Ausreißritt

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Ausreißritt

Genüsslich blinzelte ich in die warme Nachmittagssonne und räkelte mich im Gras. Die Luft war angenehm heiß und der Baum unter dem ich gemeinsam mit Levi lag, spendete Schatten. Ja, das Leben konnte wirklich schön sein. Die anderen Mädchen aus meiner Klasse lagen uns gegenüber in der prallen Sonne und fieberten der perfekten Bräunung entgegen.

Es war der Dienstag nach dem Auswahlspringen, noch immer waren alle vom Reiten und der anschließenden Party erschöpft. Auch wenn ich un- überraschenderweise vorletzte geworden war, war meine Laune keineswegs trüb. Wenn ich nun Feli auf dem Turnierplatz zujubeln musste, tja, dann war das auch egal. Ich ließ einen entspannten Seufzer aus.

Levi blickte mich an und überlegte kurz. Dann stellte sie unerwartet eine Frage.

„Habt ihr eigentlich viel Geld?"

Kurz runzelte ich die Stirn und dachte nach. Es kam immer darauf an, in welchem Verhältnis man „viel Geld" sah. Aber so... Bedeutete es, dass man viel Geld hatte, wenn man wie wir eine große Villa besaßen, dazu noch drei luxuriöse, aber selten besuchte Ferienhäuser, die unter anderem in Monaco und L.A. standen? Meine Eltern »stiegen« ja lieber in extravaganten fünf Sterne Hotels ab. Und dann unsere vier sehr teuren Autos. Gleichzeitig musste ich an Klara, unsere Hausdame denken, die sich irgendwo eine neue Stelle hatte suchen müssen. Ich vermisste sie genauso stark wie meine Eltern, vielleicht sogar mehr. Sehr viel mehr.

„Kann man so sagen." Zu gleich ertönte ein spitzes und herablassendes Kichern, es kam von Feli, die sich nun in der Sonne aufsetzte. Hämisch zog sie ihre Augenbrauen nach oben und verzog ihren Mund zu einem verächtlichen, höhnischen Grinsen. Leise lachte sie in sich hinein und lehnte sich wieder zurück. Eindeutiger ging es wohl nicht.

Ungeachtet Feli erzählte ich Levi weiter: „Meine Eltern sind beide Workaholics. Mein Vater war jahrelang Chef in seiner jetzigen, riesigen Firma. Doch irgendwann wollte er wieder in eine normale, aber trotzdem gut bezahlte Stelle. Jetzt ist er in einer Art Außendienst für seine Firma und sucht neue Standorte... Mit anderen Worten: 2 Jahre Weltreise. Außerdem ist er wirklich arbeitssüchtig. Krank, oder? Keine Ahnung, wie er zwei Jahre ohne Büroarbeit aushalten will..."

Erst schaute Levi mich ungläubig an, dann grinste sie. „Erinnert mich fast genau an meinen Vater!"

Jetzt grinsten wir beide um die Wette. Doch Levi wurde abgelenkt, als sie in der Ferne jemanden erkannte. Hektisch winkte sie und grinste noch breiter. Dann rief sie:

„Fabio, wir sind hier!!" doch er schien sie nicht zu bemerken und ging einfach weiter. Mir blieb es ein Rätsel, wie sie aus dieser Entfernung den Jungen hatte erkennen können.

„Levi, du und dieser Fabio... Wann wird das wohl endlich was?? Wie lange rennst du ihm eigentlich schon hinter her? Ein Jahr oder doch anderthalb?", meinte Feli. Anscheinend hatte sie es heute drauf angelegt.

Wenn Levi vorhin ungläubig geschaut hatte, wusste ich nicht, wie man meinen Gesichtsausdruck hätte beschreiben sollen: „Du?? Stehst auf diesen... Fabio?"

Ich musste an diesen Witzbold denken, der auf mich ein wenig unreif gewirkt hatte... Verlegen schaute sie mir ins Gesicht und zuckte mit den Schultern.

„Lieber stehe ich auf den als auf Nic.", entgegnete Levi trotzig.

„Wie meinst du das?", probierte ich vorsichtig auszukundschaften. „Nun ja, ein paar andere und ich waren schon mit Nic zusammen, aber höchstens drei Wochen."

Feli setzte auch zu einer Art Rede an. War ihnen dieses Thema so wichtig? „Eigentlich ist Nic echt voll okay. Er ist gar nicht so übel und seine letzte »Beziehung«", sie hustete gekünstelt, „Hatte er vor einem Jahr. Also so schlimm kann es wohl nicht sein."

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