Kapitel 34 - Angriff ist die beste Verteidigung

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Xavier

„Alpha? Sie sind an der westlichen Grenze." Ich befand mich mittlerweile wieder in unserem Territorium und ließ mich von Atlas mehr oder weniger freiwillig behandeln, als mich die Stimme meines Gamma erreichte. „Wie viele sind es? Welche Ausrüstung tragen sie bei sich? Irgendwelche Merkmale? Hat man von ihnen gehört?" Ich stand unter Adrenalin, was mich den körperlichen Schmerz für einen Augenblick vergessen ließ. „Du musst stillhalten." Mahnte Atlas, welcher dabei war meine Wunden zu verschließen. Doch ich knurrte nur und wartete auf eine Antwort von Maxwell. „Wie es aussieht sind es zehn Jäger. Sie sind mit zwei Transportern aus Nordwesten gekommen." Ich nickte verstehend, auch wenn er das nicht sehen konnte. „Wie viele Männer stehen zur Verfügung?" Hakte ich nach, in der Hoffnung mehr Antworten zu erhalten. „30 Kämpfer und 5 Fährtenleser. Ihre Waffen sehen veraltet aus, keine Spur von Silber oder Wolfswurz. Dennoch sollte man sie nicht unterschätzen." Teilte er mir mit. „Gut. Informier mich, sobald du weitere Informationen hast." Ich kappte die Verbindung und schnaufte frustriert aus. „Alpha, also wirklich! Wenn du dich weiter so bewegst, kann ich für gar nichts mehr garantieren." Rief unser Rudelarzt wieder empört aus, doch ich bleckte nur meine Zähne und knurrte ihn wütend an. „Sag mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe." Ich rollte mit den Schultern, da es unter meiner Haut juckte.

Doch ich verzog sofort das Gesicht vor Schmerzen. „Ich bin der verdammte Alpha. Ich sollte dort draußen sein! An vorderster Front und mein Rudel verteidigen." Doch was tat ich stattdessen? Sitze hier, wie ein Kleinkind fest, weil mich irgend so ein daher gelaufener Mensch verletzt hatte, welcher zufällig auch noch mit mir verpaart wurde. Atlas rollte nur mit den Augen und verarztete mich weiter. Es gab seit einer Weile keine Jägerangriffe mehr, zu mindestens nicht in unserer Nähe. Da waren diese hier eine willkommene Abwechslung. Außerdem bezweifelte ich, dass sie sonderlich gut informiert, geschweige denn ausgebildet sind. Einerseits fiel mir dabei ein Stein vom Herzen, weil es mich daran erinnerte, dass sie mich vielleicht noch nicht ganz abgeschrieben hatte. Dennoch spürte ich auch den Schmerz, tief in meiner Brust, welcher sich immer wieder verstärkte, wenn ich nur daran dachte, dass sie fort gegangen war. Ohne zurückzublicken. Ich stöhnte frustriert auf, als Atlas erneut durch meine Haut stach und mithilfe dünner Fäden die Wunden verschließen wollte. „Hab dich nicht so." Gab er nur genervt von sich, ehe er sich wieder auf meine Schulter konzentrierte. „Ich kann dir ja mal die Nadel durch die Haut rammen!" Knurrte ich und ballte die Hände zu Fäusten. „Dann sehen wir ja, wie du dich anstellst." Doch er schüttelte nur verlegen den Kopf.

„Im Gegensatz zu dir, habe ich meine Gefährtin nicht verärgert. Aber eines muss ich zugeben. Sie hat ganz schön viel Kraft und Mumm, einen ausgewachsenen Werwolf solch tiefe Wunden zuzufügen." Er klemmt sich die Zunge zwischen seinen Zähnen ein, ehe er sich wieder auf mein Schulterblatt konzentriert. „Es war ein Silberdolch, getränkt in Wolfswurz." Gab ich nur beleidigt zurück, da mich seine Worte an meiner Kraft und Stärke zweifeln ließen. Außerdem hatte ich gerade nicht die Energie, um mich weiter mit ihm auseinanderzusetzten und ihm zu zeigen, wie er sich seinem Alpha gegenüber zu verhalten hatte. „So das wäre es. Die erste Wunde ist verschlossen." Er rückte sich die Brille auf seiner Nase zurecht. „Auch wenn ich es ungern zugebe und unter keinen Umständen dulden kann, dass so etwas je wieder passiert, so muss ich sagen, dass du froh sein kannst, dass dein Vater .." Doch ich ließ ihn nicht aussprechen und brüllte laut. „Zügel deine Zunge!" Ich sprach in meiner Alpha-Stimme, was Atlas sofort den Kopf einziehen ließ. „Erwähne ihn niemals in meiner Gegenwart. Sprich einfach nicht von ihm. Er war ein grausamer Mann und ein schlechter Alpha noch dazu. Es gibt nichts auf der Welt, was seine Taten rechtfertigen kann." Ich sah Atlas durch Blutrote Augen an, was ihn leicht zittern. „Ja natürlich, Alpha." Er räusperte sich, ehe er sich daran machte, die zweite Wunde zu verschließen.

