Kapitel 26

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Als sich der Nebel langsam lichtete, war das erste, was ich wahrnahm, Michas Duft. Seine Wärme und seine Finger, die mir durch die Haare strichen. Eine Weile lag ich einfach so da und unterließ es, Micha zu verraten, dass es mir von Sekunde zu Sekunde wieder besser ging.

Langsam aber sicher wurde mein Gehirn wieder klar genug, um zu begreifen, dass das vielleicht das letzte Mal sein würde, dass ich Micha so nah sein konnte.

Was auch immer mit mir passiert war, konnte nichts Gutes bedeuten, aber noch war ich mit Micha alleine im Wald. Kein wachsamer Blick vom Schulleiter. Kein Arzt, der irgendeine tödliche Krankheit diagnostizierte.

Ich wusste nicht, was in den nächsten Tagen geschehen würde, aber ich wusste, dass ich es wahrscheinlich bitter bereuen würde, wenn ich diesen letzten Moment einfach so verstreichen ließ.

Das beunruhigende Verhalten meines Herzens rückte immer weiter in den Hintergrund, und als Micha mich auf die Stirn küsste, waren meine Sorgen bereits vergessen.

Glaubte er, dass ich noch ohnmächtig war, oder hatte er das Flattern meiner Lieder bemerkt?

Inzwischen bekam ich wieder genug Luft, und mein Gehirn war kein Watteberg mehr, sondern beschäftigte sich gerade fieberhaft mit der Überlegung, ob es ok wäre, Micha zu küssen.

Später könnte ich immer noch behaupten, ich wäre nicht ganz zurechnungsfähig gewesen.

Leicht schwankend setzte ich mich auf, meine Hände auf Michas Knien.

Wie um zu verhindern, dass ich wieder umfiel, hielt Micha mich an den Schultern fest und sah mir in die Augen.

„Der Krankenwagen kommt gleich. Ich bleibe bei dir, versprochen." Seine Stimme klang ruhig und gab mir ein wohliges Gefühl von Sicherheit.

„Danke Micha", sagte ich leise. Vorsichtig rutschte ich ein Stück naher an ihn heran, sodass sich unsere Kniespitzen berührten. Es war gar nicht so leicht, mich zu beherrschen, mich langsam zu nähern, obwohl ich nichts lieber wollte, als Micha nahe zu sein. Aber ich konnte mich ja schließlich nicht einfach auf ihn stürzen.

„Lena? Was ist los?", fragte Micha, als ich noch ein Stück näher rutschte. Leicht verunsichert sah er mich an, und ich kam nicht drumherum festzustellen, dass er so fast noch niedlicher aussah als sonst.

„Was los ist?" Lächelnd winkte ich ihn zu mir, wie um ihm ins Ohr zu flüstern. Für einen Moment geriet ich ins Zweifeln, ob ich wirklich das Richtige tat. Aber als ich eine Hand an Michas Hals legte und mein Mund so nah an sein Ohr kam, dass mein Atem durch seine Haare strich, beschleunigte sich Michas Atmung, und ich fasste Mut. Sanft küsste ich Micha unters Ohr, sog seinen Duft in mir auf und versuchte, nicht vor Nervosität zu zittern.

Einen Moment herrschte Stille. Langsam lehnte ich mich zurück, unsicher, ob ich Micha in die Augen sehen, oder doch lieber den Waldboden begutachten sollte.

„Lena", sagte Micha vorwurfsvoll. Dann strichen seine Finger über meine Wangen, verschwanden in meinen Haaren, und ehe ich mich versah, spürte ich Michas Lippen auf meinen.

Vor Schreck schnappte ich nach Luft und wurde sofort rot. Im ersten Moment wirkte Micha leicht irritiert, dann lachte er leise, strich mit dem Daumen über mein Ohr und beugte sich ein zweites Mal vor.

Diesmal war die Berührung sanft, vorsichtig. Der Kuss war schöner, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Halb rutschte ich auf Michas Schoß, halb zog er mich herauf. In diesem Moment schien die Welt um uns herum nicht mehr zu existieren.

Erst als wir das Motorengeräusch eines Autos hörten, lösten wir uns voneinander.

„Das ist dann wohl der Krankenwagen", sagte Micha. In seiner Stimme klang Enttäuschung mit.

KämpferherzenWhere stories live. Discover now