2.

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POV Manu

"Sicher dass du es dir nicht nochmal überlegen möchtest?"

"Ja, bin ich!", ungeduldig und angespannt trommelte ich mit meinen Fingern auf meinem Knie. Nett von Palle, mich doch dazu überreden zu wollen, aber nicht mit diesen Leuten! Das waren erstens viel zu viele und zweitens außerdem welche, die ich nicht gut genug oder beinahe überhaupt nicht kannte! Ich hatte mich informiert und diese neuartige VR Maschine war ein vollkommen anderes Kaliber als die Oculus oder seine ganzen Verwandten, die man sich bloß wie eine dieser Schutzbrillen aufsetzte. Sie war wirklich Virtual Reality! Sie versetzte uns und unsere Körper direkt in das Spiel! Und mich den ganzen Youtubern auf diese Art zu zeigen widersprach allem, auf was ich bisher hingearbeitet hatte! Anonymität trotz Berühmtheit im Netz. Aber das war nicht einmal der einzige Grund. Eigentlich wollte ich nicht wegen-

"Erde an Manu?"

"Hm?"

"Ich hab dich jetzt schon viermal versucht etwas zu fragen, aber du reagierst nicht!"

"Sorry, war in Gedanken. Was wolltest du fragen?", erkundigte ich mich müde. Palle wusste es. Er hatte mich das ganze letzte Jahr immer wieder aufgebaut und kannte mich besser als jeder andere. Fast jeder andere. "Ist es wegen Taddl?" Volltreffer.

Obwohl er mich durch das Handy nicht sehen konnte, schaute ich beschämt zu Boden und murmelte ein leises "Ja". Mein Kumpel seufzte: "Es verlangt ja niemand, dass du mit ihm zusammen rumrennen musst! Schau mal, ich bleib das Spiel über bei dir und wenn er dich einmal schief angucken sollte, jag ich ihm ne Kugel dorthin wo's wehtut, okay?"

Ich gluckste auf, aber gleichzeitig sank meine Laune noch weiter. Armer Palle, dass er mit einem Trauerkloß wie mir abhängen musste. "Das ist ja nicht mal das schlimmste Patrick. Schau dir doch an, wie er die ganze Zeit so tut, als wäre alles in Ordnung! Es ist aber nichts in Ordnung! Sieht er denn nicht, wie sehr er mich damit verletzt, anstatt es wieder gut machen zu wollen?!" Palle schwieg. Er wusste davon, dass Taddl mich vor etwa zwei Monaten angerufen hatte und wollte, dass wir wieder mehr zusammen unternehmen. Keine Reue, kein Entschuldigung. Er hatte nie versucht nachzuvollziehen, wie scheiße es für mich gewesen war, als er mich damals hatte sitzen lassen! Es war ihm so egal! Er sah nur sich und seinen Nutzen und seine Vorteile und... und... ich vermisste ihn trotzdem so schrecklich sehr! Bevor ich es kontrollieren konnte, kullerte auch schon die erste Träne über meine Wange und ich schluchzte auf. Das durfte doch nicht wahr sein...

"Hey, Manu... du musst mit Taddl reden. Das kann so doch nicht weitergehen zwischen euch! Er weiß vermutlich nicht einmal, wie sehr du dadurch leidest", murmelte Palle belegt und in meiner Verzweiflung stimmte ich ihm einfach zu, obwohl ich genau wusste, dass ich das nicht konnte. Wenn ich Taddl noch weiter Einblick in mein Herz gewährte, würde er mich im schlimmsten Fall gnadenlos zu Boden treten und im Anschluss für meine Dummheit auslachen!

"Ich denke du solltest ihn anschreiben und ihm sagen, dass du das mit ihm unter vier Augen klären möchtest! Ihr ward so lange so gut befreundet, da wäre es schade, wenn es jetzt endgültig in die Brüche geht! Versprichst du mir, dass du das gleich nach dem Anruf machst?"

"A-aber Palle! Ich kann das nicht einfach so!", jammerte ich in viel zu hoher Stimmlage. Wenn daraus gleich noch ein halber Asthmaanfall werden sollte, wäre ich nicht überrascht. Sicherheitshalber huschte mein Blick zu dem Nachtschränkchen, auf dem normalerweise mein Inhalator lag und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass ich wenigstens auf diese Weise schonmal nicht halb verrecken würde. Ein klitzekleines bisschen besänftigter versprach ich Palle, was er von mir wollte, doch zeitgleich begann mein Herz immer nervöser zu pumpen. Als mein Gesprächspartner sich schließlich verabschiedete, hätte ich ihn beinahe angefleht, dass er weiter mit mir reden solle, einfach nur um Zeit zu schinden, bis ich mit meiner unmöglichen Aufgabe konfrontiert wurde. Aber er hatte einen wichtigen Termin und hätte es garantiert auch nicht gut gefunden, wenn ich das Gespräch mit Taddl noch weiter hinauszögerte. Also wünschte ich meinem Kumpel kleinlaut noch einen schönen Abend, legte auf und öffnete mit bebenden Händen Whatsapp. Beim Scrollen fiel mir auf, dass Patrick insgesamt vier Handys verloren hatte, seitdem ich und mein ehemalig bester Freund uns das letzte Mal geschrieben hatten. Der Schussel! Ich hatte mir alle unsere Chats aufgehoben und mir einen Spaß daraus gemacht, ihn bei jedem Neuanfang zu fragen, wer er denn sei und wie er an meine Nummer gekommen war. Hach ja, und der Witz war nie alt geworden!

Erst langsam erinnerte ich mich wieder daran, was ich hier eigentlich wollte und blätterte mich leise seufzend weiter durch meine Kontakte, bis meine Finger über einem zum Ruhen kamen. Taddl ;* . Ja, ich hatte ihn wirklich so eingespeichert und seinen Namen nie verändert. Es hätte sich sonst angefühlt, als wollte ich mir so gleichzeitig einen Teil aus meinem Körper herausschneiden und ihn zusammen mit meinen schönen Erinnerungen im Müll entsorgen. So bittersüß es jetzt auch immer war, daran zurückzudenken, könnte ich in meinem Leben noch nachträglich etwas verändern und unsere Freundschaft von Beginn an ungeschehen machen, ich hätte es nicht getan. Niemals! Wieder merkte ich, dass ich nicht vorwärts kam und schüttelte kurz meinen Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Die leere Chatzeile schien mich zu verhöhnen als ich überlegte, wie ich ihn anschreiben sollte. Direkt zum Punkt kommen? Oder doch ein ungezwungenes "Hey Taddl" davor? Wie wollte ich das überhaupt formulieren, ohne wie ein totales Kindergartenkind zu wirken?

Die Minuten vergingen. Ich tat mich mit jeder schwerer. Schließlich tippte ich einfach irgendetwas, starrte die Worte an und löschte sie gleich darauf wieder. Fing neu an. Sollte Taddl aus Zufall grade online sein und zu meinem Kontakt gescrollt haben, würde er bestimmt darüber lachen, wie der schwarze "online"-Schriftzug immer wieder kurz in das grüne "schreibt" umsprang und unbeholfen sofort wieder erlosch.

Der Gedanke daran machte mich fertig! Das Display vor meinen Augen verschwamm und ich warf mein Handy unverrichteter Dinge beiseite, während sich der nächste Heulkrampf seinen Weg in mir hochbahnte. Ich war so ein Versager! Warum konnte ich nicht über meinen Schatten hinausspringen und es ihm sagen? Ihm sagen, dass ich gerne wieder mit ihm befreundet wäre...

TTT - Wem kannst du noch trauen?Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