10 - Versuchungen und Sünde

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Plötzlich war es Samstag und mein Herz setzte einen Schlag aus.

Der Tag, den ich seit Wochen gefürchtet und der all meine Gedanken bestimmt hatte, war gekommen. Doch mit ihm keine Lösung.

Immer noch prallten in meinem Kopf zwei Fronten aufeinander, wobei keine der beiden gewillt war, das Feld zu räumen.

Helens Geburtstag stresste mich, besser gesagt, ihre geplante Geburtstagsfeier stresste mich. Ein Haufen Menschen, die wissen wollen, wie es einem nun geht und was man so macht und vor allem viel zu viel Essen, vor dem man sich nicht drücken kann. Vor allem nicht, wenn die Hälfte um mein Problem weiß – meine Vergangenheit kennt. Sie würden Fragen stellen. Vermuten, dass ich wieder krank war, auch wenn ich dem widersprechen würde. Wer würde mir schon glauben?

Ihre Blicke würden mich verurteilen, wie sie es bereits damals taten oder noch schlimmer, von Mitleid nur so triefen. Konnte ich das aushalten? Oder würde ich sie täuschen können, wie ich es bei Mama geschafft hatte? Vermutlich ... doch zu welchem Preis?

In den letzten Wochen hatte ich solche Fortschritte gemacht, das konnte ich jetzt nicht alles wieder wegwerfen. Andererseits würde ich Helen mit einer Absage verletzen und noch schlimmer, ich würde sie dafür belügen müssen, denn leider war ich nicht krank geworden. Dabei hatte ich alles getan, um wenigstens einen Schnupfen zu bekommen – aber ich war kerngesund. Keine Entschuldigung für eine Absage in Sicht.

Eigentlich war der Gedanke mit dem krank sein, auch nicht wirklich schlau, denn Helen und ich waren immer bei unseren Geburtstagen beisammen gewesen – egal in welchem Zustand. Allein an diesem Umstand, konnte man meine Verzweiflung messen. Ich suchte vergeblich nach einer Rettungsleine, um der drohenden Katastrophe auszuweichen, die unaufhaltsam auf mich zurollte.

Es würde ein schlechter Tag werden, dessen war ich mir sicher und ich konnte nichts dagegen tun. Ich musste dort erscheinen, wenn ich kein Misstrauen wecken wollte.

Es ging nicht anders.

Trotzdem blieb mir die Luft weg, wenn ich an das Buffet dachte, dass Helen organisiert hatte. Ich würde alles verlieren, was ich die letzten Monate mühsam erreicht hatte. Der Spiegel würde schreien und mich gemeinsam mit der Waage wieder mickrig klein prügeln. Der Sport würde mir wieder unglaublich schwer, wie zu Beginn, fallen und Luan würde mich, gemeinsam mit den zu eng gewordenen Klamotten, verspotten.

Selbst jetzt, wo ich noch nicht mal die Wohnung verlassen hatte und lediglich in meinem neuen Bleistiftrock, der zu meinen dunklen Pumps passte, und dem schlichten schwarzen Spitzentop, welchen Mama für zu freizügig erklären würde, vorm Spiegel stand, lachte mich dieser aus. Ich war eine Närrin, die sich Hals über Kopf in das brennende Haus stürzte - wohlwissend, dass sie darin quälend langsam ersticken würde.

"Atmen", flüsterte ich mir selbst zu und folgte meinem eigenen Rat. Die Lunge stach und am liebsten hätte ich nie wieder auch nur einen weiteren Atemzug genommen. Doch statt das ich tot umfiel, übte ich mein falsches Lächeln ein letztes Mal, bevor ich den kreischenden Spiegel hinter mir ließ und die Wohnungstür ins Schloss knallte.

Ich wollte umdrehen, mich vor ein Auto werfen oder am besten auf der Stelle spurlos von dieser Erde verschwinden. Ich wollte mich all dem nicht stellen, wollte nicht Helen falsch ins Gesicht lächeln und eine gestellte gute Zeit mit meinen Freundinnen verbringen. Denn das würde sie nicht für mich sein. Im Gegenteil, schon jetzt schrie alles in mir laut: Abbruch. Doch meine Beine trugen mich weiter meinem Untergang entgegen.

Überraschenderweise war ich nicht die Erste, der Rest unserer Freundesgruppe war bereits da. Ein weiterer Grund mich schlecht zu fühlen. Helen hatte extra den Partyraum in unserem Lieblingsrestaurant gemietet und diesen gestern zusammen mit Julet dekoriert. Eigentlich war geplant, dass ich ebenfalls helfe, doch stattdessen musste ich im Café einspringen. Jetzt hatte ich Angst, dass Helen sauer war.

The last time with herWhere stories live. Discover now