Kapitel 13

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»Ich glaube dir«, sagte Ally, als sie noch in der selben Nacht vor meiner Haustür stand.
»Ich glaube dir, dass du mich nicht stalkst, aber ...« Verlegen zögerte sie. »Ich verstehe einfach nicht ...«

Als ich eben durch das klingeln meiner Tür geweckt wurde, hätte ich nicht erwartet, dass Ally so schnell mit meinem Karton unter dem Arm geklemmt bei mir aufkreuzen würde.

Verschlafen musterte ich das Gesicht, was nach Antworten auf die vielen Fragen suchte, welche sie meinetwegen zustellen versuchte.
Ich trat also zur Seite und gewährte ihr Einlass, um, das war mir sofort bewusst, ein sehr nervenaufreibendes Gespräch zuführen.

Ich schaltete die Stehlampe neben dem Sessel vor dem Fenster im Wohnzimmer an, welche von nun an den dunklen Raum in einem sanften Orange erhellte, ehe ich mich immer noch müde in den Sessel fallen ließ.
Ally setzte sich vor mir auf den Fußboden, wo sie den gesamten Inhalt der Kiste vorsichtig ausbreitete und direkt anfing nach etwas zu kramen.

»Charlie«, fing sie wissbegierig an und zog ein Schwarzweißfoto aus dem Haufen. Sie zeigte auf die darauf abgelichteten Personen und zählte der Reihe nach auf. »James, Clara, William, Celia, Archibald.«
Ich nickte sofort wissend, denn ich ahnte schon, worauf sie hinaus wollte.

»Und dieses hier.« Ally zog ein anderes Bild aus einer anderen Zeit aus dem Haufen und zeigte es mir.
»Celia?«
Ich schüttelte verneinend den Kopf.
»Und was ist damit?« Sie zeigte mir ein mit Kohle gezeichnetes Porträt.
»Celia.«
Wieder schüttelte ich verneinend den Kopf.

Mit einem Mal verschwand all ihr erdachtes Wissen und sie schaute nur noch irritiert drein.
Sie kramte ein weiteres Bild heraus.
»Aber das ist Celia und das«, sie zeigte auf den Mann neben der Frau, »das ist Archibald.«
Als ich erneut mit dem Kopf schüttelte, seufzte sie frustriert.
»Ich verstehe das nicht, Charlie. Es ist alles die selbe Person - alles dasselbe Gesicht.« Sie schaute auf das Bild in ihren Händen herab. »Alles irgendwie du und ich ...«

Ich nickte zustimmend und wiederholte, nicht ganz so fragend wie sie selbst, ihre letzten Worte. »Alles irgendwie du und ich.«
Ich lehnte mich nach vorne, um nach den Bildern auf dem Boden vor mir greifen zu können.

»Ally«, versuchte ich vorsichtig die richtigen Worte zu finden. »Es ist wichtig, dass du mir gut zuhörst und vor allem bis zum Ende. Ich weiß, dass das, was ich sagen möchte, total verrückt klingen wird, aber du darfst mich nicht gleich verurteilen, ob du mir glaubst oder nicht, ist dann nicht mehr entscheidend.«
Sie nickte einverstanden.

Ich griff nach dem Gruppenbild von den Cavendish-Geschwistern und ihren Geliebten.
Ich atmete tief ein und dann wieder aus. Noch einmal schloss ich die Augen, um die Worte in meinem Kopf sorgfältig zu sortieren, ehe ich mein Mund öffnete und sagte, was ich nicht zurücknehmen konnte.

»Ally, das hier warst du.« Ich deutete auf Celia, ehe ich meinen Finger auf Archibald legte. »Und das bin ich.«
»Du meinst warst«, verbesserte sie mich fälschlicherweise.
Ernst schüttelte ich erneut den Kopf in dieser Nacht.
»Nein, Ally, nicht war ...«
Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen und setzte an, etwas zu erwidern. Schloss aber sofort wieder ihren Mund, als sie sich in Erinnerung rief, dass sie mir zuerst zuhören wollte.

»Ich war da, Ally. Ich war hier überall.« Mit einer großen Geste deutete ich auf all die Bilder, die am Boden lagen.
»Abgesehen davon, dass das völlig absurd ist, wie soll das denn Bitteschön möglich sein und vor allem, was hab ich damit zu tun?!«
»Ich bin nie gestorben - du jedoch leider schon«, gestand ich schmerzhaft und zuckte mit den Schultern.
»Aber«, sie lachte verwirrt. »Jeder stirbt.«
Ich schaute sie ernst an, woraufhin ihr Lachen verstummte.
»Charlie, das ist unmöglich. Meinetwegen erzähle mir, dass das unsere Vorfahren sind und daher unsere Verbindung besteht, aber das ist total verrückt!«, beharrte sie weiterhin und wurde etwas unruhig, als ich weiterhin auf meiner Wahrheit beruhte.
»Ich wünschte, es wäre so.«
Nun verzog sie endgültig die Miene.
»Das ist Quatsch, Charlie!«

Fluchtartig stand sie auf und wollte sich gerade zum gehen bewegen, als ich sie daran erinnerte, dass sie mir zuhören muss, um zu verstehen.
Also setzte sie sich wieder zurück auf den Boden und starrte mich an.
»Erklär mir endlich, was das alles bedeutet!«, forderte sie, dass ich die Fragen in ihrem Kopf löse.

»Ich bin nie gestorben, Ally, du allerdings schon vor Jahrhunderten.«
»Du willst also wirklich mit diesem Unsinn weitermachen. Na schön!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich höre.«

»Seit wann ist etwas direkt Unsinn, nur weil es nicht der eigenen Wahrheit entspricht?« Ich strafte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, woraufhin sie sich merkbar ertappt fühlte und sich ihre Haltung augenblicklich etwas lockerte.
Ich rutschte auf die Kante des Sessels und stützte mich mit den Armen auf meinen Knien ab, während ich sie durchdringend ansah.

»Was passiert mit der Seele eines Menschen, wenn er erst einmal verstirbt?«, fragte ich, um ihr meinen Punkt zu verdeutlichen.
»Ich habe keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Und woher kommen die neuen Seelen, die den kleinen Neugeborenen das Leben einhauchen?«
»Ich weiß es nicht. Aber wer tut das schon?« Lässig schulterzuckend versuchte sie einen Punkt hervorzubringen, den ich gleich zu widerlegen wusste.

»Ich weiß es, Ally. Ich und so viele Bewohner dieser Erde kennen das Geheimnis des Ursprungs.«
Noch immer nicht überzeugt schaute sie mich kühl an. »Und das wäre? Jetzt erzähl mir aber nichts von Gott - die Geschichte habe ich schon unzählige Male gehört!«
Ich lachte. »Oh, Ally, keine Sorge. Diese Geschichte hast du mit Sicherheit noch niemals zuvor in deinem jetzigen Leben gehört ...«

Ich lehnte mich im Sessel zurück, streckte entspannt meine Beine aus und schloss meine Augen, um meine Erinnerungen wie in einem Film abspielen zu lassen.

Und so verlor ich jegliche Hemmung und fing ganz von vorne an.

A never ending love story Where stories live. Discover now