14 - Ein Hilfeschrei

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"Es tut mir leid", schniefe ich und ziehe ein Taschentuch aus der Box, welche auf dem kleinen Tischchen vor mir bisher mehr Deko als Nutzgegenstand für mich gewesen ist.

"Du musst dich für deine Gefühle nicht entschuldigen." Frau Danze lächelt verständnisvoll.

Es ist seltsam wieder Tränen auf meinen Wangen zu spüren. Monatelang habe ich keine einzige vergossen, habe nichts gefühlt - weder Trauer noch Freude. Jetzt überwältigt mich jede noch so kleine Emotion. Die Leere hat mich verlassen, betäubt mich nicht mehr. Ein schönes Gefühl, gleichzeitig vermisse ich sie. Mit ihr war es so einfach, fast unbeschwert, jetzt muss ich mich wieder mit mir und meinen Gedanken auseinander setzen. Es überfordert mich. Die Schatten sind groß und ich daneben, erscheine mir winzig klein. Sie drohen mich zu verschlucken, ich habe keine Chance.

Mittlerweile mag ich die Therapiestunden. Frau Danze hilft mir es zu verstehen. Sie zeigt mir die Schwachstellen der Dunkelheit, sagt mir, wie ich sie im Kampf gegen diese nutzen kann. Mit jedem Mal erscheint es mir möglicher.

Manchmal, wenn auch nur für wenige Sekunden, glaube ich sogar kleine Strahlen Licht zu erblicken. Es ist Hoffnung, welcher ich nun folge. Sie ist nicht so stark, versprüht nicht solche Sicherheit, wie es die Leere getan hat, doch damit muss ... nein, werde ich umzugehen lernen – zumindest, wenn man Frau Danze Glauben schenkt.

"Hey, Mäuschen", begrüßt mich Mama, als ich zu ihr ins Auto steige. Dabei lächeln mich ihre Augen so sehr an, dass ich schon wieder weinen könnte.

In den letzten Wochen zeigen ihre Augen weniger Sorge, dafür erkenne ich wieder Freude und ein wenig der Unbeschwertheit, die ich, bevor ich krank wurde, immer geschätzt habe. Auch dafür lohnt sich der Kampf. Für meine Eltern. Sie endlich wieder befreit erleben und nicht in ständiger Alarmbereitschaft, falls ich wieder umkippen sollte.

Sternchen habe ich länger nicht gesehen, dafür gebe ich auch alles. In der letzten Therapiestunde habe ich Frau Danze vorgeworfen, ich würde nun erneut gegen mich kämpfen – nur eben anders. Dabei ist es ja sie gewesen, die mir erklären wollte, dass ich den Kampf gegen mich gerade nicht mehr weiterführen solle um stattdessen für mich zu arbeiten.

"Bist das wirklich du, gegen den du nun kämpfst. Bist wirklich du diejenige, die an deiner Routine festhalten will – ohne das Leben auszukosten?", hat sie mich gefragt. Und in dem Moment passierte die Trennung. Seitdem sehe ich klare Linien, ich weiß endlich wieder, wer ich bin, auf wessen Seite ich stehe. Natürlich ist es schwer, wenn man eine so lange Zeit auf der anderen Seite der Linie gelaufen ist, doch ich werde lernen auf meiner Seite zu gehen. Denn eigentlich, bin ich nur dort frei.

Auf gute Wochen folgte der Tiefpunkt. Ich war dem Plan, ohne auch nur eine einzige Sünde zu begehen, gefolgt und wurde trotzdem bestraft. Waage und Spiegel hatten sich gemeinsam gegen mich verschworen, verspotteten mich, als wäre ich die Sünde selbst.

Es schmerzte, vor allem, da ich glaubte keinen Fehler begangen zu haben. Ich war gefolgt, hatte mein Sportprogramm bis zum Umfallen durchgezogen, alle möglichen Treffen, inklusive der geplanten Clubnacht heute, abgesagt und nie mehr als von der Leere vorgesehen gegessen.

Wieso wurde ich bestraft? Wieso war heute ein schlechter Tag? Es ergab einfach keinen Sinn.

Doch offensichtlich war ich nicht genug ... mal wieder. Mir war zum Heulen zumute, doch meine Wangen blieben trocken.

Diese Leere wog schwer, ihr Gewicht zog mich gen Boden. Aber alles hinzuwerfen war keine Option. Also breitete ich die Sportmatte aus, suchte mir ein passendes Homeworkout aus und versuchte die Zahlen aus meinem Kopf verschwinden zu lassen – sie einfach auszuschwitzen.

The last time with herWhere stories live. Discover now