Kapitel 34

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Fragend sah mich Özlem durch den Spiegel an, während ich sie von hinten umarmte und beide Hände auf ihrem Bauch verschränkte. Auch sie legte eine Hand auf meine beiden Hände und musste ungewollt lächeln.
"Das starke Mädchen weiß nicht, wie sehr ihr Anker, der hinter ihr steht, sie liebt."
Leicht legte ich meinen Kinn auf ihre Schulter und sah sie vom Spiegel ins Gesicht. Sie strahlte und drückte meine Hand. Ihre Haare strich ich zur anderen Seite. Ihre Augen füllten sich, ihre Gesichtszüge wurden unsicher. Dieses Rauschen der Nacht durch das Fenster war bis zum Bad zu hören. Diese dünne Luftschicht verteilte sich im kompletten Raum. Unsere Atemzüge waren im kleinen Raum zu hören und selbst die Krankenschwestern sprachen oder marschierten nicht durch die Gänge. Während ich sie vom Spiegel in Augenschein nahm, verschnellerten sich ihre Atemzüge dreifach, denn selbst ihr Herz sprang förmlich aus ihrer Brust.
Plötzlich regte sie sich vom Fleck und drehte sich zu mir. Mit ihren dünnen Armen schlang sie diese um meinen Nacken und stellte sich auf Zehenspitzen. Erstaunlich blickte ich in ihr Gesicht, was halb zum Schein kam und legte beide Hände auf ihrer Taille ab.
Sie lächelte in meiner Brust und hatte ihre Augen geschlossen. Ihre Wangen waren rot angefärbt, weshalb ich schmunzeln musste.
"Danke, dass es dich gibt Erdem", hauchte sie und lächelte mit mir um die Wette. Allein ihre hohe und süße Stimme brachte mich zum schmelzen. Ihre Schüchternheit, die ihren stillen Charakter beschrieb. Ihre ruhige Art, mit der sie am besten provozieren konnte. Ihre Sturheit, mit der sie mich umbrachte. Sie war allgemein ein unschuldiger Engel, der mit nur einer Aktion einem Menschen seine Warmherzigkeit bewies.
Sowas goldiges aus ihrem Mund zu hören war wie eine Belohnung. Allein nur dieser kurze Satz hatte zig Bedeutungen.
Mit diesem Satz wurde gemeint, dass ich ihr Vertrauen, was einer der schwersten Aufgaben in meinem Leben war, komplett, ohne Makel, ohne zukünftige Probleme gewonnen hatte. Andererseits wurde damit verdeutlicht, dass sie mich mochte. Nicht nur von mögen sprach ich, sondern tatsächlich lief mehr als nur Freundschaft. Umso mehr stieg meine Hoffnung. Klar würde unsere Geschichte mehr Tiefen als Höhen haben. Auch, wenn sie diese Psychiatrie verlassen würde, wäre es für uns beide schwer werden. Allein, dass Kaan auf freiem Fuß war und dass sie meine Hilfe nicht annehmen würde und in Schwierigkeiten geraten würde, verschaffte mir schmutzige Gedanken. Doch mein Versprechen blieb uns beiden in Erinnerung. Das Versprechen ihr solang zu helfen, bis sie problemlos leben könnte ohne jegliche Hintergedanken sich wehzutun.
Nicht nur das, sondern jedes Detail hatte sich in mir eingeprägt. Das erste Mal, als ich ihre Stirn geküsst hatte, sie an Silvester zum Dach geführt hatte, sie an Weihnachten beschenkt hatte, unzählige Male ihr Trost gab, mit ihr seelisch weinte und jeden Tag sie an andere Gedanken brachte, um ihr Abwechslung zu verschaffen. All das war harte Arbeit. Ich, der den Umgang mit seelischverstörten Menschen nicht kannte, der nicht wusste, wie man handelt, wenn jemand weint, hatte einem Mädchen geholfen, war dabei ihr Leben zum Glücklichsten zu gestalten. Ich hatte ihr das Lächeln neu beigebracht, ihr gesagt die Hoffnung nicht aufzugeben und angefangen Gefühle für ihr zu empfinden. So wichtig wurde das Mädchen, was ich umarmte. Diese einzigartige Geschichte, diese bewegenden Situationen und diese wie ein Schiff schwankende Zustände waren ein Teil meines Lebens geworden.
