Kapitel 15 - Entschluss gefasst

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Olivia

Am nächsten Morgen wurde ich durch einen Alptraum geweckt, welcher mich völlig verschwitzt aus dem Schlaf riss. Ich musste mich erst einmal sammeln, bevor ich in das Bad ging und mich abduschte. Erst danach konnte ich über das Geträumte nachdenken. Es waren Szenen aus Geschichten, welche mir meine Mutter bereits früh erzählt hatte. Grausame Szenen, welche sich in meinem Kopf abgespielt haben, als ich noch ein kleines Kind war. Doch während ich dachte, das seien alles nur Märchen und Legenden, wollte mich meine Mutter immer nur beschützen. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich mich nach und nach in diese alten Legenden eingearbeitet hatte. Mittlerweile weiß ich, wie viel Wahrheit hinter diesen Geschichten steckt, von denen sie mir früher immer erzählt hatte. Immerhin steckt in allem ein bisschen Wahrheit, so auch in erfundenen Geschichten. Denn Werwölfe brauchen ihre Mate zum Überleben. So steht es zu mindestens überall in den Büchern und wenn diese sich nicht freiwillig für ihren Partner entscheiden, dann werden sie dazu gezwungen und spätesten nach dem Biss der Markierung, hat man keine Kontrolle mehr über seine eigenen Gefühle. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Mich durchlief ein grausames Gefühl, wenn ich daran dachte, nicht mehr kontrollieren zu können, was ich fühlte. Ich wollte nicht so enden. Wollte nicht von einem magischen Band beeinflusst werden, welches mich an ein Wesen bindet, das jemanden mit einer Fingerbewegung töten könnte. Während ich also meine Haare kämmte und sie mir zu einem Zopf band, fasste ich einen Entschluss.

Ich muss ein Mittel finden, wie ich mich vor dem Mateband schützen kann oder wie ich mich vor der Verbindung verstecken kann. Ich möchte nicht ein Leben lang an jemanden gebunden sein, für den ich eigentlich keine Gefühle habe. Von einem magischen Bündnis beeinflusst zu werden, steht mit Sicherheit nicht auf meiner To-Do-Liste. Ich blickte mir durch den Spiegel in die Augen. Das ist die einzige Lösung. Ich nickte mir zu, ehe ich zurück in mein Zimmer ging und mir etwas zum Anziehen suchte. Dabei fiel mir wieder die Tüte auf, welche mir Xavier gegeben hatte, nachdem er aus dem Geschäft gekommen ist. Wäre es verwerflich die Sachen zu behalten, wenn ich mich gegen ihn wenden möchte? Ein wenig, dachte ich mir, dennoch griff in die Tüte und holte die Anziehsachen heraus. Sie beinhaltete ein weißes T-Shirt, eine Hemdbluse aus Cord sowie eine schwarze Boyfriend Jeans. Okay, er macht es mir wirklich nicht einfach. Ich legte also alles auf mein Bett und zog mich um. Nachdem das erledigt war, packte ich meine Tasche und ging nach unten. Auf der Treppe warf ich noch einen schnellen Blick auf meinen Arm, welcher sich bereits sichtlich verbessert hatte. Unten angekommen packte ich mir noch einen Apfel sowie Kekse ein. Anschließend verließ ich das Haus, setzte mich auf mein Fahrrad und fuhr nach Ballymahon. Dort wartete ich wie immer auf meinen Bus und fuhr anschließend auf direktem Weg zu meiner Universität. Heute stehen drei Vorlesungen an, weswegen ich alle Hände voll zu tun haben werde.

Xavier

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Das erste Mal in meinem Leben habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. Eigentlich fällt mir immer etwas ein. Doch dieses Mal, fühlte ich mich verloren. Ich wusste nicht, was ich tun sollte oder ob ich überhaupt etwas tun konnte. Wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte. Wie ich mit ihr umgehen sollte. Sie war unbekanntes Terrain. Ein rohes Ei, welches schlüpfen wollte und ich war der Wolf, welcher fremdes Land betritt und nicht weiß, wie man mit einem geschlüpften Küken umgeht. Ob ich das Gefühl hatte, dass wir uns besser verstehen? Definitiv. Ob sie mich näher an sich rangelassen hatte? Ja. Wir hatten die ganze letzte Woche miteinander geschrieben. Einige Abende zusammen im Wald verbracht. Während sie nach ihren Pflanzen gesucht hat, habe ich ihr Gesellschaft geleistet. Wir haben uns unterhalten und es schien gut zu laufen, doch seit zwei Tagen scheint sie anders zu sein. Abwesender. Nicht mehr sie selbst. Als würde sie mir aus dem Weg gehen. Mich bewusst ignorieren. Sie antwortete auf keine Nachricht mehr. War den dritten Tag schon nicht mehr in der Universität und verkroch sich in ihrem Zimmer. Selbst die Vorhänge hat sie zugezogen. Also verdammt. Ich bin frustriert, irritiert, wütend, enttäuscht, eingeschnappt und völlig durcheinander. Ich bin ein hormongesteuerter Welpe, welcher kurz davor ist zu platzen.

