Kapitel 46 - Tag ein, Tag aus

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Olivia

Schlafen gehen, aufwachen, feststellen, dass ich immer noch an das Bett gefesselt war, mit Xavier Frühstücken, irgendwie den Tag herumbekommen und wieder mit Xavier Abendbrot essen. So ging das jetzt schon eine ganze Woche. Jeder Tag glich dem anderen und so langsam fühlte ich mich, als würde ich mich in einer nie endenden Zeitschleife befinden. Während Xavier bei mir im Zimmer war, beschränkten sich unsere Gespräche auf den üblichen Smalltalk. Wie geht es dir? Den Umständen entsprechend. Was hast du heute gemacht? Ich hielt meinen gefesselten Arm hoch. Und du? Habe mich um das Rudel gekümmert. Das war es auch schon. Kein Gespräch ging über das Übliche hinaus und so langsam fing ich an, mir Gedanken über die Zukunft zu machen. Stellt er sich so die Zukunft vor? Mit mir an sein Bett gefesselt? Nicht fähig überhaupt irgendwas zu tun? Ich hatte sogar Toilettenpausen. Fünf Minuten, in denen er mich los machte und ich mich notdürftig im Bad um alles kümmern konnte. Jetzt war es wieder so weit und er kam auf mich zu, um mich loszumachen. Er schloss zuerst die Fessel an meinem Fuß auf, warf mir dann einen Blick zu, welcher mir verdeutlichte, dass ich bloß nichts versuchen soll, ehe er die Handschellen an meinem Handgelenk öffnete. Er hielt mir die Hand hin, welche ich ergriff, um aufzustehen. Anschließend führte er mich in das Bad und wartete vor der Tür. Aber ihr dürft nicht denken, dass er mich die Tür abschließen ließ. Das Schloss war blockiert, weswegen die Tür immer einen Spalt weit offenstand.

Das war auch der Grund, warum ich seit fünf Tagen nicht auf Toilette war. Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich das geschafft habe, aber so war es nun mal. Doch seien wir ehrlich. Ewig werde ich das auch nicht mehr aushalten können und so langsam wurde mir auch immer unwohler in meiner Magengegend. Dementsprechend saß ich wieder auf dem Klo und versuchte verzweifelt mein Geschäft zu erledigen, doch .. naja. Wirklich funktionieren tat das nicht. Ich schnaufte frustriert und strich mir über das Gesicht. So wird das nichts, dachte ich mir, während ich seinen Schatten vor der Tür sehen konnte. „Könntest du bitte die Tür zu machen." Ich muss verzweifelt geklungen haben, was ich ja auch irgendwie war. Wer konnte schon entspannt auf Klo gehen, wenn vor der Tür jemand stand und wahrscheinlich die Sekunden zählte, bis du hier endlich rauskommst. „Die Tür bleibt offen." Gab er nur kalt von sich, was mich stöhnen ließ. „Bitte. Ich kann nicht auf Klo gehen, wenn du da so stehst." Ich sah, wie er sich bewegte, was mein Herz in die Höhe schießen ließ. „Die letzten Tage hat dich das auch nicht gestört." Gab er nur selbstgefällig von sich, was mich knurren ließ. „Doch, da hat es mich auch schon gestört, aber ich habe nichts gesagt. Aber so langsam wird es unmöglich .." Ich ließ den Satz so stehen, weil ich wirklich nicht in der Stimmung war, mit ihm über meinen Toilettengang zu reden. „Was willst du damit sagen?" Hakte er nun doch nach, was mich resigniert seufzten ließ.