Mit einem sanften Ruck nahm sie ihre Hände und platzierte diese auf meine angespannte Brust. Sie sah nach unten, dachte wohl wieder nach. Wahrscheinlich sogar über mein Gesagtes, meine Liebe, die ich ihr halbwegs damit gebeichtet hatte.
"Bist du müde?", fragte ich sie leise und sah herunter zu ihr. Ich bereute es das Thema geändert zu haben. Ich war neugierig, was sie wohl sagen würde, doch es war zu spät. Eine Hand legte ich auf ihre Wange und strich mit meinem Daumen darüber.
Kopfschüttelnd fing sie an zu lächeln, doch blieb wieder ernst.
"Was sollen wir dann machen?"
"Bist du denn müde?", fragte sie und sah nach oben zu mir.
"Nein."
"Dann gehen wir jetzt spazieren", grinste sie und zog sich ihre Jacke an.
"Was? Aber wie?", fragte ich sie.
"Es gibt zwei Eingänge. Einmal der Haupteingang vorne und hinten im Krankenhaus."
Nickend fasste ich sie an die Hand und folgte ihr.
Sie kannte sich hier wohl oder übel aus, denn wir gelangen in kürzester Zeit nach draußen.
Anfangs blieben wir ruhig und genossen diese nächtliche Ruhe. Leichter Nebel war in der Dunkelheit durch die Straßenlampen zu erkennen. Diesmal war alles viel angespannter zwischen uns, doch auch die Rolle der Nacht nahm an dieser Anspannung teil. Nach einer Zeit ersetzte ich die Anspannung durch reden. Auch sie fing an zu reden, öffnete sich immer mehr und fing an Erlebnisse aufzuzählen. Natürlich waren es peinliche oder lustige Erlebnisse, die sie zum kichern brachten und nichts weiteres als unser Lachen zu hören war.
"Ich hab mir vor Angst fast in die Hose gemacht", lachte sie und beendete somit ihr Erlebnis.
"Abropo in die Hose gemacht. Damals als Aylin und ich noch um die 12 Jahre alt waren sollten wir abends zu unseren Bekannten gehen, um etwas zu holen. Aus Spaß haben wir eine Wette begannen, wer als erstes ankommt. Ich hab sie ins Gebüsch geschubst, sie hat sich vor Schock in die Hosen gemacht", lachte ich und musste mir Özlems lautes Lachen anhören. Mittlerweile schmerzte unser Bauch, als ich ihr Aylins peinlichen Ereignisse mitteilte.
Oft hatte es Aylin in ungünstigen Momenten erwischt. Trotz der Kälte wurde es uns warm, weshalb wir eine weitere Stunde draußen verbrachten.
Die Themen wechselten wir zügig und lernten negative als auch positive Seiten an uns besser kennen. Wir setzten uns zusammen auf den Bordstein und beobachteten die stumme Nacht, was mir romantischer als gedacht vorkam.
"Ich liebe so ein Wetter in der Nacht. Nicht zu warm, etwas kalt, aber zum aushalten."
Ich bejahte darauf und rückte, nachdem ich räusperte, näher zu ihr.
"Wieviel Uhr haben wir?", fragte sie mich und wartete, bis ich auf mein Handy sah.
"Kurz vor fünf", antwortete ich zurück und wieder herrschte Stille.
"Aylin hat mir von Serhat erzählt."
Kurz hielt sie die Luft an.
"Was hälst du von deren Beziehung?"
"Ich bin sauer. Erstens hat sie es mir so spät erzählt. Zweitens mag ich ihn nicht. Auf der Arbeit gab es oft kleine Auseinandersetzungen zwischen uns. Es herrscht dicke Luft zwischen uns, aber ich werde mir alles nochmal durch den Kopf durchgehen lassen."
"Sie ist inzwischen erwachsen, deshalb hab keinen allzu großen Einfluss auf ihre Entscheidung", sprach sie dazwischen.