Olivia

Eine Woche lang habe ich jegliche Kräuter aus der Umgebung gesammelt und sie in meinem Gewächshaus untergebracht. Seit einer Woche arbeite ich an einem Mittel, um mich von der Anziehungskraft zu befreien. Ich habe Wurzeln, Blüten, Blätter und Säfte miteinander gemischt und sie immer wieder an mir getestet. Habe sie mir auf die Haut gesprüht, mich damit eingecremt, sie mir gespritzt oder als Pulver zu mir genommen. Und jedes Mal, wenn ich ein neues Mittel gefunden habe, hatte ich es gleich am nächsten Abend getestet. Ich bin jeden Abend spazieren gewesen, weil ich genau wusste, er würde zu mir kommen. Seine Natur ließ nichts anderes zu, immer hin lief ich an der Grenze seines Territoriums entlang. Welche ich mittlerweile genauso gut kenne, wie meine Westentasche. Aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls war ich jetzt seit zwei Tagen nicht mehr in der Uni und das hatte einen Grund. Meine Experimente machen endlich Fortschritte, denn ich war gestern im Wald unterwegs und er ist mir nicht gefolgt. Obwohl er an der Grenze unterwegs war, denn das hatte er mir geschrieben. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass ich bald am Ende meiner Experimente stehe. Meinen Geruch zu verdecken und mich dadurch vor ihm zu verstecken, ist das eine. Aber die Anziehungskraft zwischen uns nicht mehr spüren zu müssen, ist eine ganz andere Sache.

Während ich also weitere Kräuter und Wurzeln kombinierte, welche sich als nützlich erwiesen haben, kam mir ein weiteres Problem in den Kopf, welches ich irgendwie lösen musste. Wie kann ich sicherstellen, dass es wirkt, ohne dass Xavier irgendwas davon mitbekommt und hat das eine Auswirkung auf ihn? Ich meine, eigentlich dürfte es ihn nicht sonderlich beeinflussen. Immerhin werde nur ich dieses Mittel benutzen, sollte ich eines finden. Also wäre diese Sache schon einmal gelöst. Die viel schwierigere Sache ist, mein Mittel in seiner Gegenwart zu testen, ohne dass er etwas ahnt. Während ich also weitere Reagenzgläser mit potenziellen Mitteln füllte, zerbrach ich mir den Kopf über das andere Problem. Außerdem muss ich auch noch klären, wie lange die Wirkung anhält. Denn ich möchte keine Überraschungen erwarten müssen, weil die Wirkung früher nachlässt als gedacht. Ich lehnte mich also kurz in meinem Stuhl zurück und entspannte mich ein wenig, während ich die neuen Formeln in mein Notizbuch kritzelte. Vielleicht sollte ich ihm eine Nachricht schreiben und mich für meine Abwesenheit entschuldigen. Nicht, weil es mir leid tut, sondern um meine neuen Prototypen zu testen. Auch wenn ich mich innerlich schlecht fühle, ihn für sowas auszunutzen, so ist es dennoch das Richtige.

