𝟏𝟒

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Odesa
Düsseldorf
Oktober 2022

»Steig aus.«

Langsam öffne ich meine Augen. Das grelle Licht brennt in meinen Augen und ich kneife sie fest zu. Nachdem wir Erva's Wohnung verlassen haben, waren wir beide in Gedanken getrunken. Das ganze Geheule hat mich unfassbar müde gemacht und Agon hat es ziemlich schweigsam gemacht. Ich frage mich, was ihm durch den Kopf ging, als er draußen alleine war. Er wird es mir sicherlich nicht verraten. Als wir uns verabschiedeten waren seine Augen leicht gerötet. Seufzend reibe ich mir übers Gesicht. Erva und ich haben Nummern ausgetauscht. Mir ist es wichtig zu wissen, dass es ihrer Tochter und ihr besser gehen wird. Keine Familie verdient es solch ein Schicksal zu erleiden. Keine Mutter sollte so bestohlen werden. Plötzlich bekomme ich das Bedürfnis meine eigene Mutter anzurufen. Würde sie mich auch so vermissen, wie Erva Ebru vermisst? Ganz langsam schüttle ich meinen Kopf. So sollte ich nicht von meiner Mutter denken. Nichtsdestotrotz bleibt ein ungeheures Gefühl in meiner Brust stecken.

Ich zucke zusammen, als Agon meine Tür öffnet. Verwirrt blinzle ich ihn an. »Alles okay?«, fragt er indifferent. Ich kann nicht einschätzen, ob seine Indifferenz gespielt ist und ich möchte es auch nicht. Ich bin satt davon immer darüber nachzudenken, was in diesem komplexen Mann vorgeht. Ich lecke mir über die Lippen und nicke leicht. Ich ignoriere aber seinen Blick. Seine Ablehnung hat mich unglaublich verletzt und egal, wie viel Verständnis ich für diesen Mann zusammenkratze, es ändert nichts daran, dass es mir unfassbar weh tut. Nach allem was heute passiert ist, da habe ich wenig Kraft mich wieder mit Agon auseinanderzusetzen.

Ich wünschte, ich wäre wieder in meinem Kinderzimmer und das meine größte Angst wäre, dass meine Mutter von meiner schlechten Note erfährt. Damals war alles simpler und leichter. Heute werde ich konfrontiert mit Tod und Leid. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. Dieser ganze Tag bereitet mir Kopfschmerzen. Ich steige schweigend aus und öffne mein Pferdeschwanz. Ich gehe durch meine Haare und massiere leicht meine Kopfhaut. »Mein Kopf dröhnt.«, murmle ich und steige dabei aus. »Wir bleiben nicht lange und dann fahre ich dich nach Hause.«

Eine junge blonde Frau mit einer Flasche Bier in der Hand öffnet uns die Tür. Agon hat mittlerweile seine Lederjacke angezogen, da der Wind stark weht. Ein paar Strähnen verfangen sich in meinem Mund. Peinlich berührt wische ich sie mir aus dem Gesicht. »Guten Tag, Frau Kermann?« Sie schüttelt ganz leicht den Kopf, doch ihre Augen bleiben auf mich gerichtet. »Oh nein! ich bin Frau— Nennt mich Lisa.« Mit einem leicht überraschten Gesichtsausdruck blickt die Blonde Frau mich an. Agon nickt langsam. Sie nimmt ein weiteren Schluck von ihrem Bier. Schüchtern setze ich ein sanftes Lächeln auf die Lippen. »Du bist doch die Frau, die ein dutzend Menschen aus dieser Bäckerei gerettet hat oder?« Meine Augen weiten sich überrascht. Ich nicke überwältigt. Ein Lächeln setzt sich auf ihre Lippen. Agon leckt sich über die Lippen. »Wir wollten unser Beileid aussprechen.«, erwidert Agon. Lisa tritt zur Seite. »Kommt rein, die Party hat gerade angefangen.« Die Party? Agon und ich werfen uns gleichzeitig denselben Blick zu.

Sebastian Kermann hat in einem wunderschönen und großen, modernen Haus gelebt. Meine Lippen spalten sich. Alles ist wirklich kalt ausgestattet. Weiße Wände, weißer Marmorboden, weiße Glühbirnen und weiße Dekorationen. Eine große Diele, in welchem sich eine große Statur befindet, führt zu einem noch größeren Wohnzimmer. Überall hängen teure Dekorationen und schöne Gemälde. Ich stelle mich etwas näher zu Agon und betrachte dieses wohlhabende Haus. Ich blicke durch eines der Fenster und erkenne ein großen Garten, wo einige Menschen stehen und etwas grillen. Es ist wunderschön, aber so leblos. Während ich bei Erva das Gefühl von Zuhause besaß, fühlt man sich hier wie in einem perfekten Puppenhaus. »Als würde der Tod höchstpersönlich hier wohnen.«, murmelt Agon und ein ungewolltes leises Kichern entfährt mir. Er blickt mich leicht überrascht an. »Ihr könnt die Musik wieder lauter machen.«, ruft Lisa beschwipst. Meine Augen weiten sich geschockt. Hier findet eine wirkliche Party statt! Frauen und Männer tanzen miteinander, während Schlagermusik im Hintergrund läuft. Der Geruch von Alkohol und gebratener Bratwurst schwebt in der Luft. Die meisten plaudern und lachen miteinander, während sie Champagner - oder Biergläser in der Hand halten.

TränenblindDonde viven las historias. Descúbrelo ahora