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Avonleas Sommerfest war wie in jedem Jahr ein voller Erfolg.
Ich verbrachte viel Zeit mit MinnieMay und den anderen Mädchen. Wir spielten einige Spiele und ich genoss es in vollen Zügen.
Anne und Gilbert zu sehen machte mich besonders glücklich. Wie niedergeschlagen Anne letztes Jahr gewesen war und wie glücklich dieses. Auch der Kuchen der beiden, war, wie Marillas jährliche Spezialität, sehr beliebt.

Doch auch Ruby war außerordentlich guter Stimmung. Sie stellte uns etwas aufgeregt einen Jungen namens George war, den sie in Charlottetown kennengelernt hatte. Die beiden waren sehr süß miteinander und ich freute mich sehr für Ruby (und auch darüber, nun um ihr Geheimnis zu wissen). Nachdem die Sieger aller möglichen Kategorien bekannt gegeben worden waren und wir einige Spiele gespielt hatten, entdeckte MinnieMay das Zelt der Wahrsagerin und war direkt Feuer und Flamme.

„Glaube mir MinnieMay, da willst du nicht hin! Das ist schlimme Hochstaplerei!", wurde sie von Anne direkt gebremst. „Woher willst du das den wissen.", fragte meine Schwester und auch Tillie schloss sich neugierig der Frage an. Mit einem Mal glaubte ich eine leichte Verlegenheit an Anne zu bemerken, die sie jedoch gekonnt überspielte. „Ach, ich habe dort meine Erfahrungen gemacht. Komm MinnieMay, lass uns etwas viel schlaueres machen." Sie nahm die Kleine bei der Hand und wir allesamt machten uns auf den Weg zum Ringe werfen. Ich bezweifelte zwar, wie viel gescheiter dies war, war aber trotzdem froh, dass Anne sie von der Wahrsagerin ferngehalten hatte. Denn auch ich hielt nicht allzu viel davon. Auf dem kurzen Weg erhaschte ich einen kleinen Blick auf den „Liebestunnel" und viel interessanter, Ruby und George, die, verdächtig nah, zusammen davor standen.

.....

Abends wurde getanzt. Die Stimmung war ausgelassen und es war unendlich schön. Anne und Gilbert, strahlten nur durch ihr beisammen sein unendliche Freude aus, die einen direkt mitreißen wollte.

Doch meine Gedanken schweiften weiter ab, denn die ganze Zeit über hatte ich nicht mit Jerry sprechen können. Plötzlich tauchte Moody hinter mir auf. „Hallo Diana", er wirkte etwas nervös „, ich wollte fragen, ob du mit mir tanzen würdest?"
Ich wollte, aber nicht jetzt.

„Gerne, aber ich muss vorher noch kurz etwas erledigen.", sagte ich. Er wirkte bereits ziemlich froh: „ Natürlich Diana, ich bin hier." Ich achtete nicht mehr ganz auf ihn, sondern versuchte möglichst schnell Jerry im Saal ausfindig zu machen. Er stand weiter links, nahe der Tür, und war gerade alleine. Also nutzte ich den Moment.

„Hallo Jerry."
„Oh, Hallo Diana.", sagte er. „Können wir vielleicht irgendwo ungestört reden?", fragte ich und er nickte. Wir gingen in einen Nebenraum.

Eine Zeit lang sagte niemand etwas, doch dann fand ich endlich meine Stimme wieder: „Ich hatte es dir geschrieben und ich will es dir nochmals sagen, es tut mir leid, wie ich damals war, Jerry. Und es ist keine Lüge, wenn ich dir sage, dass ich mich jeden Tag dafür schäme. Ich weiß jetzt, dass ich sehr ungerecht war und will gelernt haben, nie wieder so zu sein-" Ich wusste nicht was ich noch sagen sollte, doch Jerry machte für mich weiter.
„Weißt du Diana, ich bin wirklich froh, dass du das sagst. Denn ich wollte nicht glauben, dass du so sein kannst. Aber was ich geschrieben habe, von einem Neuanfang..., das will ich nicht."
„Versteh mich nicht falsch," machte er schnell weiter, „es war sehr schön mit dir, und du warst das erste Mädchen, das ich je so mochte, aber ich glaube, dass wir es dabei belassen sollten."
Er sah zu mir herüber und ich sah in seinem Blick, dass er Angst hatte mich zu kränken oder dergleichen.