Niemand sollte durch irgendeine unsichtbare Macht an jemanden gebunden oder aus meiner Perspektive an jemanden gekettet werden. Und schon gar nicht gegen seinen Willen. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. So steht es zu mindestens in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Also sollte es jedem Menschen auch möglich sein, frei über sein Leben zu entscheiden. Niemand sollte einen anderen Menschen als seinen Besitz betrachten. Doch genau das, scheinen Werwölfe nicht zu verstehen. Wir sind kein Eigentum, den man besitzen kann. Sollen sie das doch mit ihresgleichen machen. Mir egal. Solange sie mich dabei in Ruhe lassen, aber natürlich war das wieder zu viel verlangt vom Leben. Es hatte schon immer etwas gegen mich. Erst ist mein Vater Opfer werwölfischer Gewalt geworden und jetzt wurde ich auch noch mit einem von ihnen gepaart. Allein wenn ich daran denke, stellen sich bei mir die Nackenhaare auf und das nicht im positiven Sinne. Xavier hat sich definitiv den falschen Menschen für seine Liebschaften ausgesucht oder die Mondfrau eher, wie auch immer sie ihre Gottheit nennen. Meiner Meinung nach ist das Ganze eh völlig verzogen. Wer betet schon eine mysteriöse Frau aus dem Mond an, welche willkürliche zwei Menschen auf magische Art und Weise miteinander verbindet und behauptet, sie wären Seelenverwandte. Völliger Blödsinn. Aber wer fragt schon einen Menschen, wie mich.

Xavier

Ich saß gerade mit den wichtigsten Vertretern meines Rudels an einem Tisch, als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Wir waren zwar gerade in einem wichtigen Gespräch, aber einen kurzen Blick konnte ich dennoch wagen. Immer hin gibt es wenige, die mich jetzt stören würden und ich hatte bereits eine kleine Vorahnung, wer das sein könnte. Ich zog es also vorsichtig aus der Tasche und blickte auf das Display. Bereits als ich den ersten Buchstaben sah, musste ich augenblicklich lächeln. Olivia hatte mir geschrieben, ob wir uns heute Abend im Wald treffen wollen. Zu einem nächtlichen Spaziergang oder ähnlichem. Mein Wolf heulte in mir fröhlich auf, während ich bereits jetzt die Stunden zählte, bis die Sonne unterging. Auf die Diskussion zwischen meinem Beta und Gamma konnte ich mich schon gar nicht mehr konzentrieren, bis ich von beiden angestarrt wurde und es plötzlich still wurde. Ich räusperte mich und sah sie fragend an. „Was habe ich verpasst?" Mein Bruder sah mich schlechtgelaunt an und auch mein Gamma Maxwell verschränkte die Arme vor der Brust. „Seit wann ist der Alpha bei einem Meeting nicht mehr bei der Sache?" „Das ist nicht das erste Mal, dass das passiert." „Was ist denn zurzeit nur los?" Waren nur einige Kommentare meines inneren Kreises, doch bevor ich etwas sagen konnte, mischte sich bereits mein Bruder ein. „Ja, Xavier. Was ist eigentlich zurzeit los?"

Ich rümpfte die Nase und knurrte leicht auf. „Tu nicht so unwissend. Du weißt genau, was los ist." Ich stand von meinem Stuhl auf und richtete meine Kleidung. „Alpha. Entschuldigt meine Wortwahl, aber sie sind nicht bei der Sache. Schon seit Tagen. Ein Rudel ohne fokussierten Alpha funktioniert nicht." „Müssen wir uns Sorgen machen?" Mein Bruder sah mich wieder wissend an, doch verkniff sich ein Kommentar. „Nein!" Knurrte ich schlecht gelaunt und wollte gerade gehen, als mich mein Beta wieder zum Stehen brachte. „Xavier. Du musst es ihnen sagen. Sie haben ein Recht, es zu wissen." Ich drehte mich mit Schwung zu ihm um, packte ihn am Hals und hielt ihn hoch. „Einen scheiß müssen sie! Ich allein entschiede, wann und wem ich es sage!" Ich quetschte diese Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. „Und solange nichts sicher ist, wirst du deine Füße stillhalten: Hast du mich verstanden!" Ich formulierte es nicht als Frage, sondern als Befehl. Meine Alphaaura hatte wieder einmal meinen Körper verlassen und die Ranghöchsten Mitglieder meines Rudels zeigten ihre Unterwürfigkeit, indem sie ihren Nacken freilegten. Nachdem sich mein Bruder ein klägliches „Ja, Alpha" herauszwang, ließ ich ihn los und richtete mein Hemd. „Wenn ihr mich also entschuldigt. Ich habe wichtigeres zu tun, als mich mit haltlosen Fragen durchlöchern zu lassen. Wem sein Leben lieb ist, sollte sich künftig drei Mal überlegen, ob er mich reizt." Mit diesen Worten verließ ich den Konferenzraum und lief auf direktem Weg in den Wald. Denn nun musste ich einen anderen Kampf bestreiten. Den Kampf, um meine Gefährtin.

Der Hass meiner Gefährtin Where stories live. Discover now