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Ich war auf dem Weg zu Anne - wollte sie wiedersehen. Die letzten Tage hatten wir wenig Zeit miteinander verbracht; Anne hatte viele Stunden mit der Pflege Matthews zugebracht und nebenbei auf der Farm ausgeholfen. Zwar arbeitete jetzt dieser Waters bei ihnen, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, dass im Sommer stets viel zu tuen war. Ich selbst hatte so den Großteil der letzten Tage verbracht. Heute Morgen allerdings hatte ich mit den anderen Jungs aus Avonlea Feuerholz für den Abend gesammelt.

Vorhin, während wir Feuerholz hackten, stand ich neben Moody und Billy. Wir unterhielten uns sporadisch und als das Gespräch auf Anne kam, fragte Billy plötzlich:
„Bist du nicht eifersüchtig Blythe, wegen diesem Waters?"
Ich schaute in irritiert an - ich sah keinen Grund zur Eifersucht. „Ich meine er ist den ganzen Tag bei Anne und man sagt, dass er in jedem Ort, den er besucht, ein neues Mädchen hat.", fuhr Billy fort. Stimmt und ich habe die Mädchen über ihn schwärmen hören.", pflichtet Moody bei.
Zuvor waren mir diese Gedanken nie gekommen, doch plötzlich war ich wie vor den Kopf gestoßen. Hatten die Anderen recht? Ich versuchte mir vor ihnen nichts anmerken zu lassen, aber ich fragte mich doch, ob ich blind gewesen war. James war wirklich sehr gutaussehend, mit seinen grünen Augen und der hohen Gestalt. Er war weitgereist und hatte viel zu erzählen... Ich fühlte mich in meiner Position angefochten. Die anderen schienen zu bemerken, dass ich immer mürrischer wurde und letztendlich früher ging.
Als ich kurz darauf auf Green Gables ankam und Anne in der Küche suchte, verwies mich Mrs. Cuthbert auf die Scheune. Na wunderbar.
Souverän ging ich darauf zu, es gab keinen Grund nicht bestens gelaunt zu sein.

Beim Blick durchs Scheunentor änderte sich meine Meinung dahingehend. Da stand er. Sich auf seine Mistgabel abstützend und leicht nach vorne gebeugt. Mit einem Lächeln hörte er Anne zu, die irgendwas zu erzählen schien. Die beiden standen halb mit dem Rücken zu mir, sodass sie mich nicht bemerkten. Meine Muskeln spannten sich an und meine Zähne drückten sich aufeinander. Auf Anne war ich nicht wütend, aber sein Verhalten war offensichtlich; die Jungs hatten recht gehabt.
Was jedoch, wenn sie ihn mochte?

Betont lässig betrat ich nun die Scheune. Ich musste Anne vertrauen. „Gilbert!", rief sie als sie mich erblickte und lächelte mich an. Es war äußerst kindisch, aber als ich James falschen Gesichtsausdruck sah während Anne mich umarmte, empfand ich Genugtuung. Ich schlenderte auf ihn zu und hielt dabei meinen Arm an Annes Rücken. Er sollte ruhig wissen, dass sie zu mir gehörte. „Freut mich dich wiederzusehen", sagte er, während er etwas missbilligend auf meine Hand, die Anne bis eben berührt hatte, schaute. „Gilbert, richtig?", fragte er als würde er sich nicht mehr erinnern.
Ich nickte und darauf entstand eine kurze Stille. Belle, Annes Pferd, wieherte auf und Anne machte sich schnell daran, das restliche Heu in ihre Box zu befördern. Derweil verfielen James und ich in ein unangenehmes Starren.

„Gut Gilbert, wollen wir nun los?", fragte Anne plötzlich an mich gewandt, sie war anscheinend fertig. Wir wollten die Zeit bis zum Beginn des Feuers mit einem Spaziergang verbringen. „Sicher.", sagte ich.

„Wunderbar! Bis dann James und danke für das so aufregende Gespräch." , rief sie.

„Stets zu Diensten.", sagte er zu charmant. Dann fügte er ein ‚bis später' hinzu und drehte sich um. Mir entging nicht, wie er dabei Annes Arm streifte. Dann verließen wir endlich die Scheune.

....

Der Spaziergang und das Feuer waren deutlich schöner als der bisherige Tag. Kurzzeitig hatte ich überlegt, ob ich Anne auf James ansprechen sollte, aber zum einen hatte ich Angst, dass sie meine Eifersucht nicht verstehen konnte (und ich war eifersüchtig), zum anderen, wollte ich so lang wie möglich nicht über ihn sprechen.

So also wurde das Feuer ein voller Erfolg. Ich hatte Anne in meinen Armen und alle waren guter Laune. Es wurde gelacht und gejohlt. Wir tanzten, sangen und erinnerten uns alle an das letzte Jahr. Letztes Jahr, als Anne und ich noch in Rätseln zueinander gesprochen hatten. Der Abend ging noch nicht lang - trotzdem war ich bereits zufrieden.

Gerade alberten die Jungs zum Vergnügen aller herum und ich rief übermütig einen Kommentar hinein. Ich hatte, wie jeder von uns, ein bisschen getrunken und war gelöster denn je. Wir scherzten übermütig. Die anderen redeten weiter lauthals über die Zukunft und unsere kühnen Träume. Machten Lehrer und Mitschüler nach, erzählten fremde Geschichten und diskutierten im selben Moment wild umher, da lehnte Anne sich plötzlich ganz nah an mein Ohr. Direkt spannte ich mich an. Sicherlich, wir hatten uns bereits geküsst, das auch öfters, doch jede Berührung von ihr ließ mich jedes Mal von Neuem zu einem aufgeregten kleinen Jungen werden. Es kribbelte in mir. Sie flüsterte, hauchte fast, so das nur ich es hören konnte: „Gilbet Blythe, du weißt nicht, wie verliebt ich in dich bin.."
Dieses Mädchen machte mich fertig. Ich hatte keine Zweifel mehr. Es minderte auch nicht meine Überforderung als sie mir einen warmen Kuss in den Nacken hauchte. Augenblicklich stellten sich mir all die feinen Härchen auf. Doch was sie konnte, das konnte ich auch. Nun schob ich meinen Kopf an ihr Ohr und flüsterte:
„Und du, Anne Shirley Cuthbert, weißt nicht, was du mit mir machst..."
Ich spürte sie erschaudern und sah, wie sie mich mit einem glühenden Blick anschaute.
Ich wollte gar nicht erst davon anfangen, was ich gerne mit ihr machen würde... Okay, das waren definitiv die falschen Gedanken; vor allem für eine Art Klassenfest. Ich sollte mich zusammenreißen. Also lehnte ich mich stattdessen zurück und drückte Annes Hand.

Alles war perfekt; sie, der Abend. Kein James, keine Missverständnisse, keine Regeln.

Bis zu dem Moment, der für mich alles zerstörte. Denn da war er plötzlich; Jerry und dessen Bruder folgend, wurde James Waters von allen Seiten ausgelassen begrüßt. Da war er und zerstörte mein Idyll. Zerstörte es mit einem höhnischen Blick, den er mir zuwarf, als Anne ihn kurz umarmte. Setzte sich zu uns und begann den Abend an sich zu reißen.

Anne & Gilbert (FF)Where stories live. Discover now