Kapitel 20

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»Wo seid ihr gewesen?«, fragte mich Ally, nachdem sie über zwei Stunden nach uns gesucht hatte.
»Wir hatten etwas zu klären«, sagte ich kühl und signalisierte ihr so, dass ich nicht in Stimmung war, zu sprechen.

Ich wollte mich an ihr vorbei ins Gästehaus schieben, sie konnte es allerdings nicht auf sich beruhen lassen und kam mir nach.
»Was ist los, Charlie?«, hakte sie fürsorglich nach.
»Es ist nichts.«
»Lüg mich nicht an«, forderte sie streng, woraufhin ich nur genervt stehen blieb und sie wütend ansah.
»Es ist nichts!«, wiederholte ich mich diesmal aber mit mehr Nachdruck, woraufhin sie zurückschrak und mich endlich alleine ließ.

Ich ging in mein Zimmer und direkt ohne Umwege ins Bad, wo ich mich einschloss und ohne mich auszuziehen in die Dusche ging und das Wasser laufen ließ.
Ich weinte.

Ich verließ bis zum Abend mein Zimmer nicht mehr. Ich verließ an diesem Tag mein Zimmer gar nicht mehr.
Gegen zwanzig Uhr klopfte es allerdings an meiner Tür und noch bevor ich etwas sagen konnte, öffnete sie sich schon und Olives gütige Gesicht schaute durch den Türspalt.

»Kann ich reinkommen?«, fragte sie sanft und stieß die Tür noch einen Spalt weiter auf, woraufhin ein ganzes Tablet mit leckeren Speisen zum Vorschein kam.
Sie trat zu mir und setzte sich auf meine Bettkante.
»Kann Ally auch rein kommen?«
Ich nickte. »Selbstverständlich kann sie.«
Nun öffnete sich die Tür noch einen weiteren Spalt auf und eine gekränkte Ally kam zum Vorschein.

Sie trat ins Zimmer ein und schloss die Tür hinter sich. Außerdem machte sie die Nachttischlampe an, da es so langsam wirklich dunkel in meinem Zimmer geworden war, da auch das letzte Licht des Tages es nicht mehr erhellen konnte.

Sie setzte sich auf den Sessel, ganz am anderen Ende des Zimmers, um mir genügend Abstand zu geben, während Olive mir die Nähe gab, die ich brauchte, und mir tröstend über mein Knie strich.

»Ich habe ihr von unserem Gespräch erzählt, weil sie wissen wollte, warum du so traurig bist.«
»Ist schon in Ordnung. Es war alles andere als fair von mir, dass ich so reagiert habe. Es tut mir leid, Ally«, entschuldigte ich mich direkt bei ihr, woraufhin sich ihre angespannte Haltung sofort löste und sie anerkennend Lächelte.

»Ich habe noch nie mit jemanden gesprochen, von dem ich dachte, dass er schon längst gestorben ist. Ich musste einfach an Celia und die ganze Tragödie denken.«
»Ich auch, Charlie. Seitdem ich heute Vormittag in eure Gesichter blicken musste, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Wer hätte gedacht, dass das Schicksal uns vier wieder zusammen bringt, auch wenn Parker leider nichts von uns weiß ...« Wieder überrollte sie die Trauer und sie musste ihren Blick von mir abwenden.

»Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für euch beide sein muss, uns vier hier zusammen zu sehen«, mischte sich nun auch Ally in das Gespräch ein. »Ich würde gerne deine Geschichte hören, Olive. Bitte, wenn du kannst, erzähl mir, was man über James niemals vergessen darf. Erzähl von seinem Lachen und die Liebe, die er dir gab.«

Das musste Ally nicht zweimal sagen. Für Olive schien es wie Balsam für ihre leidende Seele zu sein, endlich über das reden zu können, was ihr so schmerzlich genommen wurde.
Die nächsten Stunden füllte sie mit Erzählungen über all ihre Jahre, die sie mit der Suche nach ihrem Geliebten verbrachte.

Sowohl Ally als auch ich mussten verstehen, dass die Geschichte von Olive so viel tragischer war, als meine eigene.
Seitdem ihr Geliebter sterblich sein wollte, hatte sie lediglich nur siebenundzwanzig Mal die Chance ihn aufzuspüren und Zeit mit ihm zu verbringen. Dabei war er lange vor meiner Ru gestorben. Und zu allem Übel war es Olive selten vergönnt, lange Zeit mit ihm zu verbringen, weil er jedes Mal durch Krankheit oder einem Unglück, wie der Untergang der Titanic, viel zu früh starb. Nicht zu vergessen, ihre jetzige Situation, die es wieder nicht zuließ, dass sie ihn lieben konnte.

