7 - Recht beklemmlich, dieser Herr

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Das Wochenende verlief schnell und auch ohne weitere Hindernisse oder seltsam beklemmliche Begegnungen. Ella dachte kaum mehr über diese ungemütliche Aphrodite in seinem Olymp nach und wollte auch nichts mit ihm zu tun haben.

Am Montag fing endlich das neue Semester an und sie hatte ihre ersten Seminare und Vorlesungen. Da sie freie Kunst studierte, lag ihre Hauptaufgabe auf dem, was sie die „Ästhetische Praxis" nannten. Das machten sie zu 90% in jedem Semester, wenn nicht sogar mehr. Es war im Grunde eine ganz einfache und idiotensichere Aufgabe: Künstlern. Zeichnen, Malen, Pinseln, Basteln, Nähen oder was immer man auch den Professoren als moderne Kunst andrehen konnte, ging in die Bezeichnung „Ästhetische Praxis" mit hinein. Und ansonsten hatte sie nur ein oder zwei Seminare oder Vorlesungen im Semester. Ja, es klang einfach und vielleicht sogar popelig. Doch für einen Künstler, der sich immer wieder selbstständig neue Projekte und Aufgaben suchen musste, die auch noch einigermaßen dem Geschmack der Schule oder der aktuellen Kunstwelt gefallen mussten... Das war nicht immer einfach. Du musstest schlicht und einfach immer genial sein. Das war wohl der Grund, warum so viele ihrer Künstlerkommilitonen zu Drogen oder anderem Zeugs griffen. Wenn die Genialität nun mal nicht von alleine kommt, musste man sie manipulierend zu einem Selbst schaffen.

Ella verabscheute Drogen und das was es langsam und sicher mit Menschen tat.

„Ella..." hörte sie eine Stimme hinter sich rufen, dass sie aus ihren Gedanken riss und auch noch einen schrecklichen Schauer über ihren Körper jagen ließ. Das konnte doch nicht wahr sein?

Sie drehte sich um und sah diesen Darren. 

Und sofort sank ihre Laune von 'Drogen sind scheiße, okay!' auf 'Sie haben Kenny getötet! Die Schweine!'.

„Ella war das... Oder?" sagte er ein wenig steif.

„Wow... Hören da meine Ohren richtig? Du kennst meinen Namen?"

Sie bemerkte, dass es ihm ganz und gar nicht gefiel, wie sie mit ihm redete. Nur schade, dass es ihr so sehr gefiel dieses riesige Luftballon an Ego immer mal wieder anzupicken.

„Kann ich das als eine besondere Ehre ansehen?" fuhr sie fort.

Er biss seine Zähne zusammen, doch ging nicht drauf ein.

„Du hast jetzt Unterricht in der Kunsthochschule, hab ich gehört."

Wer hatte es ihm gesagt?! Mae?! Nein... Bestimmt Linda! Sie würde sich dafür bei ihr revanchieren! Darauf konnte sie Gift nehmen!

Sie hob ihre Augenbrauen an und warf ihm einen fragenden Blick.

Er fuhr fort.

„Ich hab da zufälligerweise heute auch meine erste Stunde..."

Sie wollte ihren Ohren nicht trauen. Was zum Henker machte so ein arroganter Pimpf in ihrer Kunsthochschule?! Ihre heilige, bekiffte Kunsthochschule!

Er bemerkte anscheinend, dass sie überhaupt nicht glücklich über diese Nachricht war, denn er zog seine Anfrage wieder zurück:

„Schon gut... Ich finde es schon alleine." Er lief los, doch das konnte Ella nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Sie hielt ihn auf:

„Schon okay. Wir können einfach gemeinsam gehen..." Und dann lief sie ihm hinterher. „Da du nicht wirklich der gesprächigste bist, kann ich ja Selbstgespräche führen und keiner wird mich für verrückt halten." Sie musste ein wenig grinsen und ihr Blick huschte zu ihm. Es war schon fast so, als hätte sie für einen klitzekleinen Moment so etwas wie Bewunderung in seinen Augen aufblitzen sehen. Das konnte aber nicht sein. Sie blickte wieder auf die Straße. Er tat es ihr gleich.

Eine Weile liefen sie zusammen und schweigend nebeneinander her. Bis sie es wieder nicht aushielt und ihm eine Frage stellte:

„Du studierst aber kein Kunst oder?"

„Nein."

Huh! Erleichterung pur!
Sie wartete einen Augenblick, vielleicht würde da noch etwas kommen, was natürlich nicht der Fall sein sollte.

„Was studierst du dann?" sie versuchte den Ärger aus ihrer Stimme raus zu halten.

„Geschichte und Philosophie."

Sie sah ihn verwundert an. Das hätte sie nicht von ihm erwartet. Ihre Verwunderung schien ihm nicht zu gefallen. 

„Ich habe BWL studiert. Das ist mein zweites Studium."

In ihrem Gesicht breitete sich bloß noch stärkere Verwunderung aus. Aber sie fasste sich schnell und konzentrierte sich wieder auf ihren Weg. Was zum Teufel...? Warum studierte jemand, der BWL hinter sich hatte, noch einmal so etwas wie Geschichte und Philosophie? Sie hätte ihn liebend gerne gefragt, aber ihr Mut verließ sie genau in diesem Moment. Das tat ihr Mut manchmal. Er war nicht sehr vertrauensvoll.

„Wie alt bist du dann...?" fragte sie stattdessen.

„24."antwortete er.

Er sah gar nicht so aus, musste sie sich eingestehen.

„Für den Fall, dass es dich interessieren sollte: ich bin 20."

Er erwiderte darauf wieder nichts. Warum war er immer so still? War es so verdammt schwierig einfach wie ein normaler Mensch zu reden?

„Ich glaube auch, das war genug Small Talk für heute. Wir wollen deine Fähigkeiten nicht überstrapazieren!" und mit den Worten lief sie schneller, aber sprach kein weiteres Wort mehr. Sie stiegen in die Straßenbahn ein und fuhren zur Kunsthochschule.

Die Kunsthochschule hatte viele Seminare mit den Philosophen zusammen, da die Kunstgeschichte auch einige Themen mit der Philosophie gemeinsam hatte. Auch die Geschichtsfakultät war oft hier. Sie arbeiteten natürlich mit der Kunstgeschichte zusammen. Deswegen war er wahrscheinlich hier.

Sie kamen an der Kunsthochschule an und standen nun vor dem Südgebäude.

Sie sah ihn fragend an. Wenn er nicht redete, dann wollte sie ebenfalls keinen Atem verschwenden.

„Von Rosenfeld. Die Sprache in der Kunst." waren seine spärlichen Worte.

Sie seufzte auf. Sie hätte es sich denken können. Warum war man auch so dumm genau das zu wählen?

Genau das war auch ihr Seminar.


Ella - der Genuss von Stolz und LiebeWhere stories live. Discover now