„Ich meine ja nur, wäre er nicht gewesen, würdest du .." Ich grummelte. „Halt die Klappe." Gab ich nur genervt von mir, was ihn verstummen ließ. Er nickte und machte sich daran die Nadel durch meine Haut zu schieben, was mich die Luft anhalten und anschließend frustriert ausstießen ließ. Atlas behandelte mich ohne Betäubung, was mich den Schmerz noch stärker fühlen ließ. Doch meine Körpertemperatur war einerseits zu hoch, als das eine Dosis ausgereicht hätte und auf der anderen Seite wollte ich bei Verstand sein, während mein Rudel angegriffen wurde. Darüber hinaus waren diese Schmerzen nichts gegen den Schmerz, welchen sie mir immer wieder auf neue zugefügt hatte. Das hier, war nur körperlich. Doch Sie. Sie hatte mich tief im Inneren verletzt. Sie hatte mir seelische Schmerzen zugefügt und jedes Mal, wenn ich auch nur an sie denke, kommt alles wieder hoch und lässt mich nicht vergessen, was sie bereit war zu tun, um mich loszuwerden. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte den Schmerz weg zu atmen, was mir zunehmend schwerer fiel. Immerhin gab es noch keine Heilmittel gegen Silberverletzungen oder Vergiftungen durch Wolfswurz. Weswegen mein Körper als auch mein Wolf selber damit klarkommen mussten. Doch seit sie gegangen war, verblasste auch die Präsenz von Xenon, was meinen Heilungsprozess nicht sonderlich unterstützte.

Olivia

Ich lief immer weiter durch den Wald, bis ich endlich das Ende der unzähligen Baumkronen erkennen konnte. Ich raffte meine letzten Kräfte zusammen, ehe ich weiter in Richtung Lichtung stapfte. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, zu meiner üblichen Bushalte zu laufen. Nach Shannon zu fahren und von dort aus in Richtung Flughafen Galway aufzubrechen, um dort den nächstbesten Flug zu nehmen. Aber durch die letzten Ereignisse wurde dieser Plan hinfällig und durch mein überstürztes Aufbrechen, laufe ich nun auch in die entgegengesetzte Richtung. Ich versuche irgendwas auf meinem Handy zu erkennen, doch leider laden die Karten nicht, da ich irgendwo im Nirgendwo gelandet bin. Also krame ich eine alte Landkarte aus meinem Rucksack, welche ich geistesgegenwärtig eingesteckt hatte. Jetzt danke ich meinem Instinkt dafür. Ich versuche also zu erahnen, wo ich bin. Von weitem erkenne ich eine Straße, auf welche ich zulaufe. Hoffentlich führt mich diese in die nächstgrößere Stadt. Ich seufzte bei dem Gedanken daran, wie viel noch vor mir liegt. Es hätte alles so einfach sein können, wäre er nicht gewesen. >Er kann nichts dafür.< Da war sie wieder. Diese quälende Stimme in meinem Kopf, welche sich erhoben hatte, seit ich Xavier den Rücken gekehrt hatte. War es das Gefährtenband, welches mich bereits jetzt zu ihm zog? >Er will uns nur beschützten.< Flüsterte sie wieder, was mich nur den Kopf schütteln ließ.

