Tag 90 Teil 3

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Ao'nung

Tsireya schloss hinter sich die Tür und wir setzten uns auf den Boden vor mein Bett.
Misstrauisch beäugte Neteyam uns. Als ich seinen Zopf vorsichtig in die Hand nahm wurden seine Augen groß. Er versuchte sich dagegen zu wehren, aber die Fesseln gaben kein Stück nach.
Ich sah zu Tsireya und sie nickte.
Langsam verband ich mich mit ihm. Augenblicklich spürte ich seinen Zorn, seine Verwirrung und natürlich auch, dass er absolut high war. Aber umgekehrt spürte er meine Sorge, Ruhe und meine grenzenlose Liebe.
Nach und nach entspannte er sich, bis er tief durchatmete und mich ansah. "Besser?", fragte ich leise. Er nickte. Dankbarkeit überkam mich und eine Träne rollte über seine Wange.
"Kannst du bitte bei mir bleiben? Es... das hilft mir sehr." Ich nahm seine Hand vorsichtig in meine. "Wenn du das möchtest. Aber du solltest wissen, dass es ein paar Tage dauert. Und... es wird nicht grade einfach, okay?" Er schluckte. "Okay. Kannst du mich vielleicht losmachen und dann herkommen?"
Tsireya kam ungefragt der Aufforderung nach. "Hast du das im Griff, Ao'nung?", fragte sie mich dann. "Ich denke schon. Wenn nicht, hole ich dich sofort. Und danke. Wirklich." Sie lächelte und ließ uns dann allein.
Kaum hatte sie die Tür geschlossen, fiel mir Teyam um den Hals und weinte. Seine Schuldgefühle waren so überwältigend, dass ich meine Tränen auch nicht zurückhalten konnte. "E-es tut mir so leid. So sehr."
Sanft wiegte ich uns hin und her und strich ihm derweil über den Rücken. "Ist schon okay, mein Lieber. Ich weiß, wie das ist." Er war verwirrt, also erklärte ich es ihm.
"Also, du musst wissen, dass ich auch mal verdammt von dem Zeug abhängig war. Und je länger und öfter ich high war, desto beschissener habe ich mich anderen gegenüber verhalten. Das ist fast einen Monat lang so gelaufen, bis meine Eltern sich einig waren, was sie dagegen tun sollten. Also haben sie mich hier eingesperrt und abgewartet. Und dann kamen irgendwann die Schmerzen. So genau weiß ich auch gar nicht, wie lang es gedauert hat, bis es mir wieder gut ging. Aber ich hoffe mal, dass es bei dir schneller geht als bei mir. Es war ziemlich heftig."
Wir schwiegen eine Weile.
"Nung?" "Hmm?" "Möchtest du mit mir kuscheln?" Sanft drehte ich seinen Kopf so, dass er mich ansehen musste. "Natürlich. Ich bin nicht sauer auf dich." Sofort spürte ich seine grenzenlose Erleichterung. Ich hob ihn also vorsichtig hoch und setzte mich mit ihm auf meinem Schoß ins Bett. Stumm genossen wir die körperliche und mentale Anwesenheit des Anderen, während ich nebenbei seine Tattoos immer und immer wieder mit den Fingern nachfuhr.
Es dauerte nicht lang, bis er in meinen Armen eingeschlafen war.
Noch während ich ihn verliebt betrachtete, bemerkte ich langsam leichte Kopfschmerzen. Ich wusste, dass sie nur noch schlimmer werden würden. Seufzend lehnte ich meinen Kopf an die Wand. Neteyam würde ich schlafen lassen, so lange er konnte. Er würde seine Kraft noch brauchen.
Trotz allem war ich so unendlich froh, ihn hier an meiner Seite zu haben. Alles was wir schon zusammen durchgestanden hatten war eigentlich viel zu viel für nicht ganz drei Monate. Hoffentlich gönnte uns Eywa bald eine Pause, denn ich wusste nicht, wie viel Schmerz, Leid und Trauer ich noch ertragen konnte. Und ganz ehrlich, Teyam hatte langsam genug erlitten und überstehen müssen. Traurig und müde zog ich ihn enger an mich und versuchte, auch noch ein bisschen Schlaf zu bekommen.

Pochende Kopfschmerzen weckten mich.
Neteyam bewegte sich unruhig hin und her. Er spürte das Alles wahrscheinlich noch viel intensiver als ich und mein Herz brach bei dem Gedanken ein Stück.
Dennoch ließ ich ihn noch schlafen. Alles war besser als da wach durchzumüssen.
Genau in dem Moment wimmerte er leise. Ich hasste mich für jede Entscheidung, jede Tat die hierzu geführt hatte. Wieso hatte ich geglaubt, dass er sich im Griff hatte? Er hatte nicht einschätzen können, was es für Auswirkungen haben würde. Aber ich wusste es und ich hätte ihn davon abhalten müssen.
Ich wusste nicht, was ihn letztendlich jetzt aufweckte, aber ich tippte auf meine Wut, die er wahrscheinlich deutlich spürte.
"Ao'nung?", murmelte er leise. "Schlaf noch ein bisschen, Kleiner." Er murrte. "Kann ich nicht. Kopfweh." "Soll ich dir Wasser holen?" Seine Antwort war nur in meinem Kopf, aber das reichte mir.
"Ich bin sofort wieder da", versprach ich, bevor ich mich langsam von ihm löste. Kaum war unsere Verbindung unterbrochen, ging es mir besser. Aber im gleichen Moment schrie er vor Schmerzen auf und presste seine Hände gegen seine Schläfen, machtlos gegen den Druck in seinem Kopf. Ohne zu zögern stellte ich Tsaheylu wieder her und wurde für einige Sekunden fast blind.
"Danke", presste er angestrengt hervor. Traurig hob ich ihn hoch und nahm ihn mit in die Küche. Da gab ich ihm ein Behälter mit Wasser, den er in wenigen großen Zügen austrank. "Mehr?" Er schüttelte den Kopf, also trug ich ihn wieder zurück und setzte ihn auf meinem Bett ab.
"Ao'nung?" Ich blickte auf. "Hm?" "Bitte lass mich allein." Ich fühlte, wie schwer es ihm fiel, das zu sagen und wie unglaublich schuldig er sich fühlte. "Warum?", hakte ich dennoch nach. "Weil du das nicht durchstehen musst. Ich hab mir das alleine eingebrockt also komm ich da auch alleine durch. Aber es ist lieb, dass du hier bei mir bleiben würdest." Unsicher, was ich jetzt tun sollte, blieb ich sitzen.
"Geh!", wiederholte er, schob mich aus der Tür, löste Tsaheylu und schloss sie, während er sich mit einem gequälten Schrei krümmte. "Neteyam!", rief ich und versuchte, die Tür zu öffnen, aber es gelang mir beim besten Willen nicht. Tsireya tauchte neben mir auf. "Was ist passiert?"
Ich fasste die Situation kurz zusammen und sie nahm meine Hände in ihre.
"So schwer es auch ist, aber jetzt muss er da allein durch." Schwer schluckte ich. Hoffentlich verletzte er sich in dem Wahnsinn nicht selbst aus Versehen. Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Deswegen war er ja ursprünglich auch festgebunden.
Jetzt konnte ich nur hoffen und zu Eywa beten, dass sie ihn behüten möge.

Ao'nung x Neteyam Slow BurnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt