Kapitel 17

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Ally sah mich mit gläsernen Augen an.
»Sie hat nicht überlebt, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das hat sie nicht. Ein Querschläger hat sie erwischt - sie war sofort tot.«
»Das ist so unfair.« Sie wischte ihre triefende Nase in ihrem Ärmel ab, während sie weinte.
»Ja, das ist es wirklich.«

Auch wenn mein Herz immer wieder schwer wurde, wenn ich an das letzte Leben meines geliebten Mädchens dachte, konnte ich es Ally nicht gleichtun und weinen.
Schon oft genug habe ich um die Toten geweint, weshalb ich nun gerade einfach dem Regen lauschen wollte und ihre Geschichten erzählen wollte.

Ich sah mit einem schweren Blick auf Ally herab und seufzte.
»Jeden Sonntag im Jahr, wenn Maria mich in ihre Kirche mitnahm, saßen wir ganz vorne. Maria lebte ihren Glauben und auch wenn ich an keinen Gott glaubte - bis heute nicht glaube - liebte ich ihr dabei zuzusehen, wie sie ihren Gott ehrfürchtig verehrte, wie sie ihre Augen fürs Gebet schloss, wie sie die Lieder ihrer Gemeinde laut mitsang, ohne auch nur ihr Gesangbuch aufschlagen zu müssen, da sie jedes Lied schon seit Kindertagen in ihrem Herzen trug - wie sie glaubte, wie sie lebte ...«
Bei dieser Erinnerung leuchteten meine Augen für einen Moment auf.

»An jenem Tag, wo Maria zu Grabe getragen wurde, konnte ich mich nicht dazu bringen, mich auf die Holzbänke der Kirche niederzulassen und mit all denen aus der Gemeinde, mit ihrer Familie und den Friedenskämpfern, einen Gott dafür danken, dass er nun auf Maria aufpasst. Ich habe jeden Glauben verloren, Ally. An dem Tag an dem Maria unnötiger Weise verstarb, glaubte ich nicht mehr - einen Gott gibt es für mich sowieso nicht, aber ich habe geglaubt, Ally, ich habe jeden Tag geglaubt! Ich habe an das Gute in den Sterblichen geglaubt und daran, dass wir es schaffen! Aber nicht an diesem Tag. Jeglicher Glaube an die Vernunft der Sterblichen wurde mit Maria begraben.«

Ally suchte fragend nach meinem Blick. »Wir Sterblichen, wie du uns nennst, sind nicht alle die selben, Charlie.«
»Das mag so sein, Ally, und trotzdem muss ich widersprechen, denn ihr wisst es nicht besser! Bitte höre mich an, wenn ich dir sage, dass das Paradies, der Himmel, das Nirwana, all das, was die Gläubigen erreichen wollen, längst da war! Die Unsterblichkeit war der Himmel auf Erden, Ally! Dörfer, Lebensgemeinschaften, Völker, Menschen aller Farben und Aussehen lebten in Frieden mit der Flora und der Fauna zusammen. Erst die Sterblichkeit brachte Hass und Zerstörung mit sich!«
»Und trotzdem wolltet ihr sterblich werden ...«
»Die meisten sahen keinen Ausweg mehr. Die Menschheit kannte nur den Frieden und auch wenn zunächst immer mal wieder Menschen starben und neue dazu kamen, hatten wir alles unter Kontrolle - dadurch, dass es mehr Unsterbliche als Sterbliche gab, konnten wir ihnen unsere Welt erklären. Die Inka, die Maya, die Azteken, die Römer, Ägypter, die antiken Griechen, die Indianerstämme, das sind Völker der Unsterblichkeit gewesen! Über viele, viele  Jahre hinweg haben wir uns dort ein Leben aufgebaut, was dem heutigen vielleicht sehr ähnlich sein mag. Wir hatten Sanitäreinrichtungen, Häuser, die prächtig und prunkvoll waren, Schulen, Medizin, Ärzte, Medizinmänner und Heiler - auch wenn es nicht perfekt war, lebten wir weitaus besser, als im Mittelalter. Wir hatten so viel Wissen.«

Ich seufzte schwer. Wenn ich nur dran dachte, wie das Leben auf diesem wundersamen Planeten hätte sein können, wenn nicht der Hass und die Dummheit der Sterblichen alles zerstört hätte, wonach wir strebten.

»Doch umso mehr Paare das vermeintliche Glück von eigenen Kindern selber erleben wollten, desto mehr Menschen wollten die Sterblichkeit ergründen. Warum waren manche Liebespaare mit solch einem unvorstellbaren Glück gesegnet, auch wenn dies bedeutete ihr Leben für die Liebe zu opfern, und warum wurden andere Paare, die sich mindestens genauso liebten, von solch einem Pech heimgesucht, dass ihnen das vermeintliche Glück der Schaffung auch Jahrtausende lang nicht vergönnt war? Das wirkliche Verstehen begann erst ziemlich spät. Ein weiser Mann jener Zeit assoziierte das erste Mal das Verlieben bestimmter Menschen mit den Geschehnissen und nannte dies kein Zufall mehr. Über viele Wege wurden neue Erkenntnisse zu diesem Thema um die ganze Welt geschickt, vom Volk zu Volk, Land zu Land, Dorf zu Dorf, Kontinent zu Kontinent - Flaschenpost, Durchreisende, Brieftauben all jene verbreiteten die Neuigkeiten wie ein Lauffeuer.«

A never ending love story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt