "Du kannst das. Du bist stark, Odesa." Ich bin schwach und kraftlos. Ich besitze keine Stärke. "Ich bin müde." Warum kann ich sein Gesicht nicht sehen? "Du bist nicht müde. Du bist wach, Odesa." Wie? Aber warum bin ich dann so schläfrig? Seine Liebkosungen verführen mich in den Schlaf. Ich spüre ein stechenden Schmerz auf meinem Oberarm. "Odesa!" Was passiert hier? Wo bin ich? Bist du es? Was mache ich hier? Warum kann ich ihn nicht sehen? All diese Fragen wiederholen sich ständig in meinem Kopf. "Sie braucht deine Hilfe. Sie ist nur ein Kind." Ein Kind ... ein kleines Mädchen? Das Mädchen mit den grünen Augen ... Dea? "Odesa!" Mein Kopf schnellt zur Seite. »Odesa!«

»Mir geht es gut.«, murmle ich. Meine Augen finden die Theke. Ich hocke dahinter. Wie bin ich hier gelandet? Mein Kopf dröhnt. Dea sitzt mit verweinten Augen neben mir. Wie ist sie neben mir gelandet? Ich höre wie jemand etwas auf dem Boden gießt. Ängstliches Keuchen erfüllt den Raum. Ich wende meinen Blick ab und erstarre. Links vor mir liegt ein Mann blutend auf dem Boden. »Ich habe Angst.« Das kleine Mädchen zittert. Seine Augen starren in die Leere und aus seinem Ohr fließt Blut. Erschrocken klammere ich mich an das kleine Mädchen. »Schließ deine Augen und öffne sie nicht, ani?« Ich sehe in Dea's grüne Augen. »Du verschwindest nicht von dieser Stelle, ani?«, befehle ich leise. Wimmernd nickt sie. Sie alle schreien. »Runter du Schlampe!« Ein maskierter Mann drückt sein Gewehr gegen die Stirn einer Frau. »Halt dir die Ohren zu.«, flüstere ich. Ihre Hände zittern unkontrolliert. Ich halte meine Luft an und werfe ein kurzen Blick auf die zwei anderen Männer.

TränenblindWhere stories live. Discover now