Johanna Mason - Vom Tributen zum Mentor | Kapitel 22

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„Du willst also jetzt wirklich zu Odair?", fragte Jason flüsternd, auch wenn es kaum nötig gewesen wäre. Haymitch schlief und um diese Uhrzeit waren wir zusammen mit zwei anderen Mentoren die einzigen, die sich noch hier aufhielten. Außerdem war es mir eh egal, was die anderen dachten, sie konnten es also ruhig mitbekommen.

„Ja. Hast du etwas dagegen?", erwiderte ich und stand bereits auf. Ich wollte nicht zu spät kommen, Finnick war sowieso schon überheblich genug.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht wirklich was ich davon halten soll, ja.", gestand Jason und stand ebenfalls auf.

„Wovon was halten?", fragte ich nach und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast doch gesagt, dass er in Ordnung ist. Und du wolltest, dass ich mir Freunde suche. Also wo ist das Problem Jason?"

„Du bist erst 16."

„Was willst du mir damit sagen?", wollte ich wissen, auch wenn ich mich beherrschen musste nicht zu lachen. Ich dachte er hätte die Szene heute Vormittag als den Scherz aufgefasst, der er gewesen war. Scheinbar hatte ich mich da getäuscht.

„Ich fühle mich ein wenig verantwortlich für dich und ich deshalb will ich nicht, dass du nach Mitternacht ins Zimmer von Finnick Odair gehst.", erklärte er.

„Wieso nicht? Worüber machst du dir Sorgen Jason?", versuchte ich es aus ihm heraus zu kitzeln. Doch er konnte es nicht direkt ansprechen sondern starrte stattdessen auf seine Füße.

„Hör zu Jason. Ich werde es als rührend abstempelnd, dass du dich um mich sorgst. Und ich finde es auch wirklich lieb dass du dich verantwortlich fühlst aber das ist nicht nötig. Ich bin 16, wohne allein in einem großen Siegerhaus und da ich Waise bin muss ich für mich selber sorgen. Außerdem habe ich die Hungerspiele gewonnen und damit wohl mehr Erfahrung in der Bewältigung von Schwierigkeiten, also lass es einfach gut sein. Und egal was ich tue, du dürftest wissen, dass ich dich niemals um Erlaubnis fragen würde. Ich tue die Dinge einfach. Und falls du keinen Streit willst der mit Sicherheit eskalieren wird, das kann ich dir jetzt schon versichern, dann gehst du jetzt zur Seite und holst mich, wenn etwas passieren sollte. Lange werde ich eh nicht wegbleiben."

Nach meiner Ansprache verzog sich Jasons Gesicht ein paar Mal, doch dann nickte er brummend und setzte sich wieder. Ich selbst dagegen machte mich mit schnellen Schritten auf den Weg zum Aufzug.

Als ich auf der vierten Etage angekommen war und die Tür zum Appartement erreichte, klopfte ich dreimal an. Dreimal, weil Finnick es wollte, auch wenn ich dabei die Augen verdrehen musste. Wie viele Besuche bekam er denn um diese Uhrzeit, dass er gleich auf ein Anklopfzeichen bestand? Es dauerte ein paar Sekunden, doch dann machte er auf und winkte mich herein.

„Was um Himmels Willen ist das?", fragte ich und fing zu lachen an, als ich seine Hose entdeckte. Sie war blau und lauter kleine Fische zierten sie. Es war eindeutig seine Schlafhose und trotzdem würde ich sie nicht einmal dafür anziehen.

„Das war ein Geschenk von der Tochter meiner Stylistin. Sie ist 10 oder so und findet mich große Klasse. Vor kurzem hat sie mit dem Nähen angefangen und seitdem finde ich immer wieder solche Teile in meiner Garderobe. Hör auf zu lachen Johanna, die ist sehr bequem.", versuchte er mir zu erklären, doch ich brauchte noch eine ganze Weile bis ich mich wieder beruhigt hatte.

„Du hast mich aber nicht hierher bestellt damit ich deine neue Hose bewundern kann, oder?", fragte ich immer noch schmunzelnd.

„Nein. Und damit du aufhörst ziehe ich mich um, da wir eh woanders hingehen werden."

„Wir gehen woanders hin?", wiederholte ich ein wenig verwirrt. Wo wollte er hin? Falls er trainieren wollte konnte er das gleich wieder vergessen.

„Wir gehen rauf aufs Dach.", sagte er und ich unterbrach ihn, noch ehe er weiterreden konnte.

„Gute Idee. Frische Luft tut jetzt gut.", stimmte ich zu, da ich wusste, warum wir dort hoch gingen. Durch das Windspiel und den Geräuschen des Kapitols konnte man uns dort nicht so einfach belauschen. Zumindest war das bei der Tour der Siegerin der Grund gewesen, wieso Jason mit mir dorthin gegangen war.

„Falls es dich stört, kannst du deine Augen zumachen.", grinste Finnick und schlüpfte dann auch schon aus seiner Hose. Ich schnaubte, sah jedoch demonstrativ hin und verzog dabei keine Miene. Ich war noch nie prüde gewesen und Nacktheit hatte mir nichts ausgemacht. Vielleicht lag das auch daran, dass ich immer zusammen mit meinen Geschwistern gebadet hatte, da wir so länger was vom warmen Wasser hatten.

„Jetzt komm.", meinte er als er umgezogen war und zog mich dann auch schon mit sich mit.

Oben angekommen ging er zielstrebig direkt unter das Klangspiel und ließ sich nieder, was ich ihm nachtat.

„Deine Eltern. Snow hat sie getötet, oder?", fragte er geradeheraus und überrumpelte mich damit vollkommen. Es dauerte eine Weile bis ich meine Stimme wieder gefunden hatte.

„Ich bin mir sicher, dass er den Auftrag dazu gegeben hat, ja.", antwortete ich dann.

„Warum?"

„Das weiß ich nicht. Vielleicht weil ich ihm eine Forderung abgeschlagen habe.", überlegte ich laut. Ich selbst hatte keine Antwort bei der ich mir zu hundertprozentig sicher war. Diese war allerdings mein Favorit.

„Er wollte, dass du dich mit Männern triffst, richtig? Dass du ihnen Gefälligkeiten tust. Oder?", fragte Finnick weiter.

„Woher weißt du das alles?", wollte ich wissen und bekam sofort ein ungutes Gefühl. Hatte ich einen Fehler begangen als ich beschlossen hatte ihm zu vertrauen? War der Liebling des Kapitols vielleicht sogar ein Verbündeter von ihnen?

„Weil es mir genauso ergangen ist.", erklärte er dann jedoch und starrt auf seine Hände.

„Er hat deine Familie umgebracht?", fragte ich ein wenig geschockt.

„Nein. Also nicht ganz. Hör zu, das dauert länger und ich bin bereit dir meine Geschichte anzuvertrauen wenn du mir versprichst, dass du sie niemanden je erzählen wirst. Ich habe sie bisher noch niemandem anvertraut, auch weil sie mir... nun ja... es gibt schönere Geschichten."

„Ich werde sie niemanden erzählen. Und wenn sie mich foltern würden. Ich bin zäh, weißt du. Und du hast dir praktisch meine komplette Geschichte selbst erschlossen, also habe ich sozusagen ein Recht auf deine.", erwiderte ich, was ihn schmunzeln ließ.

„Das war bestimmt nicht deine komplette Geschichte Mason. Aber hier ist der Deal. Ich erzähl dir meine und du mir dann deine. Und beide schweigen wir darüber, bis zum Ende unseres Lebens.", schlug Finnick vor, wobei er extra übertrieben dramatisch sprach.

„Ich komme mir gerade vor wie irgendein verwöhntes und reiches Teenagermädchen aus dem Kapitol das mit seiner besten Freundin auf dem Bett sitzt, sich die Zehennägel lackiert und Geheimnisse austauscht.", schmunzelte ich.

„Hast du solche Dinge nie gemacht?", fragte Finnick nach.

„Nein. Du etwa?", konterte ich und brachte ihn damit zum Lachen. „Die Hose war ein Geschenk. Ich kann nichts dafür, dass sie rosa war. Und jetzt lehn dich zurück und unterbrich mich nicht."

„Eins muss ich aber noch wissen. Wenn du sie noch niemanden erzählt hast, wieso dann ausgerechnet mir? Wir kennen uns doch kaum.", musste ich wissen, auch wenn ich die Geschichte unbedingt hören wollte. Vor allem da ich mir sicher war, dass sie zu seinen Vermutungen führen würde.

„Weil du einer der wenigen Menschen bist, denen ich blind vertraue. Außerdem wusste ich von Anfang an irgendwie, dass wir ein ähnliches Schicksal haben.", antwortete er.

Ich nickte und lehnte dann meinen Kopf gegen die Mauer, damit er wusste, dass er anfangen konnte.

Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin: Vom Tributen zum MentorWhere stories live. Discover now