Sie hatte Recht.
"Kümmer dich lieber um deine Zukunft. Ich hab gehört du bist abends oft unterwegs, was deinen Eltern Sorgen verbreitet", lachte sie leicht.
"Ja, aber sie wissen wo ich mich aufhalte. Ich brauch einfach Ablenkung, deshalb geh ich ab und zu in die Shishabar."
"Glaub mir da halten sich nicht die Vernünftigsten auf", meckerte sie darauf.
"Ich änder mich schon nicht", sprach ich provokativ und bekam einen Schlag an meinem Oberarm.
"Aber ich überlege mir eine eigene Wohnung zu mieten", beichtete ich ihr.
"Hier aber oder?"
"Ja."
"Aber warum?"
"Ich brauch etwas Abstand von meiner Familie. Außerdem sollte ich jetzt auf eigenen Beinen stehen."
"Gute Einstellung", lächelte sie.
"Zieh hier in der Nähe ein, dann brauchst du nicht immer so lange zu fahren", merkte sie an.
"Ich versuchs", sagte ich und legte meine Hand auf ihrem Oberschenkel.
Sie zitterte leicht, doch meinte, dass es nicht an die Kälte liegen würde. Oftmals hatte ich sie beim Zittern erwischt, doch sie meinte dauernd alles wäre im grünen Bereich.
Entweder war es aus Angst oder Nervosität. Tausend Gründe könnten dahinter stecken.
Es war ein ungünstiger Moment, doch ich wollte sie fragen, was die ganze Sache mit Kaan auf sich hatte. Was hinter diesen Geheimnis steckt. Sie hatte mir den Hintergrund genannt, doch nicht den Kern der Geschichte.
"Ich hab eine Frage an dich."
"Mh?"
"Du hast mir erzählt, dass dir Kaan gefolgt ist, dich entführt hat und eingesperrt hat, aber wieso? Wieso haben deine Eltern nichts dagegen getan und ihn tun und machen lassen, was er wollte? Wieso haben sie dich angefangen zu hassen?"
Abrupt änderten sich ihre Gesichtszüge als auch ihre Augen, in denen sich Wasser versammelte.
"Erdem ich will nicht wieder erzählen", murmelte sie fast unverständlich.
"Aber ich sag es dir eines Tages irgendwann", ergänzte sie schwach und wischte sich mit ihrem Ärmel über die Augen.
"Ich lass dir Zeit", hauchte ich gegen ihre Wange und zog sie zu mir.
"Sollen wir rein?"
Leicht nickte sie und ich half ihr hoch.
Bei den Treppen blieb sie stehen und seufzte.
"Ich hasse Treppen laufen", motzte sie und stieg langsam die Treppen hinauf. Rasch schubste ich sie nach hinten zu mir und legte meine Hände an ihrem Rücken und unter ihren Knien. Kurz ließ sie einen Schrei aus sich raus, doch verstummte und kicherte leise.
"Vorteilhafter für mich", lächelte sie und ließ sich von mir in Brautstyle tragen.
"Jetzt sei ruhig. Die haben deinen Schrei bestimmt gehört", flüsterte ich und stieg die Treppen mit ihr auf meinen Armen hinauf.
Angekommen öffnete sie die Tür und ich setzte sie an den Bettrand ab.
"Ich muss morgen noch in die Firma. Das heißt ich bleib bei dir nicht lange, ist das okay?"
"Ja", schmunzelte sie.
"Was grinst du so? Du gehst jetzt schlafen Özlem!", befiehl ich ihr.
"Ich bin überhaupt nicht müde", schmollte sie leise und sah mich mit Hundeblicken an.
"Dann helf ich dir jetzt. Los leg dich hin."
Auch ich legte mich zu ihr und deckte uns zu.
"Schließ deine Augen und schon schläfst du."
Während sie ihre Augen schloss, beobachtete ich sie und wartete, bis sie im Tiefschlaf geriet.
"Kommst du morgen wieder?"
"Ich versuchs, aber falls ich nicht komme, wird Aylin kommen."
"Sie war schon lang nicht mehr bei mir."
"

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