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Lieber Lorenzo,
wie du bereits weißt, hat sich der Zustand deines Vaters unheimlich verschlechtert. Die Ärzte prophezeiten bereits Anfang des Jahres, dass er höchstens noch ein halbes Jahr zu leben haben würde. Dein Vater und ich versuchten, die letzten Monate gemeinsam das Beste daraus zu machen. In den letzten Tagen lag er aufgrund seines Gesundheitszustandes nur noch im Bett. Jede Nacht war ich bei ihm, aber als ich heute Morgen aufwachte, blieb er im Schlaf, in ewigem Frieden. Er ist sanft gestorben und lebt nun bei unserer Famiglia (Familie). Ohne deinen Vater, meinen Seelenvermandten, kann ich nicht weiterleben, für mich wird es nicht weniger schmerzhaft. Mach dir keine Sorgen, du bist jung und wirst noch so viel erleben. Da es außer dir keine Erben mehr gibt, wirst du nach deinem Abschluss nach London ziehen und die Unternehmen weiter führen.

Ti amo Lorenzo. Mi fido di te e so che farai tutto bene. Tua mamma. (Ich liebe dich, Lorenzo. Ich vertraue dir und weiß, dass du alles richtig machen wirst. Deine Mama)

Was?! Ich lese den Brief mehrfach, jedes einzelne Wort nimmt einen tiefen Platz in mir ein. Die Nachricht von meiner Mutter trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mir war zwar bewusst, dass mein padre die Welt bald verlassen wird, aber meine Mutter, dieser Engel, die klügste, hilfsbereiteste und netteste Frau?

Ich falte den Brief geschockt wieder zusammen. Eine Mischung aus Verzweiflung und Trauer überkommt mich. Der Gedanke daran, beide Elternteile auf so tragische Weise zu verlieren, ist kaum zu ertragen.

Der Raum füllt sich mit einer drückenden Leere und die Einsamkeit breitet sich in jedem Winkel meines Geistes aus. Mein armer Vater und jetzt auch noch meine Mutter - beide wurden mir schmerzhaft aus dem Leben gerissen. Es fällt mir schwer, darüber nachzudenken.

Durch das Vibrieren meines Handys hole ich mich aus meinen tiefen Gedanken. Auf meinem Handy öffne ich WhatsApp und schaue auf den Kontakt. Von Aurelia.

Mein Herz geht sofort auf und es pocht schneller. Ihre Nachricht ist wie ein Lichtblick in der Dunkelheit. Mit einem leichten Lächeln öffne ich die Nachricht und lese sie aufmerksam durch.

Aurelia: Hey, ich hoffe, es geht dir gut ;)

Aurelia: Wann kommst du?

Fuck, ich habe komplett vergessen, dass wir heute verabredet sind. Eigentlich wollten wir für unseren Abschluss ein Kleid und einen Anzug kaufen. Aber ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin. Nicht nach dem, was passiert ist. Aber ich kann und will sie nicht versetzen.

Lorenzo: Hey, mir geht es gut. Hoffentlich dir auch. Wäre es für dich okay, wenn wir erst morgen in die Stadt gehen?

Lorenzo: Könntest du trotzdem rüberkommen und mir Gesellschaft leisten? :)

Aurelia: Ja, klar. Bis gleich.

Nach ihrer Zusage lege ich mein Handy behutsam auf die Seite und begebe mich die Treppe hinauf ins Badezimmer. Der Raum, der einst von fröhlichem Lachen und gemeinsamen Momenten erfüllt war, wirkt nun düster und kalt. Das Echo vergangener Freuden verstummt, und stattdessen hängt eine Schwere in der Luft, die den Raum zu erdrücken scheint. Im Spiegel sehe ich mein abgemagertes Gesicht mit tiefen Augenringen, ein stummer Zeuge der schlaflosen Nächte, die von der Last meines Vaters geprägt waren.

Die letzten Tage waren purer Stress für mich. Die Unsicherheit über den Zustand meines Vaters, die sich unaufhörlich verschlechterte, hat mich emotional zermürbt. Die Gedanken an eine unmittelbar bevorstehende Beerdigung lassen meinen Herzschlag unruhig werden. Die Realität, dass ich bald Abschied von meinem Vater nehmen muss, ist wie ein bleischwerer Schatten, der über meinem Gemüt liegt.

𝐋𝐨𝐫𝐞𝐧𝐳𝐨 - 𝐅𝐨𝐫𝐞𝐯𝐞𝐫 𝐦𝐢𝐧𝐞Where stories live. Discover now