»19. Kapitel

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Noch bevor ich irgendetwas machen konnte, hatte Liam sich schützend vor mich gestellt. Bereits in der nächsten Sekunde hatte er seine Waffe aus dem Gürtel gezogen und hielt sie nach vorne. Der Schock, der durch das Bild vor mir ausgelöst worden war, kroch durch meine Knochen und lähmte mich regelrecht. Für ein paar Sekunden herrschte eine unheimliche Stille. Um nicht umzukippen, klammerte ich mich an seinen Arm. Ich wollte nichts anderes, außer auf meinen Vater zuzustürzen, um zu gucken, ob er noch lebte, doch kaum hatte ich mich nach vorne bewegt, spürte ich einen festen Arm um meine Hüfte.

»Bewege dich nicht.«

hauchte Liam leise in mein Ohr, während er mit der Mündung wahllos in den Raum zielte - jede Sekunde bereit zum Abschuss. Ich konnte förmlich spüren, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten und drohten, jeden Moment aus den Augenwinkeln zu treten. Liams warmer Körper, der mich beschützend an sich gepresst hielt, spannte sich mit einem Mal an, als ein kaum hörbares Knacken aus dem Stockwerk über uns, zu uns herunter drang. Sofort ließ er mich los und eilte nach vorne. Kaum war die wohlige Wärme von mir verschwunden, fühlte ich mich mit einem Mal schutzlos. Panisch wischte ich mir einmal mit dem Handrücken über die Augen.

»Warte hier.«

Liams Stimme war so leise, dass ich sie um ein Haar überhört hätte. Das Braun seiner Augen blickte mich mit durchdringend an. Mit verschwommener Sicht nickte ich ihm zu und ließ mich anschließend neben meinen Vater fallen, der immer noch leblos auf den kalten Fliesen lag. Mein Herz schlug immer unregelmäßiger, als ich daran dachte, dass auch ihm etwas geschehen konnte. Ein undefinierbarer Laut entwich meiner Kehle, während ich dabei zusah, wie Liam sich Stufe für Stufe nach oben schlich und anschließend aus meinem Sichtfeld verschwand. Mit einer gewissen Panik in den Augen, wandte ich sämtliche Aufmerksamkeit zu meinem Vater.

Das Bild, das sich mir bot, war etwas, dass ich nie wieder vergessen würde. Er lag auf dem Bauch, sodass sein Gesicht verdeckt von mir lag. Wie so oft auch, trug er seinen schwarzen Anzug, den er meistens zu Geschäftsessen anzog. Da der schwarze Stoff sauber, und nicht gerade sehr beschädigt aussah, musste das ständig austretende aus seiner Brust kommen. Ich atmete einmal tief ein, bevor ich ihn vorsichtig an der Schulter berührte und herumdrehte.

Kaum hatte ich ihn wieder auf den Rücken platziert, konnte ich nicht mehr gegen die endlosen Tränen ankämpften. Zuerst war es nur ein einziger Tropfen, der meine Wange berührte und sich den Weg nach unten bahnte, doch als ich an den kalten Körper des einzigen Menschen, den ich noch hatte, heruntersah, häuften sie sich immer mehr an. Das weiße Hemd, welches eigentlich immer strahlend weiß gewesen war, war dunkelrot verfärbt. Aus Reflex schlug ich mir die Hand vor den Mund, um den Schluchzer zu verhindern, der zwischen meinen Lippen hervordrang. Dann glitt meine Hand zu seinem Hals, um zu prüfen, ob er überhaupt noch einen Puls hatte. In den ersten Sekunden spürte ich nichts. Dann vernahm ich ein schwaches Klopfen. Ein erleichtertes Seufzen drang zwischen meinen Lippen hervor.

»Dad.«

Zaghaft berührte ich mit drei Fingerspitzen seine kalte Wange. Er reagierte nicht. Die braunen Augen waren verschlossen, die sonst so rot verfärbten Wangen sahen eingefallen und blass aus. Ich schluckte einmal schwer, bevor ich ihm mit zitternden Fingern erneut sanft über sein Gesicht strich.

»Komm schon, Dad. Mache deine Augen auf.«

Der Kloß in meinem Hals drohte immer schwerer zu werden, als ich keinerlei Bewegung feststellen konnte. Trotz der verschwommenen Sicht gab ich mein bestes, ruhigzubleiben. Am liebsten hätte ich ihn umarmt und im ins Ohr geflüstert, dass alles in Ordnung sei - so, wie er es bei mir früher gemacht hatte, wenn ich Angst gehabt hatte. Als ich mich daran erinnerte, wie sehr er sich immer um mich gesorgt hatte, konnte ich die restlichen Tränen nicht mehr verhindern. Ohne Rücksicht auf alles zu nehmen, ließ ich meinen Tränen endgültig freien Lauf und ergriff im selben Moment die kalte Hand meines Vaters. Die Hand, die mich immer vor dem schlimmsten bewahrt hatte. Die Hand, die meine sanft gedrückt hatte, als ich in Angst gelebt hatte. Die Hand, die beruhigend über meine Haare gefahren war, als ich die fehlende Nähe gesucht und erhalten hatte.

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