Kapitel 24

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Kapitel 24: Gedanken kreisen

Nach diesem Gespräch mit Alexandra setzte Maria sich erst einmal mit einem Buch in den Innenhof auf eine Bank und schlug es auf. Sie blätterte zum ersten Kapitel vor und las. Genauer: Sie versuchte, zu lesen. Die Buchstaben schienen vor ihren Augen Ringelreihen zu tanzen und zu verschwimmen. Roman-Klischee. Allerdings erschien ihr mittlerweile ihr ganzes Leben wie ein Roman. Wie ein verdammter Fantasy-Roman, und irgendwo lachte sich ein Autor einen ab, weil Maria die Lösungen finden wollte, und sie nur teilweise erhielt. Weil er mehr wusste als sie.

Sie schüttelte hastig den Kopf, um diesen stupiden Gedanken zu vertreiben und versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, zu Karia und dem, was sie gesagt hatte.

Auch Dinge, die vor deinen Augen liegen, können unter dem Schleier des Verborgenen versteckt sein.

Klar, die offensichtlichste Deutungsmöglichkeit war, dass sie nicht alles glauben sollte, was offensichtlich erschien. Aber warum hatte sie es dann gesagt? Maria war immerhin klar, dass sie nicht jedem dahergelaufenen Trottel Glauben schenken durfte. Irgendetwas hatte das auf sich, Karia würde das doch wohl nicht aus einer Laune heraus sagen. Außerdem war Maria verwundert, dass sie durchsichtig war. Sie war zwar noch keiner Äreviel außer der Königin begegnet, aber dass sie durchscheinend sein sollen ... Das war ihr nun doch neu. Und ... sie war doch selbst eine Äreviel. Falls diese Wesen wirklich durchscheinend waren, warum sie nicht? Vielleicht, weil sie erst erwacht war, quasi neugeboren? Oder steckte etwas anderes dahinter?

Maria ließ sich seitlich auf die Bank fallen und das Buch auf den Boden plumpsen. Ein Seufzen entwich ihrem Mund, als sie da lag und darüber nachgrübelte. Es schien wohl eine ganze Weile zu dauern, denn als sie wieder zu sich kam, spürte sie kalte Tropfen die ihre Haut benetzte und ihre Kleidung anfeuchtete. Doch es war angenehm - so wie von Karia angekündigt, spürte sie keine Kälte. Irgendwie. Vielleicht war es eine Eigenschaft der Äreviel?

Der eiskalte Regen beruhigte sie irgendwie. Die Nässe lief über ihren Körper, lief über ihre Wangen, als wären es Tränen.

Sie beobachtete die Tropfen, die sich unterhalb der Bank in einer kleinen Mulde im Kies zu einer Pfütze wandelten. Jeder einzelne schlug Wellen, die sich ringförmig ausbreiteten und am Rand hochschwappten. Maria lächelte, als sie dieses Schauspiel der Natur bbeobachtete, eine Szene, die alltäglich war. So alltäglich, dass niemand sie beachtete. Außer Maria. Sie könnte diese Szenerie stundenlang beobachten, auch wenn sie das Gefühl, das sich dabei in ihr ausbreitete, niemals in Worte fassen könnte. Dafür müsste sie erst neue erfinden. Sie konnte nur sagen, dass es eine unbeschreibliche Ruhe war, gepaart mit einem Kribbeln, dass sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete, und der schlichten Freude an diesem Augenblick, um nur einige der Empfindungen zu beschreiben.

Maria streckte eine Hand aus und ließ ihre Finger auf die Wasseroberfläche sinken, aber nicht ganz durchbrechen. Die Wellen zogen ihre Kreise, und Maria fühlte einen Frieden mit sich selbst.

»Da bist du ja!«

Die blonde Schülerin schrak so heftig zusammen, dass sie von der Bank rollte und auf spitzen Kieselsteinen landete. Bravo.

»Alles okay?«, fragte Alexandra besorgt. Maria nickte und hielt sich die Hüfte, auf der sie aufgekommen war. Als ihre Hand sich auf den Rock der Schuluniform legte, erwärmte sich die Haut auf der anderen Seite des Stoffes. Die Wärme schien den Schmerz hinauszusaugen.

