»15. Kapitel

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Meine Augen weiteten sich. Obwohl ich zum umfallen müde war, konnte ich genau sagen, das es Liam war, der mich mit einem gezwungenem Lächeln anblickte. Das schwach glänzende Braun seiner Iris verriet mir unweigerlich, dass er zum Zeitpunkt der Aufnahme eindeutig bedrückt gewesen war. Etwas anderes schwang in dem gestellten Ausdruck mit, doch ich konnte nicht erkennen, was es war. Trauer, Schmerz, Wut. Alles schien gleichzeitig über ihm zusammengestürzt zu sein. Mit einem schon beinahe unbehaglichen Gefühl klickte ich auf das Foto.

Was erwartete ich eigentlich? Als ich das Foto des Gartens sah, der dem Anschein nach einen Tatort darstelle, was ich an den unzähligen gelben Bändern und den Menschen in weißen Schutzanzügen schloss, dachte ich augenblicklich an einen von Liams früheren Aufträgen. Hatte er versagt, fragte ich mich, während mein Internet mal wieder beschloss mich zu ärgern und die Seite nicht zu laden, hatte er es nicht geschafft sie zu beschützen? Die ganzen Fragen sorgten lediglich dafür, dass sich die Aufregung in mir nur steigerte.

»Jetzt komm schon!«

meckerte ich und gab dem Computer einen kleinen Ruck. Alles, was ich damit erreichte war, das die Chipstüte auf meinem Schoß nach unten fiel und sich der Inhalt auf dem fein gesäuberten Teppich entleerte. 
Während ich mich leise fluchend daran machte den verbliebenen Inhalt zu retten, bemerkte ich nicht, wie sich ein Artikel auf dem Bildschirm ausbreitete. Ich wurde erst darauf aufmerksam, als sich automatisch eine zweite Seite öffnete und irgendeine unnötige Autowerbung mit einer dermaßen lauten Musik anging, dass ich vor Schreck die Tüte wieder auf den Boden warf und wie eine Furie aufsprang. Weitere - und eindeutig nicht jugendfreie - Beschimpfungen gegen die Seite entflohen ungebremst meinem Mund. Immer noch ein wenig erschreckt schloss ich den Tab wieder und widmete mich interessiert dem Artikel, welcher nur darauf zu warten schien von mir intensiv studiert zu werden.

»Veröffentlicht vor zwei Jahren.«

las ich leise und verfolgte die weiter folgenden Zeilen. Bevor ich mich allerdings auf den - dem Anschein nach - seitenlangen Bericht stürzte, betrachtete ich die beiden Bilder ausgiebig.

Liam hatte sich seit der Aufnahme des Fotos sehr verändert. Seine jüngere Version hatte die Haare kürzer und auch die starken Gesichtskonturen waren über die Zeit hinweg ausgeprägt worden. Er sah ohne Zweifel jünger aus und trotzdem bereits sehr erwachsen. Sichtlich beeindruckt von der starken Veränderung, die er innerhalb der Jahre durchgemacht hatte, sprang ich zum nächsten Foto über und sah mir jede Einzelheit genau an. Die extremen Augenringe, die Liam nun hatte, schienen mir aber nicht mehr ganz aus dem Kopf zu schwinden. Hatte er seit diesem Vorfall vielleicht nicht mehr regelmäßig schlafen können?

Aufgeregt vergrößerte ich das Bild des Tatortes und rückte ein kleines Stück näher an den Bildschirm heran. Ein wunderschöner Garten war zu sehen. Er wäre noch viel schöner gewesen, hätte nicht mitten auf dem perfekt gemähten Rasen eine Leiche gelegen, die durch eine schneeweiße Plane abgedeckt worden war. Mehrere Menschen standen auf der ganzen Fläche verteilt, ein paar notierten sich etwas, während andere mit erhobenen Händen diskutierten. Wer ist das, fragte ich mich stumm und zog fragend die Augenbrauen zusammen. Eine Antwort erhielt ich genau eine Sekunde später, als mir ein Name in der Bildunterschrift ins Auge stach.

»Mya Parker.«

murmelte ich und scrollte ein wenig nach unten. Etwas weiter unten entdeckte ich ein drittes Foto. Ein Mädchen - oder besser gesagt eine junge Frau - strahlte mich glücklich an. Unwillkürlich stutzte ich ein wenig. Keiner konnte bestreiten, dass sie wunderschön aussah.

Sie hatte große braune Augen, die unbesorgt in die Kamera sahen. Ein breites Lachen war auf den vollen Lippen zu sehen, die dunklen Haare lagen locker über den schmalen Schultern. Sie waren leicht gelockt und umrahmten die weichen Gesichtszüge perfekt. Anerkennend nickte ich vor mich hin und scrollte wieder an den Anfang zurück, um mich nun endlich mit dem Artikel zu beschäftigen. Auf einer unbestimmten Weise flammte kurz Mitleid für sie auf, da mir nach und nach klar wurde, dass sie diejenige war, die leblos unter der weißen Plane versteckt lag.

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