Kapitel 29 - Pläne schmieden

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Olivia

Mich erfasste eine Welle an Gefühlen, welche mich unter ihr zu begraben schien. Sehnsucht, Trauer, Zuneigung, Verzweiflung, Freude, Angst, Reue und Dankbarkeit waren dabei nur einige von ihnen. Ich wusste nicht, ob es meine eigenen waren oder die meines Gegenübers, welche er durch den Blickkontakt auf mich projizierte oder welche ich meinte, in seinen Augen zu erkennen. Vielleicht war es eine Mischung aus beidem. Ich kann mir kaum vorstellen, dass einer allein so viel auf einmal fühlen konnte. Und obwohl ich eigentlich überfordert sein müsste, von solch einer Gefühlswelle überrollt zu werden, war ich es nicht. Im Gegensatz. Ich fühlte mich stark, sicher. Als wüsste ich genau, wie ich damit umzugehen hatte. Also tat ich das einzig vernünftige und deutete ihm mit meinen Augen an, sich wieder auf den Stuhl zu setzten, bei mir zu bleiben und sich mit mir zu unterhalten. Mein Vater sagte früher immer, verlange nie etwas, ohne selbst etwas zurückzugeben. Ich werde ihm also etwas geben und im Gegenzug, will ich Antworten. Auf meine Fragen und was mir sonst noch alles einfällt. Doch jetzt war ich erstmal an der Reihe etwas zu geben. Und genau das tat ich jetzt. „Ich kann mich an vieles nicht erinnern, was echt beschissen ist. Aber was ich weiß, ist, dass ich dich kenne. Ich weiß nicht woher oder warum, aber ich kenne dich. Und ich weiß auch, dass ich dich nicht sonderlich mag, obwohl ich nicht wirklich weiß warum. Aber da gibt es noch diese andere Seite in mir. Die dich kennenlernen will. Also wenn du mir deinen Namen verraten würdest, wäre das schon mal ein Anfang."

Ich versuchte so gefasst und neutral wie möglich zu klingen. Versuchte meine Stimme aufrecht zu erhalten, sie nicht versagen zu lassen. Mir nicht anmerken zu lassen, dass mich seine Präsenz immer noch sehr stark einnahm. Und ich glaube das war mir einigermaßen gelungen. Immer hin schien sich die Stimmung meines Gegenübers verändert zu haben. Er saß mir jetzt wieder auf dem Stuhl gegenüber und schien weniger deprimiert. Er strahlte sogar etwas Euphorie aus, welche sich auch auf mich auswirkte, als er mir seinen Namen nannte. „Xavier. Mein Name ist Xavier." Ich nickte ihm zu und ließ den Namen über meine Lippen gleiten „Xavier. Schön dich kennenzulernen, erneut." Ich schmunzelte leicht, weil mir diese Situation so suspekt vorkam, doch auch ihn schien ich mit meiner Aussage aus der Reserve gebracht zu haben. Denn sein vorher noch so monotones Gesicht zierte jetzt ein leichtes Mundwinkelzucken. Damit war dann wohl das Eis gebrochen, oder zu mindestens so ähnlich. Während ich also versuchte alle möglichen Fragen zu klären, welche ich mir nicht beantworten konnte, so gab Xavier sein bestes mir die Antworten zu liefern. Auch wenn er das ein oder andere Mal eher verhalten reagierte und ich mir mehr als sicher war, dass er mir auch das ein oder andere Detail verschweigt. Aber das ist vermutlich normal, denke ich jedenfalls. Dennoch hoffe ich, dass sich die Puzzleteile, lieber früher als später, in meinem Gedächtnis zusammensetzten und ich mich dann nicht mehr so verloren fühle.

Xavier

Sie löcherte mich mit Fragen, als gäbe es kein Morgen mehr. „Wann und wie haben wir uns kennengelernt? Warum mag ich dich nicht aber irgendwie doch? Gibt es etwas das ich wissen muss? Auch über uns? Wie kam es zu dem Unfall?" Waren dabei nur einige. Ich versuchte natürlich mein möglichstes, um all diese Lücken zu schließen, obwohl ich bei manchen Dingen, die ein oder andere Komponente wegließ. Besonders als sie darauf zu sprechen kam, in welcher Beziehung wir zueinanderstehen. Ich wollte nicht wieder den gleichen Fehler machen und mit der Tür ins Haus fallen, besonders da das beim ersten Mal do gut funktioniert hat, nicht. Dennoch fühlte ich mich auf der anderen Seite wieder schlecht, da ich ihr doch ein paar wichtige Elemente verschwieg. Aber für den Anfang musste das erst einmal reichen. So zu mindestens Atlas, welcher mich gewarnt hatte, nicht alle Bomben auf einmal platzen zu lassen. Spätestens wenn ihre Erinnerungen zurückkommen, werde ich mich mit dieser Angelegenheit wieder auseinandersetzen müssen. Doch bis dahin werde ich alles geben, um sie von mir zu überzeugen. Immer hin habe ich dadurch eine zweite Chance bekommen. Und es besser zu machen als beim ersten Mal und diese Möglichkeit werde ich nicht versäumen. So zu mindestens der Plan, wer weiß, was mir dieses Mal in die Quere kommt. Spätestens die Zeit, könnte mir einen Strich durch die Rechnung machen, doch jetzt wollen wir erstmal nur vom Besten ausgehen.

