Kapitel 17 - Drei Tage

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Olivia

Ich saß über meinen Aufzeichnungen und versuchte mich zu konzentrieren, doch mein Handy neben mir vibrierte unaufhörlich, was mich langsam verrückt machte. Ich warf einen kurzen Blick auf das aufleuchtende Display, obwohl ich wusste, wer mir schon die keine Ahnung wievielte Nachricht schickte. Ich drehte das Handy um, sodass ich das Display nicht mehr sehen musste, dennoch ließ mich mein schlechtes Gewissen keinen klaren Gedanken fassen. Drei Tage waren seit unserem Treffen im Wald vergangen. Drei Tage seitdem ich ihn nicht mehr gesehen hatte. Eigentlich müsste so langsam die Wirkung des Matebandes einsetzen aber dank meiner exzellenten Kräutermisch-Künsten, würde ich davon verschont bleiben. Dennoch spürte ich bereits jetzt, dass es mir zunehmend schlechter ging. Ob das an den Tropfen lag oder an der Entfernung zu Xavier, sei erstmal dahingestellt. Fakt ist, ich werde es überstehen. Aber wenn mein Handy nicht gleich aufhört zu vibrieren, schmeiße ich es eigenhändig gegen die Wand. Ich drehte es wütend um, löschte die Nachrichten und Anrufe und schaltete es auf stumm. Kann er nicht eins und eins zusammenreimen? Ich habe kein Interesse! Warum kann er das nicht einfach akzeptieren. Wie deutlich soll ich es ihm noch zeigen? Ja, ich weiß. Das ist seine Natur und er kann sich nicht dagegen sträuben bla bla bla. Dennoch bringt mich das völlig aus der Fassung und macht mich innerlich verrückt. Werwölfe sind so besitzergreifend und lassen sich von nichts und niemanden aus der Ruhe bringen.

Selbst wenn man sie ignoriert. Was ich tue. Und das bereits seit Tagen. Ich ließ also erschöpft den Kopf auf meinen Schreibtisch fallen und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Du konzentrierst dich jetzt noch eine Stunde und dann geht es los zur Uni. Komm, das schaffst du. Motivierte ich mich selbst und versuchte alles unwichtige in die hintersten Ecken meines Gedächtnisses zu drängen. Während ich mir also ansah, in welchen Punkten sich die vier Gruppen der Mikroorganismen unterschieden, legte ich mir schon mal einen Schlachtplan zurecht, wie ich mich unbemerkt zur Uni schleichen könnte. Ich musste noch einiges recherchieren und dafür musste ich in die Universitätsbibliothek. Doch erstens, war meine Mutter wieder zuhause, welche auf einer kurzen Geschäftsreise war und zweitens stehen seit gestern irgendwelche Wölfe in der Nähe unseres Hauses und scheinen es zu bewachen oder beobachten. Ich hatte sie zwar immer nur in der Nacht oder am Abend gesehen, aber wer weiß, was sich der Typ alles einfallen ließ, nur um mich im Auge zu behalten. Während ich also meine Tasche packte, überlegte ich mir das Auto meiner Mutter auszuborgen. Vielleicht hat sie ja einen guten Tag und erlaubt es mir. Dann wäre der erste Punkt schon einmal abgearbeitet. Stellt sich nur noch die Frage, wie ich ungesehen das Haus verlassen kann. Während ich also in meinem Kleiderschrank nach etwas passenden zum Anziehen suchte, stieß mir ein großes Tuch ins Auge.

Augenblicklich musste ich anfangen zu grinsen. Ich schlich also die Treppen nach unten und lugte in das Schlafzimmer meiner Mutter. Es war leer. Verdammt. Das bedeutet sie wird unten sein. Ich versuchte dennoch so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich zu ziehen und schlich den Flur entlang, als ich meine Mutter auf der Couch vorfand. Und das schlafend. Innerlich führte ich einen Jubeltanz auf. Ich flitzte daher durch den Flur, zog meine Schuhe an und verkleidete mich notdürftig, ehe ich mir die Autoschlüssel nahm. Vielleicht sollte ich noch eine Nachricht hinterlassen, dass ich ihr Auto nehme. Aber andernfalls. Was sie nicht weiß, macht sie schließlich nicht heiß. Und solange ich wieder zurück bin, wenn sie noch schläft ist alles gut oder nicht? Ich nahm mir also die Schlüssel und zog die Tür leise hinter mir zu, ehe ich meine Sonnenbrille richtete und in das Auto stieg. Ich bin zwar eine Weile schon nicht mehr gefahren, aber so schwer ist Auto fahren ja eigentlich nicht. Während ich also den Schlüssel umdrehte und das Auto ansprang, legte ich den Rückwärtsgang ein und fuhr von unserer Auffahrt. Den Weg zur Uni kannte ich mittlerweile auswendig, weswegen das kein Problem sein sollte. In weniger als einer halben Stunde werde ich also bereits in der Bibliothek sitzen. Ich sah während der Fahrt ein paar Mal in den Rückspiegel, um auszuschließen, dass ich verfolgt werde, aber da war alles gut. Und ja, so paranoid bin ich in der Zwischenzeit geworden. Diesem Möchtegern Wolf ist alles zuzutrauen und ich will kein Risiko eingehen.

Xavier

„Alpha? Jemand hat das Haus verlassen und ist mit dem Auto weggefahren." Ich sah meinen Gamma an und zog fragend die Augenbraue nach oben. „Wer?" Doch er schien sich nicht sicher zu sein. „Wir wissen es nicht. Wir konnten niemanden so richtig erkennen. Sie trug eine Sonnenbrille und ein Tuch." Er zuckte die Schultern und mied meinen Blick. „Ihre Mutter wird sich wohl kaum verkleiden, wenn sie das Haus verlässt." Ich dachte darüber nach, wie ich jetzt vorgehen könnte. „Findet heraus, wo sie hingefahren ist." Ich deutete Maxwell an, zu gehen, während ich mich wieder auf die Papiere vor mir fokussierte. Und obwohl ich mein Bestes gab, konnte ich mich davon abhalten über sie nachzudenken. Sie ignorierte mich. Und das seit Tagen. Hatte sie einen Grund dafür? Nicht, dass ich wüsste. War es aus Trotz? Wahrscheinlich. Dennoch ließ mich meine Vermutung nicht los, dass die Verbindung zwischen uns, sie wenig bis gar nicht tangierte. Die Anziehung müsste mittlerweile so groß sein, dass sie keinen Tag ohne mich aushält. Während ich mich also Tag für Tag zusammenreißen musste, sie nicht auf der Stelle zu markieren, scheint sie davon völlig unberührt. Einzig und allein meiner Willensstärke, sowie den nächtlichen Besuchen, welche ich ihr abstatte, ist es zu verdanken, dass mein Wolf noch nicht durchgedreht ist. „Ser?" Ich hob meinen Blick, um einem meiner Wächter entgegenzublicken.

„Was?" Gab ich schlechtgelaunt von mir und wartete ungeduldig seine Antwort ab. „Sie ist in die Universität gefahren." Ich nickte seine Information ab und legte den Stift beiseite. „Du kannst gehen." Er verließ keine Sekunde später mein Büro und ließ mich mit meinen Gedanken wieder allein. In den letzten Tagen haben meine engsten Vertrauten und Berater erfahren, dass ich meine Gefährtin gefunden habe. Obwohl ich es gerne noch länger für mich behalten hätte, so drängte mein Bruder darauf, ihnen diese Information mitzuteilen. Immerhin sei es ihre zukünftige Luna und sie hätten ein Recht es zu erfahren. Von wegen. Solange sie noch nicht markiert ist, ist sie nichts weiter als ein Mensch, welcher mit mir gepaart wurde und obwohl ich sie gerne an meiner Seite sehen möchte, so kommt es mir so vor, dass sie da gewaltig etwas dagegen hat. Die ganze Sache. Das zwischen uns. Es kommt mir so surreal vor. Unwirklich. Alles, was sie tut und sagt, ist widersprüchlich. Erst will sie mich erdolchen, dann lässt sie es zu, dass ich ihr näherkomme. Im Krankenhaus wedelt sie wieder mit einer Scherbe vor meiner Nase herum und dann trifft sie sich mit mir im Wald und das freiwillig. Mittlerweile ignoriert sie mich zwar wieder, aber wer weiß, was als nächstes kommt. Mittlerweile traue ich ihr alles zu. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass dieses Verhalten nicht von irgendwo herkommt. Sie hat einen Plan, immer hin ist sie nicht dumm. Ich weiß nur noch nicht welchen.

