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Green Gables war so herrlich schön wie früher. Die große Scheune und schöne Küche, ja selbst der vertraute Geruch machte mich glücklich. Marilla und Matthew hatten mich eng in die Arme geschlossen und ich war froh sie endlich wieder zusehen. Da Jerry mittlerweile mein Zimmer bewohnte, wusste ich zuerst nicht wo ich schlafen würde, doch es war bereits geplant, dass er während meines Aufenthalts in der Scheune schlief. Ich fand das nicht sehr fair und wollte ihn außerdem nicht vertreiben.
„Anne", sagte Jerry, „ wir haben uns nun wirklich lange nicht mehr gesehen und du willst direkt diskutieren?" Ich lachte: „Ich schätze, das liegt in meiner Natur." Doch zum ernsthaften diskutieren war ich sowieso zu glücklich und als Jerry mir versicherte, dass die Scheue für ihn kein Problem sei, beließ ich es dabei.

Mein Zimmer war etwas leerer als früher, aber der Schreibtisch war noch da. Langsam strich ich über das glatte Holz. Wie errinnerungsreich dieser Raum doch war. Ich stellte Gilberts Blumen in einer kleinen Vase auf den Tisch. Die anderen Mädchen hatten recht behalten, Gilbert war unendlich romantisch. Eigentlich wäre ich am liebsten direkt zu ihm gegangen und hätte nebenbei noch Bash und Delphine wiedergesehen, doch allzu schnell wollte ich Matthew und Marilla nicht verlassen. Und so saßen wir zusammen am Küchentisch und aßen ein spätes Mittagessen.

Derweil erzählte ich ihnen von Charlottetown und dem Studium. Dem Mädchenwohnheim und sogar von unserem Garten. „Wie erfreulich", lautete Matthews Urteil. Marilla war wie immer gesprächiger: „Ach Anne, ich bin sehr froh, dass du dich in Charlottetown so gut eingelebt hast!" „Aber natürlich freuen wir uns auch sehr, dass du hier bist!", warf Matthew schnell ein. Mir wurde erst jetzt klar, wie sehr ich sie vermisst hatte und fasste beide glücklich an den Händen.

Später zeigte Matthew mir den Rettich, den er für das diesjährige Sommerfest gezüchtet hatte. Er erschien mir noch gewaltiger, als der vom letzten Jahr und ich wünschte Matthew von ganzem Herzen, dass er dieses Jahr den ersten Platz erhalten würde. Ich selbst war mir nicht wirklich sicher, ob ich mich dieses Jahr wieder am Backen versuchen sollte, doch schnell hatte Marilla mich überzeugt.

Jedoch konnte ich es mittlerweile absolut nicht mehr aushalten mich am gleichen Ort wie Gilbert zu befinden und ihn trotzdem nicht zu sehen. Und wenn es möglich war, würde ich dort bei ihm Marrys Kuchen backen. Denn wo konnte dieser schon besser gelingen, als in ihrem alten Zuhause? Schnell verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg.

Wehmütige Freude stieg in mir auf als ich die alten Pfade ging. Zwar hätte ich mit Belle reiten können, doch ich hatte mich sosehr nach der ländlichen Natur gesehnt, dass ich sie nun mit jedem Schritt und Atemzug erleben wollte. Unterwegs plückte ich einige Blumen, die mich auf meinem Weg zu Gilbert begleiteten. Ich versuchte einen besonders schönen Strauß aus ihnen für Delphine zu machen.

Ich gelangte schneller an als gedacht. Beim Klopfen an der Tür wurde mir von Bashs Mutter geöffnet.

"Oh, guten Tag. Wie kann ich behilflich sein?", fragte sie freundlich. wenn auch eine Spur irritiert.

„Hallo! Freut mich sehr Sie kennen zu lernen. Ich habe bereits einiges von Ihnen gehört.",ich hielt ihr die Hand hin, jedoch wurde sie nicht ergriffen und ich lies sie langsam sinken. Trotzdem versuchte ich mich nicht beirren zu lassen. „Ich wollte zu Gilbert und Bash."

„Anne?", hörte ich da eine mir sehr bekannte Stimme aus dem Hausflur. „Gilbert!", rief ich erfreut. Bashs Mutter wich zur Seite und Gilbert kam lächelnd auf mich zu. „Ich wollte euch besuchen.", sagte ich unbeholfen.

„Komm rein." Galant schob er mich nach vorne und hielt mir die Tür auf. „Mrs. Lacroix, meine Freundin Anne."

Sie nickte freundlich, während mein Herz einen Hüpfer machte.

„Hab ich da gerade „Anne" und „meine Freundin" in einem Satz gehört.", rief eine mir ebenso bekannte Stimme und kurz darauf tauchte Bash lebensfroh wie immer im Flur auf. Fröhlich begrüßten wir uns.

„Ich kann dir als angehender Arzt versichern, dass deine Ohren intakt sind und du richtig gehört hast.", sagte Gilbert scherzend unf klang dabei doch etwas stolz. „Immer für eine Überraschung gut.", sagte Bash kopfschüttelnd.

Nachdem ich die kleine Delphine und auch Elijah begrüßt hatte, erzählte ich Gilbert von meiner Idee bei ihm zu Backen. Er ließ mich mit Freuden machen.

So standen wir also in der Küche und er krempelte seine Ärmel hoch: „Gut, was brauchen wir?"

„Also...", fing ich an.
Zu Beginn waren die anderen noch mit in der Küche gewesen, doch sie hatten sich unbemerkt entfernt und mittlerweile waren Gilbert und ich alleine. „Ich glaube, nun kann unser Werk in den Ofen.", sagte ich zufrieden.

Während ich dies in die Tat umsetzte, machte Gilbert sich daran, das verstreute Mehl zusammen zu wischen. Als ich auf ihn zukam, schmierte er mir auf einmal einen kleinen übrig gebliebenen Teigrest ins Gesicht.

Empört schaute ich ihn an: „Das meinst du nicht ernst!" Doch er blickte mich nur mit seinem überlegenden Geschichtsausdruck und den hochgezogen Augenbrauen an. „Ohh, dass wirst du bereuen Gilbert Blythe!", rief ich drohend. „Ach ja?", lachte er herausfordernd. Es begann ein erbitterter Kampf und ehe ich mich versah, jagten Gilbert und ich uns durch die Küche. Juchzend rannte ich vor ihm davon. Mit einem Mal stolperte ich; wurde jedoch von zwei starken Armen sicher aufgefangen. Plötzlich wurde die Stimmung ernster und mein Atmen ging schneller. Langsam half Gilbert mir wieder nach oben - ohne, dass sich unsere Blicke voneinander lösten. Diese Augen. Sie zogen mich regelrecht in einen Bann. Wie eine parallele Welt in die ich durch sie einzutauchen vermochte. Und dann küssten wir uns. Zart und umwerfend war es. Seine Hände hielten meinen Nacken.

....

Als ich abends in meinem Bett lag, wurde mir klar, wie unendlich verliebt ich war. Früher hätte ich dies niemals geglaubt, doch nun...

Gilbert hatte mich zur Tür geleitet und mir versprochen, mich, mitsamt unseres Kuchens, morgen zum Sommerfest abzuholen.
Mit dem Gedanken an ihn verfiel ich in tiefen Schlaf.

Anne & Gilbert (FF)Where stories live. Discover now