Julia

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Langsam dämmert es mir. Ronja ist weg. Rocky. Und ich bin hier. Allein. Schnell schlucke ich den nächsten Schwall Tränen hinunter und gucke nach oben. Ein 50 Cent Stück liegt da vor mir und wie in Trance lasse ich es meine Tasche wandern. Nach vorne gucken, Julia, denke ich mir und ziehe mich an der kalten Bahnhofswand hoch. Ich zwinge mich zu einem falschen Lächeln und laufe aus dem Gebäude. Eigentlich wollte ich nach den Zügen zurück gucken, aber da ich noch die Preise im Kopf habe, weiß ich, dass ich eigentlich aufgeschmissen bin. Die Sonne scheint mir prall auf den Kopf und ich biege in eine Nebenstraße ein. Hier sind wenige Menschen und nur ein paar Buden, scheint eine Art Flohmarkt zu sein. Viele unterschiedliche Menschen werben mit ihren Artikeln und bei einem älteren Herrn kaufe ich mir eine Flasche Wasser. Auf der Suche nach etwas Kopftuchähnlichem stoße ich zu einem Stand mit alten Büchern. Lächelnd schaue ich durch die vergilbten Seiten der in ledergebundene Exemplare. Ronja liebt auch alte Bücher. Mittlerweile ist mir zwar klar, dass ich auch nicht ganz unschuldig an der eskalierten Situation war, da ich ja eingewilligt hatte, aber ich muss auch Ronja finden.
An einem Stand mit Taschen und Tüchern schaue ich durch die Bandanas und ein schwarzes mit grauem Muster springt mir ins Auge. "Kann ich helfen?", fragt mich die Besitzerin des Standes. Ich nicke eifrig. "Wie viel sollen diese Tücher hier kosten?" Sie nennt mir den Preis und mit meinen, vorhin gefundenen, 50 Cent bezahle ich das Stück Stoff. Sie zeigt mir noch, wie ich den Bandana richtig binde, dass mir die Haare aus dem Gesicht sind und es akzeptabel aussieht.
Ich laufe weiter in den Straßen und irgendetwas sagt mir, dass ich hier richtig bin. Auch die Häuser werden ländlicher und der Wind wird kühler. Schon etwas abseits des eigentlichen Innenstadttumults sehe ich einen Deich und dann laufe ich los. Am unteren Ende blitzt der Strand und ich Streife mir die Wanderschuhe von den Füßen, lege sie um meinen Hals, krempele die Hose hoch und renne so weit wie möglich ins Wasser. Mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen atme ich den starken Geruch von Salz und Algen ein. Wunderbar.

Nur schwer konnte ich mich von den Wellen loßreißen, aber die Sonne steht schon tiefer und ich mache mich auf, den vielen Strandkörben am Wasser zu folgen. An einer Bude hole ich mir noch ein Krabbenbrötchen und setze mich einfach in den Sand. Kinder spielen miteinander, streiten sich und die Eltern dösen in der Sonne. Containerschiffe, Fähren brechen auf nach Skandinavien, große und kleine Segelboote Rauschen vorbei und die Windsurfer fallen von ihren Boards. Das ist fast wie Kino, nur viel interessanter. Ein Strandkorb versperrt mir die Sicht auf ein altes Segelboot aus Holz. Dann fällt mir auf, dass bei diesem Strandkorb kein richtiges Schloss vor dem Holzgitter ist. Auch steht kein Hotel auf deren Rückseite und hinter dem Gitter liegt Sandspielzeug und eine Luftmatratze. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht untersuche ich dieses Schloss und wenige Sekunden später halte ich das Gitter in der Hand. Es ist sowieso fast niemand hier und die paar Sachen verstaue ich neben den privaten Strandkorb. Falls jemand fragt, sage ich einfach, dass ich auf das Zeug aufpasse. Mit dem Rucksack als Kissen beobachte ich weiter die Wellen und das Rauschen wirkt sehr beruhigend. Ich sehe noch eine gelbe Dose an einem Baum hängen, bis ich in einen unruhigen Schlaf falle.

"Hallo? Aufwachen bitte!", motzt mich ein Frau voll. Total benebelt blinzele ich und sehe, dass es schon dämmert. "Kurtaxe bitte!", verlangt sie. Ich kneife die Augen zusammen und sehe wohl sehr verständnislos aus. "Deine Kurtaxenkarte!"
Jetzt fasse ich mir an den Kopf und mir fällt ein, was sie meint. Schnell verteidige ich mich und versuche ihr die Situation zu erklären. Grinsend überlegt sie und drückt mir eine Mülltüte und einen Grabscher in die Hände. "Du sammelst hier dem Müll ein, ich mache Feierabend und wir vergessen die ganze Sache", schlägt sie vor. Da mir sowieso nichts anderes übrig bleibt, willige ich ein. "Bringe die Tüte und den Grabscher danach einfach in den nächstbesten Mülleimer", erklärt sie wieder und verschwindet. Völlig unschlüssig fange ich nun an, den Strandkorb herzurichten und gehe auf den Baum mit der Dose zu. Ist das nun irgendwie modern oder eine neue Art von Kunst, Dosen an Bäume zu hängen?, frage ich mich. Dann kommt mir ein komischer Gedanken, denn das ist eine Maya Mate Dose, und ich kenne nur eine Person, die für ihr Leben gern Club Mate und Maya Mate trinkt. Ronja! Ich denke garnicht daran, die Dose in die Tüte wandern zu lassen, sonder inspiziere sie genau. Mit viel Fantasie erkenne ich ein 'hier war ich' und dann kann ich mich vor Freude kaum noch halten. Das war Ronja! Merlin, sie ist schlau, denke ich. Grinsend und voller Tatendrang und Hoffnung sammele ich ein paar Papierchen ein und stelle alles an den Mülleimer. Mittlerweile wird es immer dunkler und ich beschließe, zurück zum Bahnhof zu gehen. Jedenfalls soweit mich mein nicht vorhandener Orientierungssinn zurück bringen kann. Lachend und weinend laufe ich nun also Barfuß, mit verwuschelten Haaren und mit dem Rucksack auf den Rücken zurück...

~Einfach weg~Where stories live. Discover now