𝟎𝟕

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Odesa
Düsseldorf
September 2022

»Frau Köhn?«, frage ich äußerst überrascht. »Tag.«, brummt die alte Dame. Mit gerunzelter Stirn starre ich sie an. Was tut diese Frau hier? Ich seufze in mich hinein. Fehlt Ben eine bestimmte Sache? Sonst besucht sie mich auch nicht. Ich war zwar oft in ihrem bescheidenen Heim, doch dies meist unfreiwillig. Sie schlängelt sich grunzend an mir vorbei und stampft mit lauten Tritten in meine Küche. »Mir geht's prächtig und Ihnen?«, murmle ich sarkastisch vor mich hin und schließe allmählich die Tür. »Schwafeln Sie nicht leise vor sich hin, sondern machen Sie mir mal endlich ein anständigen Kaffee.« Was eine reizende Dame. Ich eile in die Küche und setze ein krampfhaftes Lächeln auf meine Lippen. Frau Köhn murmelt leise vor sich hin und holt eine Zeitung aus ihrer Tasche raus. Ich kenne diese Frau nun seit über drei Jahren und bis heute besitzt sie die Manieren eines Neandertalers.

Ich schüttle merklich den Kopf vor mich hin. Angeblich konnte niemand je mit der alten Frau klarkommen und selbst Ben hat ab und zu Probleme, ihre Gedanken nachzuvollziehen. Ich habe sie lediglich toleriert. Immerhin ist sie einer meiner Stammkunden, doch mit den Jahren konnte selbst ich ihren nicht vorhandenen Charme widerstehen. »Wie immer?«, frage ich heiter. Gesellschaft tut mir gut, selbst wenn es ihre ist. Es fällt mir unfassbar schwer alleine zu sein, da ich oft in die Einsamkeit falle. Seitdem Vorfall fällt es mir schwer aus dem Bett zukommen. Geschweige denn mich zu pflegen und erstrecht zu backen. »Mhm.«, brummt die alte Dame und blättert ihre Zeitung. »Zügig.«, setzt sie dahinter und ich verkneife mir ein Grinsen.

»Was führt Sie hier her?«, frage ich während ich das schöne Geschirr aus dem Schrank raushole. Meine Mutter hatte es mir beim Einzug geschenkt. Schönes Porzellan aus Kosovo. Das wird selbst der alten Hexe gefallen! »Ihr Kaffee ist, wie es aussieht das einzig Akzeptable in der Stadt.« Zähneknirschend kratzt sie sich am Kinn. Ich ziehe amüsiert meine Augenbraue in die Höhe. »Ach, ist das so?« Ich greife nach ein paar Plätzchen aus meinem Schrank und stelle sie ihr auf den Tisch. Sie verzieht ihre Nase. »Ben hatte mir so ein grausamen Kaffee gebracht. Ich hätte fast den Tod gesehen.« Ich zucke leicht zusammen und es wird kurz still. Nachdem man den Tod gesehen hat, vergisst man wie man atmet. Man vergisst was es bedeutet zu leben. Denn selbst der eigene Herzschlag kann die Scherben, die verursacht wurden nicht heilen.

Frau Köhn räuspert sich. »Das war nicht so gemeint.« Ich winke ab. »Machen Sie sich keine Umstände. An einem anderen Tag hätte ich wegen diesem Kommentar gelacht.« Ich stelle ihr den Kaffee auf den Tisch und starre auf den Boden. »Wann wären Sie bereit zurück zukehren?« Leicht verwirrt sehe ich die alte Dame an. Ich verschränke meine Arme. »Was genau meinen Sie?« Sie nimmt ein tiefen Schluck von ihrem Kaffee und schlürft leise. »Ich nehme an sie sind zurzeit arbeitslos.« Meine Mundwinkel verziehen sich. Leicht schmollend lehne ich mich zurück. »Ich glaube das bleibt auch länger so.«, murmle ich traurig. Aufmerksam blinzelt Frau Köhn mich an.

»Inwiefern?«, hakt sie nach. Ich seufze betrübt. Eine graue Wolke erscheint über meinen Kopf bei dem Gedanken an das Telefonat, was ich heute Morgen hatte. Wie konnte ich auch so dumm sein? Alle Entscheidungen die ich treffe hinterlassen unvorhersehbare Konsequenzen. Alles läuft schief und hinterlässt nur Schmerz. Es war beruhigend und erholsam bei Khadijah zu bleiben. Es war, als würde ich in einen endlosen Traum leben. Ich habe mir kleine Fantasiewelt aufgebaut. Ich war nicht mehr einsam. Ich wurde, wie naiv es auch klingen mag, geliebt. Auch wenn es nicht echt war, es war schön. Doch der Morgen erwacht, sowie wir aus unseren Träumen. Und das einzige was übrig bleibt ist der feine Staub von Sehnsucht, der schwingende Geruch von Heimweh und die Hoffnung, dass wir in der nächsten Nacht wieder zu unserer Seele finden.

TränenblindWhere stories live. Discover now