»01. Kapitel

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»Katie. Ich sage es dir jetzt nur noch ein einziges Mal: Gib mir das Handy zurück.«

Wunderschöne, klare blaue Augen verrenkten sich misstrauisch zu Schlitzen. Eine geballte Faust streckte sich in Zeitlupe in meine Richtung. Er öffnete sie so, dass eine freie Handfläche entstand. In der Erwartung, dass ich ihm das wichtigste in seinem Leben aushändigte, bedeutete er mir mit einem kurzen Nicken es auf die geöffnete Hand zu legen.

Er schien es todernst zu meinen; Ich hingegen deutete diesen Gesichtsausdruck als eine Kampfansage.

»Hm...Was ist...«

begann ich und trat einen Schritt zurück. Das weiße iPhone hielt ich dabei wie eine Belohnung vor seine Nase. Damit er den Verdacht bekam, dass ich es eventuell fallen lassen könnte, nahm ich es zwischen Zeige- und Mittelfinger. Provokant schaukelte ich es hin und her. Beunruhigende Blässe begann seine Wangen auszufüllen. Unauffällig trat ich ein weiteres Stück zurück.

»Katie, das ist überhaupt nicht lustig!«

»...Wenn du es nur unter einer Bedienung wieder bekommst?«

Und ich setzte einen dritten Schritt zurück. Die Mimik meines besten Freundes veränderte sich genau dann, als ich die Worte gerade erst ausgesprochen hatte. Aus dem einst gekonnten Todesblick, wurde ein schelmisches Grinsen. Kennt er mich jetzt schon etwa so gut, dass er ahnt was ich vorhabe, dachte ich mir, während ich beobachtete, wie er vorwärts schritt. Plötzlich stand er mir so nah, das ich den angenehmen Duft des vertrauten Aftershaves wahrnahm.

»Und die wäre?«

»Du musst...mich erst kriegen!«

rief ich unerwartet und drehte mich abrupt um. Mein erster und einziger Gedanke war Lauf. Und das tat ich auch. Noch ehe Niall irgendwie reagieren konnte, war ich schon wie eine Verrückte losgedüst. Ich befahl meinen Füßen so schnell zu laufen wie sie es das letzte Mal getan hatten, als mich eine Entenmama quer durch den ganzen Park gejagt hatte. Und das alles nur, weil Niall mich in den Teich geschubst hatte und ich beinahe auf ihren Kindern gelandet war.

Ich hoffte, dass ich wieder so schnell rennen konnte, denn schließlich waren wir beide zu diesem Zeitpunkt fünf gewesen.

»Du weißt dass ich dich kriegen werde!«

Ein lautes Lachen begleitete die schöne Stimme. Sie erklang näher hinter mir als gedacht. Dazu kam noch, dass der eigentlich lange Flur des Hauses doch nicht mehr so endlich, wie er mir anfänglich vorgekommen war. Mit Angehaltenen Atem überlegte ich mir einen Fluchtweg außer dem monströsen Fensters, auf das ich geradewegs zu stürmte.

»Oh Schätzchen, du sitzt sowas von in der Klemme.«

Auch Niall musste die Zwickmühle erkannt haben. Das passiert, wenn man handelt ohne vorher groß darüber nachzudenken, schimpfte ich mit mir selbst und spürte, wie sich lange Finger in den seichten Stoff meines T-Shirts krallten. Vergeblich versuchte ich mich beim Laufen aus seinem Griff heraus zu finden, doch mein bester Freund hielt es eisern fest. Keuchend versuchte er meine Geschwindigkeit zu zügeln, doch ich schaffte es sie beizubehalten.

Aber, fuhr mein inneres Ich fort, du bist eine Jones, und eine Jones findet immer einen Ausweg. Und genau den hatte ich auch gerade entdeckt.

Noch ehe mein Verfolger reagieren konnte, hatte ich einen Haken geschlagen und hetzte in die entgegengesetzte Richtung. Niall, der wohl nicht mit meiner spontanen Aktion gerechnet hatte, ließ aus Schreck den Saum meines Shirts los und stolperte Mehrere Meter nach vorne. Damit verschaffte er mir ein paar Sekunden, die ich tatsächlich auch benötigte, um zu dem kleinen Aufzug zurück zu kehren, der links von mir in der Wand bereit stand.

Ich muss dir gratulieren, Katie. Du bist ein Genie.

Mit schnellen, hektischen Bewegungen zog ich das dunkle Holzbrett nach oben, um den quadratischen Kasten dahinter freizulegen. Ein kurzer, leichter Windzug blies mir entgegen, doch auch der muffige Geruch hinderte mich nicht daran hinein zu klettern. Das morsche Holz knackte beunruhigend laut. Das Ding wird schon nicht zusammen brechen, redete ich mir selber ein, ehe ich das Brett wieder nach unten zog. Mit einem lauten Knall  krachte es wieder in seine Ursprungsposition zurück. Dann herrschte für ein paar Sekunden eine absolute Stille.

Jeder andere in meiner Situation wäre in eines der Zimmer gerannt, die hinter den gefühlten zwanzig Türen lagen, an denen Niall und ich vorbei gerannt waren, doch es hätte mir nicht sonderlich viel gebracht, da jede Tür dieses Hauses nicht abgeschlossen werden konnte. Das alles führte auf meine Kindheit zurück. Ich war schon immer ein sehr verspieltes Kind gewesen und eines Tages hatte ich sämtliche Türen des Hauses abgeschlossen und die Schlüssel durcheinander geworfen. Was ich dabei nicht geahnt hatte, war das mein Vater mit einem Kunden in seinem Arbeitszimmer gesessen hatte. Fälschlicherweise hatte ich die beiden eingeschlossen.

Die gesamte Aktion hatte damit geendet, das mein Vater mir Fernsehverbot sowie Hausarrest - und hier kam das schlimmste an der ganzen Sache - und den Umgang mit Niall verboten hatte.

Ein schweres Klopfen an meinem rechten Ohr ließ mich zusammen schrecken.

»Katie, komm da raus! Du kannst dich da nicht ewig drin verstecken!«

Und schon wieder dieses Wissen, das er gewinnen würde. Mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht suchte ich in der Dunkelheit nach dem langen Seil. Das letzte Mal hatte ich den alten Speiseaufzug mit sieben benutzt. Damals hatte ich mich vor Rosie, unsere alte Haushälterin versteckt, da sie mir mit ihren zusammen gezogenen Augenbrauen Angst eingejagt hatte. Nachdem ich gefunden wurde, hatte mein Großvater, der wegen mir vor Sorge beinahe einen Herzinfarkt erlitten hatte, Verbot erteilt, diesen Aufzug je wieder zu benutzen.

Sorry, Grandpa. Trotz der Dunkelheit spürte ich schon bald den rauen Stoff des Seils zwischen meinen Fingern. Ohne groß darüber nachzudenken zog ich einmal dran.

»Na dann wollen wir mal sehen, ob du mich jetzt noch wieder findest!«

BodyguardWhere stories live. Discover now