22 - Sing die Tränen fort

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Ein Unheil konnten sie abwenden, doch jagte das zweite das erste sogleich. Plötzlich veränderte sich Benjis Verhalten. Keiner wusste, was der Auslöser gewesen war. Keiner wusste den Grund. Keiner verstand, was gerade passierte. Am wenigsten Mae.

Aber eins stand fest: Benji ignorierte sie.

Es fing nicht direkt an, sondern bahnte sich so langsam, weshalb es nicht sofort bemerkt wurde. Die Gilde war vereint bei Necla Teyze, ihrem Geheimsitz für geheime Besprechungen.

„Was ist bloß passiert? Ich kanns einfach nicht verstehen!" rief Jenica qualvoll in den Raum hinein. „Es steht doch in deinen Händen!!" sie griff nach Maes zarte Hand und tappte auf einen Punkt darin herum. „Hier! Da steht es doch! Ich bin nicht blind! Sogar in beiden verdammten Händen!" manchmal neigte sie zu starkem melodramatischem Verhalten.

Vor ihnen war ein gedeckter Tisch mit Süßem und anderem Schnucke und sie tranken fleißig Tee.

„Flosse hin oder her: Er mochte dich sehr! Gewiss!" meinte Neema flammig.

„Er mag sie immer noch, glaubt mir!" fügte Linda hinzu.
„Vielleicht war er einfach freundlich zu mir... Den letzten Monat... Mehr nicht..." sprach Mae und versuchte zu verstecken, wie verletzt sie eigentlich war.

„Red." Ella knipste einen Sonnenblumenkern in ihrem Mund auf. „keinen Stuss, Kind! Er mag dich." Sie knipste den nächsten Kern auf. „Mehr als nur das Mögen! Geh einfach hoch zu ihm und klopf an seine Tür und frag ihn." sie knipste noch einen Sonnenblumenkern. Verdammt, die Dinger machten süchtig! „Was verdammt nochmal mit ihm los ist!"

„Nein... Das... Was soll ich ihm denn sagen?" zögerte Mae.

„'Was zum Henker ist los mit dir?! Hast du den Verstand verloren, du verdammtes Weichei?!' wäre doch mal ein guter Anfang!" rief Neema wütend rein. „Verdammte Hacke, geht mir so was auf die Nerven! Ich schwöre euch! Er wurde verhext!"

„Es ist wirklich nicht normal!" pflichtete Lotte bei. „Man kann doch so ein offensichtliches Verhalten nicht von einer Woche auf die andere verändern..."

„Ich werde mit ihm reden!" sagte Necla Teyze bestimmt und fest.

„Um Gottes Willen, bitte, Necla Teyze! Nein!" flehte Mae sie an.

„Yok! Was hat das mit Allahs Willen zu tun?! Allahs Willen ist es, dass ihr glücklich miteinander werdet!" fügte Necla Teyze hinzu und Ella wusste nicht, ob sie das sagte, weil sie Jenicas Handlesekunst vertraute oder ob es einfach nur ihre Hoffnung war.

Mae versuchte ihre Gilde zu beruhigen:

„Es ist okay, Mädels. Wir... Ich habe mir einfach nur falsche Hoffnungen gemacht... So was passiert ständig. Nicht schlimm... Das Leben geht weiter."

„Irgendwas." Ella knipste wieder einen Sonnenblumenkern. „ist da passiert... Er kann doch nicht." Und noch eins knipste sie. „Einfach so von einer Woche auf die andere unfreundlich und kalt werden. Zu uns allen!" Und sie knipste noch einen Sonnenblumenkern. Linda seufzte auf und dann gab sie Ella einen festen Klaps auf ihren Hinterkopf.

„Hör gefälligst auf mit diesen Sonnenblumenkernen! Man versteht ja gar nicht, was du sagst!" schimpfte sie genervt.

Ella schmollte sie an und massierte die schmerzende Stelle.

„Warum kann er nicht einfach ausrufen: Me kamawla!" jammerte Jenica auf. Sie wurde mit fragenden Blicken beworfen.

„Ich liebe sie!" beantwortete Jenica ihre Frage, was sie da auf ihrer Sprache gesagt hatte.

„Nein, ich sags euch, Leute! Da war irgendeine Hexe am Werk und Benji wurde verflucht!"

„Was? Neema, Kind! Jenica ist ja schon seltsam... Aber manchmal toppst du sie wirklich um längen!" erwiderte Linda.

„Ich meins ernst, verdammt! Es gibt diese Hexen und Hexer, die deine Haare nehmen und dich dann verfluchen! Die können einen so diese ganz bösen Geister aufhalsen und man wird verrückt! Du glaubst doch auch an so was, Jenica!"

Sie wollte sich nicht gegen Linda stellen und deswegen zuckte sie kurz mit ihren Schultern auf. Neema schüttelte ihren Kopf über sie.

„Anders ergibt das keinen Sinn! Die haben den armen Jungen verflucht!"

„Ich merke, dass wir verflucht wurden und langsam den Verstand verlieren." beteuerte Linda.

„Fassen wir zusammen." sagte Lotte. „Wir können gerade nichts weiteres tun, als Abwarten und Tee trinken."

Ella erhob ihr Glas Tee auf diese Worte und nahm einen großen Schluck. Lotte redete weiter: „Ob es jetzt nun ein Fluch oder sonst was ist... Vielleicht hat er gerade einfach nur stress. Jeder braucht Zeit. Wir müssen das akzeptieren." Die Gilde war unzufrieden mit diesem Urteil.

„Ich frag meine Großmutter sicherheitshalber trotzdem wie man Flüche bricht." redete Neema mit einem strengen Blick weiter und darauf fingen die Mädchen an zu lachen.

„Was kann deine Großmutter schon ausrichten? Der Hexe eine Hühnchenkeule kochen?"

„Hey! Macht euch nicht lustig über meine Großmutter!" drohte Neema. Ihre Mutter und auch ihre Großmutter waren ihr heilig. Niemand durfte etwas gegen sie sagen.

„Schon gut, Leute... Bevor wir anfangen uns zu fetzen... Jenica! Sing etwas für uns." mischte sich Lotte ein. Jenica hatte eine wunderschöne Stimme und war sehr musikalisch. Nach ihren Angaben waren alle Sinti äußerst musikalisch und konnten mehrere Instrumente spielen und auch fast alle singen.

„Boah ja! Das ist eine super Idee! Wartet... Was soll ich singen..." überlegte Jenica kurz.

„Das mit dem Hummer!" schlug Ella vor.

„Das heißt 'me hum'." verbesserte Jenica sie. „Gut... Der Song geht an dich, Mae! Und all die Tränen, die du vergießen musstest!" sie räusperte sich. Mae rollte ihre Augen. Die Mädchen und Necla Teyze machten es sich gemütlich und spitzten ihre Ohren.

Und Jenica fing an zu singen:

„Me hum mato

Tu hal mato

Hi do klauta ye

O kau dijwe

O ti teisa

Hi do klauta gleich..."

Ella - der Genuss von Stolz und LiebeWhere stories live. Discover now