Während ich also über die derzeitige Situation zwischen mir und meiner Gefährtin nachdachte, bin ich bereits aufgestanden und aus meinem Büro gelaufen. Mein innerer Wolf drängt mich wie selbstverständlich zum Parkplatz und lässt mich in mein Auto steigen. Während ich also Schlüssel umdrehte, beschlossen wir meiner kleinen Chaos-Prinzessin einen Besuch abzustatten. Vielleicht erfahre ich wenigstens heute mehr darüber, was mit ihr los ist. Schön wäre es ja. Denn, obwohl ich es nur ungern zugebe, ich fühle mich seit unserer Begegnung unfassbar hilflos. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bei meinen Rudelmitgliedern war es immer so einfach. Zu mindestens schien es so. Sie haben ihre Gefährtin gefunden, sich ein paar Mal getroffen und kennengelernt und dann das Paarungsritual vollzogen. Okay, bei meinem Bruder war das Ganze zwar auch ein bisschen komplizierter aber innerhalb von einem Monat konnte auch er seine Partnerin von sich überzeugen. Olive und ich sind uns vor genau 35 Tagen begegnet und es kommt mir so vor, als würden wir einen kalten Krieg führen. Während ich versuche nach Lösungen zu suchen, scheint sie der Part zu sein, welchem alles zuzutrauen ist und der jeden Moment den roten Knopf drücken könnte. Da ich das aber mit allem, was ich habe, verhindern möchte, bleibt mir nur der diplomatische Weg. Und der sieht gerade vor, dass ich an ihrem Auto stehe, auf sie warte und anschließend zur Rede stelle.

Olivia

Ich hatte in der Bibliothek alles zusammengesucht, was ich für meine Recherchen brauchte, und verließ gerade das Universitätsgebäude als sich tief in meinem Inneren ein Kribbeln bemerkbar machte. Das fühlt sich nicht gut an, dachte ich mir und hielt meine Bücher fester. Wann hast du noch gleich das letzte Mal die Kräutermischung eingenommen? Heute Morgen? Ich blickte auf die Uhr. Es war nach sechs. Das bedeutet in weniger als einer Stunde müsste ich die nächste Dosis nehmen. Und das wiederum bedeutet, die Wirkung lässt bereits nach. Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich kein Ersatzflächen in meinem Rucksack hatte. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass auf meinem Nachhauseweg nichts unerwartetes passiert und mir schon gar kein Werwolf namens Xavier begegnet. Dann würde schon alles gut werden oder nicht? Doch wie es das Schicksal so wollte, blies mir der Wind einen Geruch entgegen, welchen ich nur allzu gut kannte. Es roch nach Wald. Einer Mischung aus Weihrauch und Kardamom. Ein unverwechselbarer Geruch, welcher alle meine Sinne ansprach. Während ich also meinen Weg zum Auto fortsetzte, sah ich ihn bereits in mehreren Metern entfernt an diesem lehnen. Sein Auto stand natürlich direkt neben meinem. Immerhin waren die Parkplätze leer, denn niemand war noch so spät in der Uni. Niemand außer mir. Doch genau diese Entscheidung, so spät zur Bibliothek zu gehen, sollte mir heute zum Verhängnis werden.

Der Hass meiner Gefährtin Where stories live. Discover now