Neonlight Shadows (ONC 2024)

5 | Inferno

An diesem Abend fand sich Eli an der Bar des "Inferno" wieder, einem düsteren und geheimnisvollen Ort, der nicht nur vom stadtbekannten Schmuggler und Informanten Dante frequentiert wurde. Es war auch der Ort, an dem Eli vor einigen Monaten Lysander Darkwood kennengelernt hatte. Nur, dass er sich ihm damals als Sander vorgestellt hatte.

Eli hatte schnell das Gefühl gehabt, dass sie sich gesucht und gefunden hatten. Er war auf der Suche nach jemandem, bei dem er sich fallen lassen konnte und Sander war jemand, der ihm genau das geben wollte. Schon auf dem Weg in Sanders Wohnung hatte Eli eine erwartungsvolle Spannung in Beschlag genommen und der autoritär wirkende Mann hatte ihm deutlich erklärt, was die Spielregeln waren: Sie würden nicht über ihren Stand, ihre Arbeit oder ihre Beziehungen reden. Sie waren einfach nur Eli und Sander und das war ihnen für den Moment genug.

Dass er den Mann heute in seiner Position als Bluthund von Cassius Dusk wiedergetroffen hatte, wühlte ihn auf. Er hatte in den vergangenen Wochen ein paar Mal sehnsüchtig an Sander gedacht und war versucht gewesen, zu der Wohnung zu fahren, in die der attraktive Fremde ihn mitgenommen hatte. Aber sie hatten vereinbart, dass ihr Treffen einmalig bleiben würde. Warum, konnte Eli damals nicht wirklich verstehen, denn sie hatten in dieser Nacht sehr viel Spaß zusammen gehabt. Doch nun, da er wusste, wer er war, konnte Eli besser nachvollziehen, dass er wohl niemanden zu nah an sich heranlassen wollte. Eine Person wie Darkwood stand sicher ständig unter Druck und Beobachtung, was aufrichtige Beziehungen kompliziert machten.

Umso mehr hatte es ihn gewundert, als Sander ihn nach der Übergabe der Chargen im Med-On Zentrum mit diesem besonderen Blick bedacht hatte. Sie hatten kein einziges Wort miteinander gesprochen, und doch lag eine Spannung in der Luft, die sich noch immer nicht entladen hatte. Es hatte nur ein angedeutetes Lächeln von Sander gebraucht, um Eli unmittelbar nach seiner Arbeit nach Hause fahren zu lassen, um dort zu duschen und sich dann in frischer Kleidung wieder auf den Weg zu machen – zurück in die Bar, wo sie sich kennengelernt hatten. Er war sich fast sicher, dass auch Sander heute Abend hier sein würde. Auch wenn eine gewisse Restunsicherheit blieb.

„Hallo Hübscher, heute schon was vor?" Eli zuckte unwillkürlich zusammen, als eine freundliche Frauenstimme seine Gedanken unterbrach. Als er seinen Kopf nach links drehte, traf sein Blick auf die ungewöhnlich hellblauen Augen einer unbekannten Schönheit. Dunkle Haare fielen in einem eleganten Bob um ihr zartes Gesicht, dessen Augen eine tiefe Intensität ausstrahlten, als ob sie die Welt um sich herum durchdringen könnten.

Ihr makelloser Teint verlieh ihrem Gesicht eine beinahe überirdische Schönheit, während die zarten Wangenknochen und die leicht geschwungenen Augenbrauen ihre asiatische Herkunft subtil betonten. Ein sanfter Zug um ihre Lippen deutete ein zurückhaltendes Lächeln an, doch der erste Eindruck, sie sei eine leichte Beute, täuschte Elijah nicht. Er bemerkte ihre kraftvolle Ausstrahlung, die sich in jeder ihrer Bewegungen manifestierte. Die durchtrainierten Konturen ihres Körpers verrieten eine besondere Mischung aus Kraft und Anmut, und ihre Haltung zeugte von innerer Stärke und Selbstverbundenheit.

Ihr Blick, fesselnd und beruhigend zugleich, ruhte neugierig auf ihm, während sie auf seine Antwort wartete. Eli löste seinen Blick von ihr und versuchte höflich zu sein, während er ihr dennoch zu verstehen gab, dass er bereits mit jemandem verabredet war. Ohne sich eine Enttäuschung anmerken zu lassen, lächelte die schöne Frau und verließ Eli, um lautlos im Schatten der Kneipe zu verschwinden.

Während Eli geduldig auf sein Getränk wartete, ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. An diesem Abend hatte die Stadt wieder ihre Bewohner mit den unterschiedlichsten Absichten ins "Inferno" gespült: düstere Händler, die unter den Tischen zwielichtige Geschäfte abschlossen; arme Arbeiter, die ihre Verzweiflung mit synthetischen Drinks oder Schwarzmarkt-Drogen betäuben wollten; hübsche Frauen, auf der Suche nach einer flüchtigen Umarmung, um der ewigen Nacht der Neonstadt zu entfliehen, und Männer, die bereit waren, für diese Art von Trost zu bezahlen.