Nach zwei Stunden Verhör und kritischen Blicken ihrerseits, wenn ich meine Antwort zum Besten gab, wurden wir von Atlas unterbrochen, welcher von mir verdonnert wurde, ihre Werte zu prüfen. Er war nun mal der Beste hier und meine Gefährtin hatte genau das verdient. Besonders nach solch einer Tragödie. Allein wenn ich daran denke, dass das Ganze auch hätte anders enden könnte, ließ in mir wieder die Gänsehaut und eine gewisse Furcht aufflammen. Mehr als ein Jahrzehnt hatte ich darauf gewartete, sie endlich zu treffen. Die eine, welche von der Mondgöttin bestimmt wurde, an meiner Seite zu stehen. Die eine, welche mich ergänzen sollte. Meine bessere Hälfte, die Frau, welche mich beruhigen kann. Das passende Puzzlestück zum Glücklich sein. Ich würde alles geben. Alles für sie tun, damit sie glücklich ist. Nur um mich in ihren Ozeanblauen Augen zu verlieren, die rosigen Lippen zu sehen, welche sich zu einem zuckersüßen Lächeln verziehen und mich zum Schmelzen bringen. Obwohl wir uns kaum kennen und sie noch nicht von mir markiert wurde, bin ich ihr jetzt schon verfallen, wie ein Welpe dem Spielzeug. „Ich denke deiner Entlassung in zwei Tagen sollte nichts im Wege stehen." Ich wurde von Atlas aus meinen Gedanken gerissen, welcher mit Olivia zu reden schien. Entlassung? Nein. Auf keinen Fall. Das geht nicht. Das ist zu früh. Sie ist noch nicht bereit dafür. Noch nicht geheilt, wer weiß ob noch Nebenwirkungen auftreten. Sie ist doch so klein und verletzlich.

Ich bin noch nicht bereit dafür, sie gehen zu lassen. Ich brauche sie. Hier, bei mir. An meiner Seite. Ich konnte ein aufkommendes Knurren nicht unterdrücken, weswegen die Augen jetzt wieder auf mir lagen. „Alles in Ordnung?" Fragten beide fast gleichzeitig, was mich stürmisch aufstehen ließ. „Ja. Ich muss nur mit Atlas etwas klären." Sagte ich forsch und verließ kurz darauf das Behandlungszimmer, um in sein Büro zu gehen. Nachdem auch er eingetreten war, fing ich direkt an. „Du kannst sie nicht entlassen. Das ist noch zu früh. Ihr Körper zu schwach. Sie muss weiterhin beobachtet werden. Ihre Vitalwerte sowie Herzfrequenz täglich gemessen werden, um Schwankungen frühzeitig zu erkennen." Ich redete mich in Rage, während Atlas nur grinsend den Kopf schüttelte. „Xavier. Ihr geht es gut. Die Werte sind seit mehr als einer Woche im Normalbereich. Außerdem hat sie auch wieder an Gewicht zugenommen. Es gibt keinen Grund sie länger hierbehalten." Ich runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. „Und was war das dann vorhin? Als ihre Herzfrequenz in die Höhe schoss? Das sind Abnormitäten. Außerdem ist sie immer noch ein Mensch, sie heilt nicht so schnell wie Werwölfe und .." Doch ich kam nicht weiter, da mich Atlas unterbrach. „Xavier .. diese Abnormität, wie du es nennst. Du weißt genauso gut wie ich, welchen Grund es dafür gab."

Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Ich glaube eher, dass du sie nicht gehen lassen willst. Habe ich recht?" Er legte mir die Hand freundschaftlich auf die Schulter. Was mich einerseits zwar beruhigte aber Xenon innerlich wütend machte. „Niemand nimmt uns unsere Gefährtin weg." Knurrte er und fixierte Atlas. „Keiner nimmt sie euch weg. Aber denkst du nicht, dass es besser wäre, wenn sie wieder in ihre alte Umgebung zieht. Das gibt ihr Sicherheit und vielleicht erinnert sie sich dann wieder." Er sah mich aufmunternd an, was meinen Wolf jedoch nur noch mehr reizte. „Und wenn wir nicht wollen, dass sie sich erinnert? Wenn wir es gut finden, wie es ist." Atlas' Blick veränderte sich zu skeptisch und irritiert, während ich einen inneren Kampf um die Kontrolle mit meinem Wolf führte. „Das ist .. also, ich weiß nicht .." Er wusste nicht, was er sagen sollte und als ich Xenon in die hinterste Ecke meines Daseins verbannt hatte, versuchte ich das Chaos, für welches er verantwortlich war, zu begrenzen. „Ich meine damit, sie erinnert sich nicht an die Fehler, welche ich begangen habe. Dass ich ein Arsch war, welcher besessen von der Idee war, dass der Seelenpartner freiwillig zu einem kommt. Ich habe eine zweite Chance erhalten und will es nicht versauen. Nicht noch einmal. Ich kann sie nicht verlieren. Das weißt du genauso gut wie ich. Das Rudel und ich brauchen sie."

Sein Blick war zwar immer noch etwas verstört, dennoch schien er zu nicken und mich zu mindestens teilweise zu verstehen. „Nun ja, da hast du natürlich Recht. Ein Rudel ohne Luna kann nicht existieren. Es verliert an Stärke und Macht. Dennoch kannst du sie hier nicht einsperren und schon gar nicht unter dem Vorwand sie wäre nicht gesund." Ich massierte meine Schläfen und lief in dem Raum umher. „Ich weiß das. Ich weiß. Natürlich kann ich sie nicht einsperren und will ich auch nicht. Aber was kann ich sonst tun? Ich brauche sie, hier, bei mir." Ich sah unseren Doc an, welcher schwer am Überlegen war und sich am Kinn kratzte. „Wann hast du sie getroffen?" Ich knurrte bei dem Gedanken daran. „Vor ungefähr drei Monaten." Es war nicht üblich, solange mit der Markierung zu warten, besonders da die Mate-Verbindung ihr übriges tat. Dennoch war es besonders bei Menschen nichts außergewöhnliches, da viele überfordert waren und das Ganze nicht verstanden. Ich für meinen Teil jedoch, war schon etwas frustriert, da wir immer noch kein Stück weitergekommen sind und noch fast am Anfang stehen. „Hmm. Ja, das könnte problematisch werden. Besonders da in wenigen Wochen die Hitze einsetzt." Die Hitze. Etwas, das ich komplett ausgeblendet hatte. Sie kommt zwei Mal im Jahr und trifft dich völlig unerwartet. Im Prinzip funktioniert es genauso, wie die Anziehungskraft zu deinem Seelenpartner. Du wirst von einem unwiderstehlichen Geruch angezogen, welcher in der Paarungszeit dagegen von ausgeschütteten Pheromonen verursacht wird.

Da wir sowohl Mensch als auch Wolf sind, spüren wir die Hitze stärker als unsere menschlichen Gefährten. Durch die ausgeschütteten Pheromone werden deine inneren Triebe geweckt und der Paarungsinstinkt setzt ein. Die Natur drängt unseren wölfischen Teil sich fortzupflanzen, um den Fortbestand der Spezies zu sichern. Besonders ungepaarte Gefährten trifft die Hitze am Stärksten. Es fühlt sich an, als würde deine Haut verbrennen, du stehst völlig neben dir, halluzinierst und fühlst dich von alles und jedem angezogen, wenn sie dich überkommt. Wobei nur der, von der Mondgöttin ausgewählte Partner, die Hitze lindern kann. Ungepaarte Werwölfe suchen sich meist einen Partner für die Saison, um die Hitze gemeinsam zu überstehen und teilweise auch zu genießen. Dabei werden Alphas von dieser Laune der Natur verschont. Sie müssen fokussiert bleiben und sich um das Rudel kümmern. Zu mindestens so lange, bis sie ihren Seelenpartner gefunden haben. „Was so viel bedeutet wie: wir sind richtig am Arsch." Beende ich also mein Gedankenkino und laufe wieder aufgeregt im Raum auf und ab. Ich blicke leicht panisch zu Atlas, dessen Augen plötzlich leuchten. „Du hast nur noch wenige Wochen in denen du sie von dir überzeugen und markieren musst." Ich nickte ihm unsicher zu. „Das ist mir bewusst aber wie zur Hölle soll ich das anstellen?" Er grinste schelmisch und ich wusste, dass er wieder mit einem seiner „tollen Einfälle" ankam. „Wir machen das wie folgt .."

Der Hass meiner Gefährtin Where stories live. Discover now