„Vielleicht hast du recht.", sagte ich.
Er hatte wirklich recht; Jerry war der erste Junge in meinem Leben gewesen und unsere Erinnerungen machten mich glücklich, aber ich wollte sie nicht wiederholen. Und nach einiger Zeit der Stille fragte ich: „Also trennen wir unsere Wege, in bester Erinnerung aneinander?"
Er lächelte, weil ich ihn verstanden hatte.

Vielleicht gab es unterschiedliche verwandte Seelen und unsere hatte ein Platz im Herzen des jeweils anderen.
„In bester Erinnerung.", sagte Jerry nun und wir umarmten uns ein letztes Mal.

Hingegen meiner Erwartung war ich geradezu beschwingt als ich zurück in den Festsaal ging. Ich konnte nun mit Jerry abschließen und falls ich an in denken würde, dies ohne Scham oder unterdrückte Gefühlen. Nachdem ich einmal tief durch geatmet hatte, ging ich auf Moody zu. Er stand umringt von seinen Freunden und unterhielt sich. „Moody,", fragte ich sanft, weil er mit dem Rücken zu mir stand, „wollen wir jetzt tanzen?" Er fuhr herum. „Ja, natürlich, sehr gerne Diana!" Und er hielt mir den Arm hin. Ich ergriff ihn und wir gingen auf die Tanzfläche zu. Im Augenwinkel sah ich die gespannten Blicke seiner Freunde.

Der Abend wurde immer schöner. Moody und ich tanzten lange und unterhielten uns nebenbei. Obwohl er auch aufs Queen's College ging, hatten wir uns noch nie richtig unterhalten. Vielleicht weil die Zeit dazu gefehlt hatte - er wohnte ja auch nicht im Mädchenwohnheim - oder weil zumindest meine Gedanken ganz woanders gewesen waren. Ich wusste es nicht, aber mir gefiel es trotzdem sehr. Irgendwann brauchte ich eine Pause.

„Moody", sagte ich leicht außer Atem, „können wir uns kurz hinsetzten? Ich kann nicht mehr."
„Sicher Diana.", sagte er sehr höflich und führte mich direkt von der Tanzfläche. Wir gingen vor die geöffnete Scheunentür nach draußen; dort standen einige Bänke. Ich trank einen Schluck Wasser und er ließ sich neben mir nieder. „Ich mag das Sommerfest sehr, aber das abendliche Tanzen ist mir wirklich am liebsten. Dir auch?" Ich nickte. „Ich habe das Gefühl, in Charlottetown kann man so etwas gar nicht machen, da sind so viele Menschen, die einem meistens fremd sind. Wie Gilbert das wohl in Toronto aushält?", sinnierte er.
„Ich weiß es nicht. Ich liebe Avonleas Landschaft auch sehr, obwohl ich diese großen Städte aufregend finde." , überlegte ich.

„Du hast recht, es muss tolle Städte da draußen geben.", er deutete in die Ferne, „Aber glaube mir, richtig tanzen kann man nur in Avonlea!" Ich musste schmunzeln. Kurz erwiderte Moody meinen Blick, dann schaute er wieder in den klaren Himmel.

„Wenn du reisen könntest, ungeachtet der Entfernung und allen Hindernissen, wohin würdest du?", fragte er nach kurzer Zeit.
Ich dachte nach.

„Venedig.", sagte ich in die Stille hinein und er lächelte.

Anne & Gilbert (FF)Where stories live. Discover now