„Einen scheiß will er. Er will mich besitzen und nicht beschützten. ER ist derjenige vor dem ICH mich schützen muss." Grummle ich eingeschnappt vor mich hin. Oh Gott, es ist so weit. Denke ich mir als ich realisierte, was gerade passiert war. „Ich rede mit mir selber." Gebe ich schockiert zu und raufe mir die Haare. Ich werde verrückt. Es ist so weit. Dazu hat er mich schon getrieben. Ich verliere den Verstand. >Nein tust du nicht.< Ich kneife mir in den Nasenrücken, während ich versuche meine Schläfen zu massieren. „Das ist alles nicht echt. Das ist bloß ein Hirngespinst. Eine durch Verwirrung erschaffene Stimme in meinem Kopf." Wiederhole ich wie ein Mantra, während ich stur auf den Asphalt vor mir blicke. >Du bildest dir nichts ein. Wir sind echt.< Ich lache gestört auf, während mein Auge zuckt. Bitte Gott, hilf mir das zu überstehen. Ich will nicht in der Zwangsjacke enden. >Du musst umkehren.< Hallt sie in meinem Kopf wider und wider, was mich meinen Weg unterbrechen lässt. „Warum sollte ich?" Frage ich gereizt, nicht wissend, was ich sonst tun soll. >Er braucht uns. Wir sind seine Gefährtin.< Ich raufe mir die Haare und schrei so laut ich kann. „Nein! Sind wir nicht! Niemand braucht uns und er schon gar nicht! Und jetzt verschwinde aus meinem Kopf." Ich atme unregelmäßig, dieser Emotionsschub macht mich völlig fertig. Ich setze also meinen Gang fort, nachdem die Stimme nichts erwidert. Vielleicht habe ich es ja geschafft und sie verdrängt.

Hoffe ich innerlich, während ich meine Umgebung genauestens unter die Lupe nehme, um einen Anhaltspunkt zu finden, welcher mir verrät, in welche Richtung ich eigentlich laufe. Etwa eine Meile weiter sehe ich ein großes Gebäude, auf welches ich freudig zulaufe. Es ist eine Kirche , welche mir verrät, dass ich mich in Collierstown befinde. Laut der Karte bin ich die R392 langgelaufen, welche in Richtung Mullingar führt. Ich versuche zu erkennen, wie viel Zeit ich wohl bräuchte, um die Stadt zu erreichen, doch was das betrifft, bin ich völlig aufgeschmissen. Meine Mutter hatte mich nur in den wichtigsten Fächern unterrichtet, was Kartenlesen nicht miteinschloss. Ich versuche also in der Kirche nach einem Ansprechpartner zu suchen, doch diese scheint nicht wirklich bewohnt. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter zu laufen und zu hoffen, jemanden zu finden, der mich aufklären kann. Ansonsten werde ich mich wohl einfach überraschen lassen müssen, was anderes bleibt mir nicht übrig. Aber ein Blick in den Himmel verrät mir unglücklicherweise, dass es bereits dämmert, was mich nicht sonderlich freudig stimmt. Auf einem unbefahrenen Road, in der Dunkelheit herumlaufen ist schon schlimm genug. Das Ganze aber auch noch allein, machte diese Situation nicht sonderlich angenehmer. Ich atmete frustriert aus und puste mir eine Strähne weg, ehe ich meine Schultern straffe, die Träger meines Rucksackes greife und mich auf einen langen Marsch vorbereite.

Die Reisetasche hatte ich unterwegs bereits auf meinen Rucksack geknotet, damit sie mir nicht im Weg ist und ich die Hände frei hatte. Auch wenn es mir mein Rücken nicht dankt, so war es dennoch die beste Lösung. Ich bleibe also weiterhin am Rand der Straße und laufe weiter geradeaus. Vorbei an kleinen freistehenden Häusern oder bewohnten Grundstücken. Ich komme an mehreren Abbiegungen vorbei, doch vermeide eine solche zu nehmen. Ich habe ein Ziel vor den Augen. Eine möglichst große Stadt zu erreichen, welche nicht allzu weit entfernt von seinem Rudel ist, meinen Geruch verdeckt und in der ich untertauchen kann. Ich laufe also immer weiter, versuche nicht stehen zu bleiben, auch wenn meine Beine und Füße bereits schmerzen. Ich blicke auf mein Handy, welches mir anzeigt, dass ich bereits seit mehr als drei Stunden unterwegs bin, was ich deutlich spüre, doch aufgeben ist keine Option. Während ich also versuche an etwas anderes zu denken, schweifen meine Gedanken zu Xavier und seinem Rudel. Auch wenn ich erst wenige seiner Mitglieder kennengelernt hatte, so frage ich mich, wie es ihnen ergeht. Mit den Jägern und dem Angriff. Ein Teil von mir fühlt sich schuldig, ihm das angetan zu haben. Der andere Teil in mir meint er hatte das verdient, nachdem er mich unfreiwillig markiert und angegriffen hatte. Ich befand mich also in einem Zwiespalt. Gefangen zwischen Gut und Böse. Nicht wissend, welche Seite die Oberhand behalten würde.

Der Hass meiner Gefährtin Where stories live. Discover now