„Ich kann nun mal nicht auf Klo gehen, wenn die Tür offensteht und du direkt davorstehst und alles hören kannst!" Langsam wurde ich wütend. Was ist daran so schwer, mich ganz kurz, für nur fünf Minute allein zu lassen. Ich meine, was soll ich denn schon groß anstellen? Das Fenster war verschlossen und der einzige Ausweg, nach der Tür vor welcher er sich positioniert hatte, aus diesem Raum. Und glaubt mir, das war meine Idee an Tag 1. „Kannst du bitte einfach die Tür schließen und irgendwas anderes machen, als darauf zu warten, dass ich fertig bin." Ich sprach völlig genervt, weil mich sein handeln mit der Zeit wütend machte. Er war mehr als übervorsichtig und überinterpretierte jede Geste von mir. Egal was ich tat oder sagte, er sah in allem nur das Schlimmste. „Warum sollte ich das tun?" Er klang zweifelnd und traute mir immer noch nicht. „Herr Gott Xavier! Was soll ich denn schon machen! Das Fenster ist verschlossen und im Schlafzimmer stehst du! Was soll also groß passieren!?" Ich konnte förmlich spüren, wie er die Nase rümpfte und resigniert ausatmete. „Na gut. Aber denk nicht, dass das jetzt immer so läuft. Ich habe nur nicht mehr die Kraft, mich mit dir zu streiten. Ich schließe die Tür von außen ab und wenn du fertig bist, klopfst du einfach. Verstanden?" Ich nickte, bis mir auffiel, dass er das ja gar nicht sehen konnte. „Jaa! Danke." Und schon klappte die Tür zu und ich hörte das Schloss. Ich atmete erleichtert aus und konnte nach wenigen Versuchen alle Hüllen fallen lassen. Gott, tut das gut, dachte ich mir und entspannte mich sekündlich.

Als ich dann fertig war, wusch ich mir die Hände, ehe ich an die Tür klopfte. Keine Sekunde später wurde die Tür geöffnet und Xavier sah mich skeptisch an. „Weißt du, wir müssen das nicht tun." Ich trat aus dem Bad und ging zurück in das Schlafzimmer. „Was meinst du?" Fragte er irritiert nach. „Na das hier. Das alles. Uns so benehmen. Uns streiten." Ich zuckte mit den Schultern und lief auf das Bett zu. „Du könntest anfangen mir zu vertrauen." Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie stellst du dir das vor? Du bist nicht vertrauenswürdig. Das hast du schon oft genug bewiesen." Ich zog die Augenbrauen zusammen und ging in eine abwehrende Haltung über. „Du hast mir auch keinen Grund gegeben dir zu vertrauen." Er rümpfte die Nase. „Du könntest anfangen mir entgegenzukommen. Ich denke nämlich, dass wir über die Phase hinaus sind, in der du mich an das Bett fesselst." Er lachte ironisch auf und schüttelte den Kopf. „Ach, sind wir das? Was wirst du tun, wenn ich dich nicht mehr ankette? Sobald ich dieses Zimmer verlasse, wirst du die erstbeste Möglichkeit ergreifen und fliehen." Ich dachte kurz über seine Worte nach. Er hatte Recht. Ich will hier immer noch weg. Doch meine Wölfin knurrte bei dem Gedanken daran ihn zu verlassen. Ich rollte nur mit den Augen, aber im nächsten Moment ergriff sie die Initiative und bevor ich reagieren konnte, waren die Worte schon ausgesprochen. „Dann gib uns einen Grund zu bleiben." Ich schrie Ophelia an, wie sie so etwas sagen konnte, doch sie grinste nur selbstgefällig.

Xavier

Hat sie das gerade wirklich gesagt? Oder war das nur Einbildung? Ich wusste, dass sie sich in einem Kampf mit ihrer Wölfin befand, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wiederholte diese Worte immer wieder in meinem Kopf. Gib uns einen Grund zu bleiben. Gib uns einen Grund zu bleiben. Was würde dich dazu bewegen hier zu bleiben? Bei mir. Ich stand immer noch perplex an Ort und Stelle während sie wieder um die Kontrolle kämpfte. Als sich ihre Augen wieder lichteten und mich wieder das kühle blau ansah, wusste ich, dass sie den Kampf gewonnen hatte. „Bild dir nichts darauf ein! Damit das klar ist. Das ist die Meinung von Ophelia, nicht meine!" Sie knurrte und sah mich streng an. Doch bei dem Namen ihrer Wölfin regte sich Xenon und kratzte an der Oberfläche. „Ophelia." Flüsterte er und sehnte sich nach seiner Gefährtin. Doch Olivia stieg zurück auf das Bett und hielt mir ihre Hand und ihr Bein demonstrativ hin, um sie wieder an dem Bett zu befestigen. Gib uns einen Grund zu bleiben. Wiederholten sich die Worte in meinem Kopf. Sollte ich es riskieren? Nein, dafür war es noch zu früh. Ihr Hass auf mich noch zu groß. Doch ich könnte ihr entgegenkommen. Ihr zeigen, dass ich mich bemühte, auf sie einzugehen. Also seufzte ich resigniert und trat auf sie zu. Ich führte ihre Hand durch den Ring der Handschellen und ließ das Schloss klicken. Doch im Gegensatz zu den letzten Malen, ließ ich ihr Bein frei. „Du hast da was vergessen." Wies sie mich giftig auf ihr Bein hin, doch ich schüttelte nur den Kopf. „Nein. Habe ich nicht." Ich lief auf die Tür zu und flüsterte immer noch hörbar. „Ich werde es dir beweisen. Ich werde dir nicht nur einen Grund geben zu bleiben. Sondern mehrere!"

Mit diesen Worten verließ ich mein Schlafzimmer und stapfte die Treppen nach unten, zurück in den Wohn- und Essbereich. Dort ließ ich mich auf die Couch fallen, um tief durchzuatmen. Was mache ich hier eigentlich? Ich rieb mir angestrengt durch das Gesicht. Was kann ich tun? Was soll ich tun? Wie kann ich ihr beweisen, dass ich alles dafür geben würde. Ich würde es ihr so gern sagen oder zeigen. Aber wie? Ich stützte mich auf den Knien ab und blickte aus den Panorama Fenstern. Mein Haus liegt direkt am Wald und ist eines aus der letzten Reihe. Ich habe genug Abstand zu anderen Häusern in meiner Nähe, um meine Privatsphäre zu genießen. Bin aber dennoch nah genug, um im Falle eines Angriffs eingreifen zu können. Ich liebte dieses Haus. Es war alles, was ich mir jemals erträumt hatte. Ausreichend Platz, einen modernen Einrichtungsstil, große Fenster und einen ausladenden Garten. Es gab nichts, was dieses Haus nicht hatte. Bis auf eine, kleine Sache. Es war kein Zuhause. Es wurde nicht von Gelächter erfüllt. Von Stimmen, welche die Räume erfüllten. Von Menschen, welche dem Haus einen gewissen Charme gaben. Herumtobenden Kindern oder einem sich streitenden Paar. Von außen wirkte es verlassen. Keins der unzähligen Zimmer erhellte die Umgebung. Nichts deutete an, dass sich hier drin Leben befand. Lediglich ein kleines Licht machte deutlich, dass dieses Haus bewohnt war. Und das war meine Schreibtischleuchte, wenn ich nachts vor den Büchern saß, mir die Im- und Exporte ansah oder über die Ausgaben grübelte. Wenn ich Verträge unterzeichnete oder mir Briefe durchlas. Die letzten Tage hatte ich nicht in den Schlaf finden können und das obwohl sie hier war.

Die meiste Zeit verbrachte ich damit sie anzusehen. Wie sie seelenruhig schlief. Auf meinem Bett. Allein. Doch so sollte es nicht sein. Ich sollte da liegen und nicht hier sitzen. Ich sollte mit ihr dort liegen. Ich sollte sie in den Armen halten. Ihr zeigen, dass ich da bin, sie beschütze. Doch das konnte ich nicht. Also saß ich hier. Auf dem Sessel. Ihr gegenüber. Lauschte ihrem Atem. „Wie lange sitzt du da schon." Ich schreckte aus meiner Trance hoch und zuckte bei ihren Worten zusammen. War sie das, die da sprach oder habe ich mir das wieder nur eingebildet? Sie öffnete die Augen und durchbohrte mich mit ihrem Blick. „Du bist wach." Kommentierte ich und sah sie immer noch irritiert an. „Wie lange machst du das schon." Sie wirkte erschöpft, aber auch neugierig. „Was?" Ein Seufzen. „Mich anstarren. Während ich schlafe." Ich verzog den Mund. „Ich starre dich nicht an." Sie schloss resigniert die Augen. „Nenn es wie du willst. Es bleibt dabei, dass du mich beobachtest, während ich schlafe. Also ... wie lange schon?" Ich seufzte niedergeschlagen. „Seit du hier bist." Sie nickte. „Die ganze Nacht?" „Die ganze Nacht." Sie schloss wieder die Augen, ehe sie die Decke anhob und mir andeutete, mich zu ihr zu legen. Ich blickte sie überfordert an, nicht wissend, ob sie das ernst meinte. „Ich .." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Entscheid dich. Ewig gilt das Angebot nicht." Ich sah sie noch einmal an, ehe ich mich zu ihr legte. Das Bett war groß genug, um einen gewissen Abstand zueinander zu halten, doch das war okay für mich. Denn seit einer gefühlten Ewigkeit, fand ich in einen ruhigen und erholsamen Schlaf. Mit ihr an meiner Seite. So wie es sein sollte.

Der Hass meiner Gefährtin Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora