12 - Abwenden weiterer Gefahren

8 1 25
                                    

Verantwortung empfand ich stets als schwere Last, welche mich mein Leben lang begleitete.

Vielleicht war es mein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, das andere immer wieder animierte mir gerne, voller Vertrauen und Zuversicht, Verantwortung zu übertragen.

Es begann bei kleinen Dingen, wie den Klassenraum am Ende der Stunde für die Lehrerin abzuschießen oder für sie das Klassenbuch ins Sekretariat zu bringen. Diese kurzen Momente der Verantwortung waren fast schmeichelhaft. Sie dauerten manchmal kaum wenige Minuten und die Gefahr etwas falsch zu machen hielt sich ebenfalls in Grenzen.

Ich denke, meine mit den Jahren größer werdende Angst vor Verantwortung keimte in schwerwiegenderen Aufgaben. Das erste Mal, dass ich diese Last auf meinen Schultern gespürt hatte, war in der vierten Klasse gewesen. Ich war oft deutlich länger im Hort geblieben als meine Freundinnen, da ihre Eltern in der Regel früher Schluss hatten. So war ich immer eine der letzten dort gewesen.

Es war ein kühler Donnerstag, nur noch ich und zwei Kinder aus der Früherziehung wurden von einer Hortnerin betreut, und der langjährige Freund unserer Betreuerin verabschiedete sich per Telefon von ihr. Sie war am Boden zerstört und weinte so bitterlich, dass ich nur etwas hilflos daneben stehen konnte.

Sie tat mir leid, rückblickend verstehe ich sie, doch in diesem Moment hatte ich mich das erste Mal so richtig allein gefühlt. Sie beschloss sich im Bad einzuschließen und mich allein mit den, wirklich sehr aktiven, anderen Kindern zu lassen.

Frieda und Dennis – ihre Namen werde ich wohl nie vergessen. Jedenfalls dachten die beiden, es wäre eine gute Idee, in Abwesenheit der Hortnerin, auf den Stühlen herumzuturnen. Ich sagte, sie sollen aufhören, vergeblich.

Wahrscheinlich wäre es halb so schlimm gewesen, wäre Frieda nicht gestürzt. Sie blutete stark am Kopf. Verzweifelt lief ich zum Bad, doch die Hortnerin hörte mich nicht. Dennis war auch keine große Hilfe und kotzte bloß in die Ecke.

Ich musste den Krankenwagen rufen, ich musste Frieda stabil hinlegen, sie wach halten. Ich musste mich um Dennis kümmern, der so kalkweiß war, dass ich dachte, er wäre der nächste der umkippt.

Damals hatte ich das Gefühl, das mein Handeln über Friedas Leben entscheiden würde. Verantwortung über ein Leben. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich so dramatisch war, aber ich war vielleicht neun oder zehn Jahre und hatte nie zuvor so viel Blut gesehen.

Seither scheute ich vor Verantwortung, trotzdem wurde sie mir immer wieder auferlegt und mit jedem Mal hinterließ sie eine kleine Restlast auf meinen Schultern.

Über die Jahre waren meine Schultern schwer geworden. Kein Wunder, dass ich vor jeglicher Verantwortung, war sie auch noch so klein, davon lief.

Vielleicht war das der Grund, warum ich mich in der Leere so sicher fühlte, mich in ihr suhlte. Sie gab mir Sicherheit, sie nahm mir die Verantwortung ab, ließ meine Schultern entspannen. Nicht denken, nichts bereuen, nichts fühlen.

Es war ein hoher Preis, den man für sie bezahlen musste. Sie nahm nicht nur die Last, auch ein Teil der Freude und des Glückes musste dran glauben. Nur noch die Hälfte von einem selbst fühlen. Halbglücklich. Lachen, nicht mehr aus tiefster Seele, lediglich oberflächliche Freude. Doch das musste reichen, denn die Leere nahm mir nicht nur die Verantwortung, sondern auch den mit ihr einhergehenden zweiten Feind: Erwartung.

Die Enttäuschung in den Gesichtern schmerzte nicht, berührte mich nicht, riss mir nicht mehr den Boden unter den Füßen weg. Kurz Bedauern zeigen, sich entschuldigen, dann vergessen, ohne die sich über Wochen ziehende Qual, jemanden enttäuscht zu haben. Nicht genug zu sein.

The last time with herWhere stories live. Discover now