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Ich trat beim Weg durch den Wald mürrisch einige Steine beiseite. Ich konnte mich kaum auf irgendwas konzentrieren, denn in meinem Kopf klangen die Worte noch nach. In Fetzen hörte ich Annes aufgebrachte Stimme und meinen wütenden Tonfall. Ich hatte es einfach nicht mehr ausgehalten. Es schien mir, als wäre dieser James die ganze Zeit bei uns, als schwebe er wie ein unsichtbarer Geist den ganzen Tag über mir. Anne erzählte ständig von ihm, nicht dauerhaft aber immer wieder nebenbei. In kleinen Randbemerkungen und Vergleichen verriet sie mir, ohne es zu merken, wie oft sie an ihn dachte.
Irgendwann hatte sie sich dann gefragt, wo er eigentlich gerade war und da hatte ich es nicht mehr ausgehalten. Natürlich hatte sie mich nicht verstanden. Aber wie war das möglich? Dieser James mochte Anne offensichtlich. Wie er gestern mit ihr getanzt hatte, das Bild davon löste in meinem Kopf nichts als Anspannung aus. Wahrscheinlich war er inzwischen aufgetaucht und sie lehnte sich an seine tröstende Schulter. Wahrscheinlich war er voller Freude über unseren Streit. Und Anne; mochte die ihn etwa auch?

....

Die zwei folgenden Tage verbrachte ich mit miserabelster Laune. Ich saß auf meinem Zimmer und studierte Medizinbücher. Draußen regnete es. Das graue Wetter hinter meinem Fenster spiegelte mein Inneres. Ich hatte noch immer nicht mit Anne gesprochen, sie nicht einmal gesehen. Doch in mir begann bereits seit dem heutigen Morgen ein unangenehmes Gefühl heranzuwachsen, dass ich nur durch starken Trotz zu ignorieren vermochte.

Da klopfte es plötzlich an meiner Tür und ich hörte Bash rufen: „Blythe, ich weiß zwar nicht, warum du dich seit Tagen in deinem Zimmer einschließt, aber ich wollte trotzdem einmal sichergehen, dass ich meiner Aufgabe als guter Freund gerecht werde und nach deinem Befinden fragen.."

„Aha", lautete meine knappe Antwort. Mit meinen Augen überflog ich eine Skizze und in Gedanken schweifte ich schon wieder ab.

„Ach komm schon Blythe!", sagte Bash und öffnete nun ruckartig meine Tür.
„Du kannst mir nicht erzählen, dass alles in Ordnung ist, während du hier sitzt und irgendwelche staubigen Bücher liest, anstatt dich mit, wem weiß ich? - Anne zu treffen oder vielleicht Mal etwas Zeit mit uns zu verbringen? Es ist ja nicht so, als würden wir uns ständig sehen.
Worum es auch geht, du verhältst dich egoistisch Blythe.
Iss wenigstens mit uns zu Mittag."

Ich hatte das Gefühl, dass Bash sogar mehr Bescheid wusste als ihm selbst klar war...

Jedenfalls hatte er recht, wenigstens sollte ich die Zeit mit ihm verbringen. Also folgte ich ihm die Treppe hinunter. Das Mittagessen war erstaunlich angenehm. Zwar sprach ich nicht allzu viel, aber Delphines glückliches Lachen und Bashs Witze taten wirklich gut.

.....

Am Abend saß Bash auf der Veranda des Hauses und ich gesellte mich kurzerhand zu ihm. Die alten Holzbretter, die durch unzählige Regentage aufgequollen und zugleich morsch und trocken von Hitzewellen waren, knarzten unter meine Füßen, so wie sie es seit Jahren taten. Es dämmerte. Die Luft war klar und die dicken Regenwolken verschwunden. Es roch jedoch noch nach jenem erdigen Geruch, der durch Regen entstand und den ich so liebte. Trotzdem war es warm. Ein lauer Sommerabend, an dem ein paar Vögel zwitscherten und Mücken in Schwärmen um den eigenen Kopf folgen.

Zwar waren weder die Sonne noch Sterne zu beobachten, trotzdem blickten wir beide in den Himmel.

Irgendwann fragte Bash: „Du hast dich gestritten?"

Perplex starrte ich ihn an. Zwar kannten wir uns gut, aber dass Bash mich so leicht zu durchschauen schien beeindruckte mich. Vielleicht war mein Verhalten aber auch einfach zu offensichtlich.
Das er Recht hatte, bestätigte ich Bash mit einem kurzen Nicken.

„Ich kann mir denken mit wem. Nur beim besten Willen nicht worüber...", sagte er sich langsam vortastend. Noch wählte er seine Worte genau. So als wäre er sich nicht sicher wie gesprächsbereit ich war.

Ich seufze. „Mit Anne. Ich habe, und das, ich versichere es dir, nicht unberechtigt, ein Problem mit so einem Jungen, mit dem sie viel Zeit verbringt. Sie konnte das nicht verstehen. Und dann wurde sie richtig wütend - du kennst ja ihr Temperament..."

„Das heißt du bist eifersüchtig?", fragte Bash gedehnt.

„Ich weiß nicht, er mag sie offensichtlich. Und wer sagt mir, dass sie das nicht auch tut?"

In Sebastians Gesichtsausdruck mischte sich eine entgeisterte Note. Schließlich fragte er:
„Das bedeutet du vertraust ihr nicht?"

„Was willst du denn damit sagen?", rief ich nun aus. Bash hatte keine Ahnung, ich hatte allen Grund für meine Annahme. - oder?

Meinem guten Freund schien meine Reaktion ganz und gar nicht zu gefallen. „Ich empfehle dir noch einmal gründlich darüber nachzudenken, Blythe. Weißt du, man sollte auf die eignen Fehler schauen, bevor man sie bei anderen sucht."

....

Die darauffolgenden Nacht war ich von einem unruhigen Schlaf gequält. Ich wälzte mich hin und her. In undurchsichtigen Träumen mischte mein Kopf Wahres und Unwahres. Doch dann wachte ich auf. Scheinbar grundlos und mitten in der tiefdunklen Nacht schreckte ich beinah aus meinem Bett hoch. Äußerlich sah ich wahrscheinlich aus wie jeder andere es auch um diese Uhrzeit tat, doch in meinem Inneren herrschte große Aufruhr. Und wie mit einem Schlag, traf mich in dieser Sekunde die Erkenntnis. Das Gefühl, das seit Tagen in mir gegen meinen stolzen Trotz kämpfte und nun endlich gewonnen hatte.

Mich durchflutete ein unangenehmes Gefühl, denn nun wurde mir klar wie falsch ich mich verhalten hatte.

Meiner Anne hatte ich vorgeworfen einen anderen zu begehren. Und anstatt sie zu unterstützen in ihrer schweren Lage hatte ich sie noch mehr aufgeregt. Wenn mir James Waters' Art nicht gefiel, warum klärte ich das nicht direkt mit ihm? Drängend stellte ich mir diese Fragen und wusste doch selbst keine Antwort darauf. Bash hatte Recht gehabt. Ich hatte kein Vertrauen zu Anne gehabt und hatte sie aus eigener Verlustangst beschuldigt.

Sich das einzugestehen war nicht leicht. Es dauerte und schmerzte. Und es zog die Erkenntnis nach sich, dass sich an mir etwas ändern musste. Noch viel wichtiger aber: meinen Fehler wieder gut machen.

Ich musste schnellstmöglich mit Anne sprechen und sie um Verzeihung bitten, doch würde sie mir überhaupt noch zuhören wollen?

Anne & Gilbert (FF)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora