17 - Der Himmel ruft

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"Was hast du dabei gefühlt?", fragt Frau Danze und trinkt einen Schluck Wasser. Dabei hinterlässt sie einen Abdruck ihres roten Lippenstiftes auf dem Glas - wie immer.

Vielleicht fühle ich mich deshalb bei ihr so sicher. Frau Danze ist beruhigend konstant: Sie trägt immer die gleichen Farben, die Haare immer in einem tiefsitzenden Dutt zusammengesteckt und immer knallroten Lippenstift. Außerdem lächelt sie durchgehend und wenn es sich gerade nicht auf ihren Lippen zeigt, wenigstens noch in den Augen.

Auch ihr Praxisraum sieht immer gleich aus. Keine Veränderung, keine Gefahr, lediglich Geborgenheit. Es ist, als ob hier drin die Zeit stehen bleibt - ich kann kurz Luftholen.

"Vieles", antworte ich.

Sie nickt. "Kannst du das konkretisieren?"

Ich seufze. Auszudrücken, was ich gefühlt habe, ist schwer. Es erscheint mir teilweise absurd, dass ich doch so viel gleichzeitig gefühlt habe, obwohl ich mich durch die Leere betäubt hatte. Ich war der festen Überzeugung gewesen, absolut nichts zu fühlen. Rückblickend würde ich etwas anderes behaupten. Da waren noch allerhand überwältigende Gefühle.

"Macht", flüstere ich und sehe nachdenklich auf den Strauß Gladiolen auf dem Tischchen vor mir.

Das ist es. Das Einzige, das sich hier ändert, sind die Blumen. Wunderschön.

"Eine gewisse Befriedung." Wieder seufze ich. "Aber auch Angst, gemischt mit der Verzweiflung des Versagens." Ich starre weiter auf die Gladiolen. So wunderschön.

"Wie denkst du jetzt darüber? Was fühlst du, wenn du zurückdenkst?" Die nächste schwierige Frage.

Manchmal glaube ich das Fühlen verlernt zu haben. Zumindest das Einordnen und Erkennen. Auch den Umgang muss ich neu lernen. Wie ein kleines Kind, das überwältigt das erste Mal Wut spürt, oder Angst. Und es ist beängstigend! Unbändig große Flutwellen, die ich zu zähmen versuche. Ab und zu gelingt es, öfter überrollen sie mich.

Entschuldigend sehe ich zu Frau Danze, die geduldig auf meine Antwort wartet. "Du darfst dir gerne Zeit nehmen, darüber nachzudenken."

Ich nicke. Was fühle ich? "Es ist schwer, meine Gefühle zu benennen", gebe ich wahrheitsgemäß zu und sehe beschämt zu Boden.

"Das ist nicht schlimm." Frau Danze räuspert sich. "Viele können das nicht, damit bist du nicht allein." Vorsichtig hebe ich den Blick, Frau Danze lächelt mir aufmunternd zu.

Hier bin ich nicht falsch, hier muss ich nichts gut oder richtig machen. Bei ihr kann ich einfach nur sein. Eine Träne rollt mir die Wange hinunter, weitere folgen. Sich einmal nicht fehl am Platz, falsch, zu viel oder zu wenig zu fühlen überwältigt mich.

Es passiert nicht das erste Mal, dass ich in der Therapiestunde zu weinen beginne. Auch das es Tränen von Glück sind, ist nichts Neues, dennoch spüre ich immer noch das Kribbeln im ganzen Körper, kann es kaum fassen, will es nicht glauben. Letztendlich wird das Glück und die Geborgenheit von der kalten Angst begleitet, all das auf einen Schlag wieder zu verlieren, wieder unterzugehen, erneut mich selbst zu verlieren.

"Möchtest du versuchen deine Gefühle anders auszudrücken, anstatt sie einfach zu benennen. Kannst du sie mit irgendetwas vergleichen?", fragt Frau Danze vorsichtig.

Ich nicke. "Ich probiere es." Wie fühlt es sich an? Was spüre ich?

Abermals fällt mir auf, wie schwer sie zu greifen sind. Doch ich will sie nicht mehr verteufeln. Nein, Zusammenarbeit ist das Ziel, wie Frau Danze es gesagt hat.

The last time with herWo Geschichten leben. Entdecke jetzt