Kapitel 30 - Und wieder auf Anfang

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Olivia

Heute war es so weit. Heute sollte ich entlassen werden. Doch um ehrlich zu sein, war ich mir nicht wirklich sicher, ob ich das überhaupt wollte. Ich meine, ich hatte mich an das hier gewöhnt. Jeden Tag umsorgt zu werden. Jeden Tag mit jemanden zu reden und irgendwie half mir das. Ich fühlte mich weniger allein, so wie ich es anscheinend die letzten Wochen gewesen war, da meine Mutter mehr unterwegs als zuhause war. Ich seufzte also als die Vorhänge aufgezogen wurden und mich die liebliche Stimme einer Krankenschwester aus den Gedanken riss. „Guten Morgen Liebes." Trällerte sie fröhlich und stellte das Frühstück auf den Tisch neben meinem Bett ab. Ich grummelte nur und zog die Bettdecke über meinen Kopf. „Aufstehen!" Rief sie leicht empört, aber dennoch fröhlich und zog die Bettdecke weg, sodass ich die Augen öffnen musste. „Es ist zu früh." Rief ich nur und drehte mich auf den Bauch. „Papperlapapp. Es ist bereits halb neun. Wir haben dir schon eine Stunde mehr gegeben als den anderen." Wieder grummelte ich nur und suchte ihren Blick. „Ich verstehe generell nicht, warum ihr uns so früh weckt. Was soll man denn den ganzen Tag machen, wenn man Bettruhe hat? Es gibt keinen Fernseher, raus darf man auch nicht. Das ist pure Folter. Ein Wunder, dass noch niemand vor Langeweile gestorben ist." Sie kicherte, während sie vor meinen Bett stand und die Hände in die Hüften stemmte.

„Wenn ich mich recht erinnere, wirst du heute entlassen. Das sollte doch ein Grund zum Feiern sein und nicht zum Schmollen." Mahnte sie, während ich immer noch in meinen Bett lag und sie griesgrämig an schmollte. „Ist ja gut. Du hast gewonnen." Ich streckte mich ausgiebig, ehe ich meine Beine vorsichtig über die Bettkante schwang und in das Bad schlürfte. „Und Schätzchen?" Ich lugte aus der Badezimmertür hervor, um sie fragend anzusehen. „Ich habe gehört der Alpha will dich heute abholen. Also mach dich hübsch." Sie zwinkerte mir zu, ehe sie aus der Tür verschwand und den nächsten Patienten quälte. Der Alpha holt mich ab. Was für ne Ehre. Dachte ich mir kopfschüttelnd, während ich meine Zähne vor dem Spiegel putzte. Während ich mich also im Spiegel, beim Vorgang meine Zähne zu säubern, betrachtete, fiel mir auf, dass meine Haare schon ewig nicht mehr gewaschen wurden. Ich beschloss also duschen zu gehen, nachdem ich die Zahnpasta ausgespuckt und meinen Mund ausgespült hatte. Ich entledigte mich meines Krankenhemdes, ehe ich mich mit den Händen auf dem Waschbecken abstützte. Ich kroch so nah an den Spiegel heran, um jede Kleinigkeit wahrnehmen zu können. Doch das, was ich sah, stimmte mich nicht sonderlich fröhlich. Meine Augenringe waren tiefschwarz und meine Wangen eingefallen. Meine Knochen stachen an sämtlichen Körperstellen hervor. Ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.

Ich schüttelte den Kopf. Sah ich schon immer so aus? Ich meine, ich war schon immer dünn. Das war nichts neues. Deswegen versteckte ich meinen Körper unter weiten Klamotten aber das, was ich jetzt im Spiegel zu Gesicht bekam, sah beinah krankhaft aus. Ungesund, unnatürlich und fast schon magersüchtig. Ich wand meinen Blick von dem Spiegel ab, ehe ich in die Dusche stieg und mich von dem warmen Gefühl einhüllen ließ. Doch egal, wie sehr ich mich auf das Haarewaschen oder das einseifen meines Körpers konzentrierte, ich wurde diese Gedanken nicht los. Was war vor diesem Unfall passiert? Warum sehe ich so abgemagert aus? Wer war schuld an meinem körperlichen und gesundheitlichen Zustand? Bin ich allein dafür verantwortlich oder gab es da noch andere Gründe? Ich stellte das Wasser mit einem weiteren Kopfschütteln ab, ehe ich mir ein Handtuch griff und mich abtrocknete. Danach ging ich zurück in das Zimmer und zog mir eine graue Jogginghose und ein schwarzes Shirt an. Was anderes hatte mir Xavier leider nicht mitgebracht. Umgezogen setzte ich mich zurück auf das Bett und widmete mich dem Frühstück, welches sich aus zwei Brötchen, einem Joghurt, Schokomüsli sowie Obst zusammensetzte. Wahrscheinlich hatte man auch hier bemerkt, dass ich untergewichtig war und gab mir mehr zum Essen. Beschweren werde ich mich aber nicht. Warum denn auch? Ich fing also an alles in meinen Magen zu stopfen, ehe ich mich vollgefressen auf das Bett legte.

„Verdammt tat das gut." Ich rieb meinen Bauch und streckte mich erneut, ehe ich von einer weiteren Krankschwester unterbrochen wurde. „Na endlich. Das hat ja ewig gedauert." Sie schüttelte den Kopf, lächelte mich aber zeitgleich an. „Wir dachten schon das wäre zu viel Essen, aber wie es aussieht, hatte da jemand einen riesigen Hunger." Sie deutete auf das leere Tablet in ihren Händen und sah mich wissend an. Ich zuckte nur unschuldig mit den Schultern. „Gutes Essen sollte man nie verschmähen." Sie lachte, ehe sie das Zimmer verließ und mir noch etwas aus dem Flur zurief. „Um Elf wirst du abgeholt." Ich nickte nur. Wissend, das sie es eh nicht sehen konnte. Dann habe ich noch genau eine Stunde, dachte ich mir, während ich auf die Uhr an der Wand mir gegenüber starrte. Ich raffte mich also schwermütig auf, stiefelte in das Bad herüber und fing an meine Haare zu föhnen und zu kämmen. Nachdem ich fertig war, band ich sie mir zu einem halbhohen Zopf, wobei mein Mittelscheiten zu sehen war. Zum Schluss zupfte ich ein paar Strähnen heraus, welche mein Gesicht umspielten. Ich sah mich in dem Spiegel an und nickte mir zu. Besser wird es eh nicht. Ich lief also zurück in das Zimmer und warf einen weiteren Blick auf die Uhr. Noch dreißig Minuten. Vielleicht wäre es angebracht meine wenigen Sachen zusammenzupacken, welche Xavier mir geholt hatte.

Ich frage mich nur, warum mich der Alpha abholt und nicht er. Immerhin hat er mich gefunden und sich um mich gekümmert. Von dem Alpha fehlte bis jetzt jede Spur. Ich zuckte also mit den Schultern und wollte mir nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen. Vielleicht will er nur sehen welchen Menschen er hier beherbergt hat und sicher gehen, dass ich keine Gefahr für das Rudel darstelle. Ich nahm daher das letzte T-Shirt aus den Schrank, faltete es sorgfältig zusammen und legte es auf das Bett, zu den anderen Sachen, welche ich von Xavier bekommen hatte. Anschließend lief ich in das Bad und steckte die Zahnbürste samt Zahnpasta und meine Bürste in einen Plastikbeutel, ehe ich zurück ging. Auf dem Bett lagen also eine Jogginghose, zwei T-Shirts, ein Pullover und die Plastiktüte mit den Utensilien aus dem Bad. Ich sah mich in dem Raum um, auf der Suche nach einem Rucksack oder einer Tasche, in der ich alles verstauen könnte, doch wurde nicht fündig. Als ich nochmal einen Blick in den Schrank warf, wurde ich durch ein Klopfen unterbrochen. „Ich hoffe du bist angezogen, denn ich komme jetzt rein." Dröhnte die Stimme von Xavier und sorgte für eine Gänsehaut auf meinen Armen. Ich lugte also hinter der Schranktür hervor und sah ihn irritiert an. „Wieso sollte ich nicht angezogen sein? Und warum betrittst du den Raum ohne Erlaubnis?" Ich grinste ihn an, doch er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht und weil ich es kann?" Ich rollte nur mit den Augen, ehe mir einfiel, dass mich doch der Alpha abholen wollte.

„Aber eine andere Frage. Was machst du hier?" Er legte den Kopf schief und sah mich irritiert an. „Wie, was mache ich hier? Ich hole dich ab. Wonach sieht es denn aus." Er sah mich verwirrt an. „Mir wurde heute Morgen gesagt der Alpha holt mich ab." Gab ich nur zurück. „Der Alpha also." Sagte er mit einem Hauch von Enttäuschung in der Stimme, während ich weiter in dem Schrank nach einer Tasche suchte. „Alpha? Hätten sie kurz eine Minute." Rief eine Krankenschwester auf dem Flur, was mich meine Suche erneut unterbrechen ließ. Ich wollte gerade Xavier fragen, ob er etwas dabeihätte, wo ich meine Sachen drin verstauen konnte, doch das Zimmer war leer. „Hä?" Gab ich nur von mir und lief durch die geöffnete Tür auf den Flur. „Wenn sie dann hier unterschreiben würden, Alpha." Hörte ich wieder die Krankenschwester, doch ich konnte niemanden erkennen. „Könnten sie bitte aufhören mich Alpha zu nennen, solange Olivia in der Nähe ist?" Hörte ich jetzt die Stimme von Xavier, was mich auf quieken ließ. Ich stolperte einen Schritt zurück und fiel auf meinen Po, als mir schwarz vor Augen wurde und mich eine Welle an Erinnerungen traf. „Alpha. Ich .. was machst du hier?" Wir befanden uns vor einem schönen Haus, in der Tür stand ein weiterer Werwolf, welcher Xavier sehr ähnlich sah und sein Bruder zu sein schien. „Xander. Sei nicht so förmlich. Wir sind privat hier." Wir traten in das Haus ein und mir wurde bewusst, dass Xavier der Alpha war.

Die ganze Zeit über und er hatte nichts erwähnt. Ich schüttelte den Kopf und rieb mir die Augen, ehe ich wieder etwas sehen konnte. Ich blickte mich irritiert um, als ein panisch aussehender Xavier auf mich zukam und sich zu mir auf den Boden kniete. „Olive? Geht es dir gut? Was ist passiert?" Er tastete meinen Körper nach Verletzungen ab, doch ich war immer noch völlig überwältigt und brachte nur ein Wort heraus. „Alpha." Sein Blick änderte sich und neben Panik, sah ich jetzt noch Enttäuschung. „Bist du auf den Kopf gefallen?" Er bewegte seine Hand zu meiner Wange, was eine wohlige Wärme und ein angenehmes kribbeln auslöste. Fast hätte ich mein Gesicht an seine Hand gelehnt und dieses Gefühl genossen, doch ich schüttelte den Kopf. „Du .. ich dachte, dass .." Doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Seine Augen sahen mich entschuldigend an. „Du bist der Alpha." Brachte ich nur fassungslos heraus und sah ihn mit großen Augen an. Er ließ seinen Kopf samt Hand sinken und plötzlich umhüllte mich keine Wärme mehr. Es fühlte sich nicht mehr an, als würden Tausend Ameisen über meine Wange laufen und ich sehnte mich bereits jetzt zurück. „Komm steh erst einmal auf." Er half mir hoch, ehe er sich abwendete und das Zimmer verließ. Ich stand immer noch völlig benommen in dem Raum, nicht wissend, was gerade passiert war. Doch Xavier kam bereits mit einem Rucksack zurück und fing an die Sachen vom Bett in diesem zu verstauen, ehe ich mich aus meiner Starre befreite und ihm dabei half.

„Warum hast du nichts gesagt?" Fragte ich leise in die Stille und schielte zu ihm rüber, als unsere Hände gleichzeitig nach der Plastiktüte mit den Badezimmer-Utensilien griffen. Ich spürte wieder dieses Kribbeln, was meinen Körper in Aufregung versetzte, ehe ich meine Hand zurückzog. „Lass uns unten reden. Hier gibt es zu viele Ohren." Er deutete auf den Flur, auf welchem sich drei Krankenschwester unnötigen Arbeiten widmeten. Ich nickte nur und ließ ihn den Rucksack nehmen, ehe wir das Zimmer verließen und auf den Fahrstuhl zusteuerten. Xavier drückte den Knopf und kurz darauf öffneten sich die Türen. Im Fahrstuhl angekommen, richtete ich wieder meinen Blick nach oben und sah ihn immer noch fragend an. Doch er starrte weiterhin geradeaus. „Was hätte ich denn sagen sollen." Gab er nur bedrückt von sich, meinen Blick meidend. „Das ich der Alpha bin? Der große böse Wolf, für den du mich eh schon hältst. Was hätte das geändert." Ich runzelte die Stirn. „Ich halte dich nicht für den großen bösen Wolf." Gab ich leicht eingeschnappt von mir. „Doch, das tust du. Deine Erinnerungen kommen zurück. Früher oder später. Ich dachte nur .." Doch er unterbrach sich, als die Türen des Fahrstuhls aufgingen und wir in Richtung Parkplatz liefen. Dort angekommen beendete er seinen Satz. „Es lief so gut, die letzten Tage. Ich wollte das nicht kaputt machen. Aber egal was ich mache oder eben nicht mache. Du wirst deine Meinung nicht ändern." Ich blickte verhalten auf den Boden. „Spätestens, wenn all deine Erinnerungen zurück sind, wirst du mich für genau das halten, was ich in deiner Welt bin. Ein Monster."

Der Hass meiner Gefährtin Where stories live. Discover now