»Huch!«, meinte sie mit großen Augen und schlug nun mit der selben Hand, mit der sie sich geheilt hat, vor sich auf den Boden, weil sie sich hochstemmen wollte. Doch da hatte sie nicht die Rechnung mit den spitzen Kieseln gemacht.

Okay, sie sollte ihre Gedanken wirklich mal in geordnete Bahnen bringen, bevor sie auf irgendeine dämliche Idee kamen.

»Alles okay?«, wiederholte Marias Mitschülerin.

»Ja ... Ich war nur verwirrt, weil ich Magie gewirkt habe.«

»Ach so ... Warte, was?«

»Das hörte sich gerade seltsam an, oder?« Es war mehr eine Feststellung.
»Ja. Warum hast du Magie eingesetzt?«

»Äh ... Keine Ahnung!« Maria lachte und wollte sich gerade hochstemmen, da durchzuckte sie ein seltsames Gefühl. Im nächsten Moment stand sie aufrecht vor Alexandra, die nun nur wenig größer war als sie selbst.

»Bei den vier Göttern!«, stieß die ältere Schülerin hervor.

»Was war das?«, fragte Maria entsetzt. Ihre Stimme zitterte.

»Hast du dich auf die Füße teleportiert?« Alexandra starrte sie an.

»Scheint so ...«

»Also, ich habe schon einige Zeit mit Magie zu tun, aber so etwas ist mir noch nie untergekommen.« Sie lachte halbherzig. »Aber jetzt komm aus dem Regen raus, sonst erkältest du dich.«

»Ich war noch nie erkältet«, verteidigte Maria sich, »Da wird das jetzt auch nicht geschehen!«

»Aber ich erkälte mich!«, widersprach Alexandra, »Und ich will wissen, warum du so plötzlich verschwunden und wo du überhaupt warst.«

»Wie heißt das Zauberwort?«, fragte Maria belustigt.

»Abrakadabra!«

»Falsch.«

»Simsalabim?« Jetzt konnte Maria ein Grinsen nicht zurückhalten. »Nicht ganz.«

»Sesam öffne dich?«

»Was für eine Tür willst du nun schon wieder öffnen?«

»Die Tür zu deinen Erinnerungen!«, grinste Alexandra.

»Vielleicht, wenn du etwas ernster an die Sache herangehst?«, schlug die jüngere Schülerin vor.

»Abrakadabra«, beharrte Alexandra.

»Little idiot«, grinste Maria.

»Thank you for your compliment«, erwiderte die Rothaarige und deutete einen Knicks an.

»You're welcome, mía princesa.«

»Warum nennst du mich Prinzessin?«, fragte Alexandra verwirrt.

»Du machst einen Knicks«, meinte Maria schulterzuckend.

»Dann halt bitte«, gab Alexandra gespielt schmollend nach.

»Ach, jetzt auf einmal?«

»Ja ...«

»Okay. Aber erst eine Frage - welches Jahr ist das Jahr 7 des Ordenskalenders?«

»Wenn ich mich recht entsinne, war das 8003 vor Christus.«

»Bitte?«, fragte Maria entsetzt, »Vor zehntausend Jahren?«

»Ähm ... ja. So schlimm?«

»Ich bin irgendwie so weit in die Zeit zurückgereist, keine Ahnung, warum ...«

»Was sagst du da?«, fragte Alexandra überrascht.

»Ja, wirklich! Ich bin sogar Königin Karia höchstpersönlich begegnet!«

»Wirklich? Und, wie war sie so?«, fragte Alexandra neugierig.

»Nett. Und sie hat mich wieder zurückgebracht. Aber sie war durchsichtig, richtig seltsam ...«

»Normalerweise ist das bei Äreviel nicht der Fall, sie sind so materiell wie du und ich«, meinte Alexandra, »Irgendetwas muss dahinter stecken.« 

Quest Of An Äreviel 1: Die Legende Der KierlineWhere stories live. Discover now