Verständlicherweise kullerten sowohl bei Olive, als auch bei Ally die Tränen. Und auch ich, der vorhin schon stundenlang um das Leid der Unsterblichkeit weinte, konnte bei Olives traurigem Leben nicht anders als wieder zu weinen.

Die nächstens Stunden verbrachten wir also damit, Ally über unsere Sicht der Vergangenheit aufzuklären.
Viele Tränen flossen, bis der Abend eine Wendung nahm und Allys Neugier wieder überhandnahm und sie uns mit ganz vielen Fragen löcherte.

»Und was ist denn mit Kindern? Können die nicht auch unsterblich sein?«
Olive und ich sahen uns gleichzeitig an und lachten dann.
»Nein, Ally, zum hundertsten Mal! Es können nur Sterbliche Kinder bekommen, die dann auch sterblich sind, weil eine alte Seele recycelt wird. Deshalb ist es ja auch nur dann ein Wunder, wenn ein Kind oder ein biologisches Elternteil zum Beispiel ein Flugzeugabsturz überlebt. Eltern und Kinder sind immer und ohne Ausnahme sterblich. Was glaubst du, wieso das Sprichwort „Frauen und Kinder zuerst" in der Geschichte sonst so bedeutend war?«, erklärte ich.
»Genau! Es ist alles ein ewiger Kreislauf. Manchmal können sich manche Kinder und manchmal auch noch Erwachsene erstaunlicherweise an ihre früheren Leben erinnern«, fügte Olive hinzu. »Manche Leute besitzen diese Gabe und auch wenn sie sterblich sind und nicht mehr alles wissen, haben sie dennoch Wissen, aus ihren früheren Leben, was ein sehr beeindruckendes Phänomen und für uns Unsterblichen tatsächlich ein Wunder ist!«
»Bei den Erwachsenen erlauben sich aber manchmal auch nur Unsterbliche einen Scherz mit euch Sterblichen. Glaube also nicht immer einfach jedem, der behauptet schon unzählige Leben geführt zu haben. Es gibt auch genügend Scharlatane«, gab ich zu bedenken.
»Ich hab das auch schon gemacht«, gab Olive schulterzuckend zu und kicherte. »Das war immer ein riesengroßer Spaß.«

»Aber was ich nicht verstehe, wenn es doch immer genau gleich viele Seelen gibt, wieso schwankt dann die Menschenzahl auf dem Planeten?«
Olive und ich wechselten einen vielsagenden Blick, wobei wir versuchten abzuwägen, wer es ihr am besten erklärt.

Am Ende ergriff ich das Wort zuerst und sagte: »Es werden einfach nicht immer alle Menschen gezählt. Völker wurden zum Beispiel nicht entdeckt. Oder, was ich dir auch schon erklärt habe, dauert es einfach ein bisschen, bis ein neuer Mensch geboren wird, der zu der Seele passt.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Ja und manchmal, wenn eigentlich ein Mensch gestorben ist, aber wiederbelebt wird, berichtet er oftmals von dem Licht am Ende des Tunnels. Und ja, wenn die Seele sofort recycelt werden kann, dann ist es schon das neue Leben und die Erinnerung an das Licht, was nach dem Geburtskanal kommt. Wenn aber die Seele zurück in den alten Körper muss, da dieser doch weiterlebt, dann ist es so, dass, wenn keine neue Seele zur Verfügung steht, es leider für das neue Baby bedeutet, dass es nicht überlebt. Aber so ist nun mal der Kreislauf der Sterblichkeit.«
»Wow! Ihr beide habt einfach das ultimative Wissen über all die kontroversen Fragen, die sich die Sterblichen stellen! Ich liebe euch beide!«
Olive und ich lachten auf.
»Ich liebe es, wenn die dummen Sterblichen endlich die Erleuchtung erlangen«, stichelte Olive scherzend und schaute mich erwartungsvoll an.
»Das sind mir die liebsten dummen Sterblichen«, fügte ich belustigt hinzu, woraufhin Ally uns empört mit zwei Kissen bewarf.

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