23.

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POV Rafael

"Mitspieler Paluten ist gefallen! Sein Status: Innocent!"

Yes, Volltreffer! Ich hatte alles riskiert für diesen Plan und dafür im Gegenzug alles gewonnen! Endlich hatte ich die zwei Traitorpunkte zusammen, um für Tobi den Defibrillator zu kaufen. Aber das war es wert gewesen, jede Sekunde davon, in der ich meinen einzigen Punkt in die Fakeleiche investiert, sie schön hergerichtet und dann Manu und Patrick über meinen Kompass aus sicherer Entfernung gestalkt hatte! Jetzt war es eigentlich nur noch ein Rennen gegen die Zeit! Vorhin erst war der Hinweis gekommen, dass noch eine halbe Stunde verblieb, aber den Weg zurück zur Lichtung sollte ich noch schaffen. Fragte sich nur, was ich mit Tim und Stegi machen sollte. Sie würden es sicher mitbekommen, wenn ich meinen Freund wiederbelebte, sie waren ja nicht blind! Also ausschalten oder hoffen, dass sie sich kooperativ verhielten. Ein Ass hatte ich noch im Ärmel, eines für das ich keine zusätzlichen Punkte brauchte. Wir würden hier rauskommen, Tobi und ich!

Während ich über die beiden Innos hinwegstieg, regte sich kein bisschen Mitleid mehr in mir. Bei Zombey und Maudado hatte ich noch von Schuldgefühlen zerfressen mit mir selbst gekämpft, aber diesen Rafael gab es jetzt nicht mehr. Ich hatte die Hölle gesehen und begann nachzuvollziehen, wie sich Kriegsheimkehrer fühlen mussten, die im Namen ihres Landes gemordet hatten. Auch ich würde Zeit brauchen, um alles hier Geschehene zu verarbeiten und mit meinen Taten normal weiterzuleben. Und wie das bei Tobi sein musste, konnte ich mir nur gedanklich ausmalen. Ob es für ihn nur wie ein kurzer, tiefer Schlaf gewesen war? Oder hatte er die Schmerzen im vollen Ausmaß gespürt, als die Kugel ihn getroffen hatte? Eine grauenhafte Vorstellung!

Der Kompass justierte sich neu und wies mir den Weg zurück zur Lichtung. Zu Tobi. Zum Spielende. Zur Hoffnung, dieser verfluchten Welt für immer zu entkommen...


POV Stegi

Wir rutschen noch näher zusammen. Mit jedem Schuss, den wir gehört hatten und jeder Durchsage, war es uns gefühlt fünf Grad kälter geworden. Vor ein einhalb Stunden war das Ganze hier noch ein Spaß gewesen, wir noch zu vierzehnt und überzeugt, dass wir das Spiel wohlbehalten verlassen konnten. Jetzt waren wir nur noch zu dritt, ein Traitor gegen zwei Innos, und der Rest unserer Gruppe war tot und auf den hässlichsten Wegen, die man sich vorstellen konnte, umgekommen...

"Ich liebe dich..", wisperte Tim zum bestimmt zehnten Mal in meine Haare wie ein Mantra. "Ich dich auch Timmi!", gab ich ihm mein Versprechen zurück und presste meinen Kopf gegen seinen Oberkörper, in dem ich sein Herz wie einen hektischen Paukenschlag immer stärker und lauter schlagen hörte. Und ich wusste warum. Rafi war einst unser Kumpel gewesen, aber jetzt würde er uns töten müssen, um an uns vorbeizukommen! Das schlimme war, ich zweifelte nicht einmal mehr daran, dass er das auch tun würde. Mit Tobi verband ihn etwas weitaus stärkeres als mit uns und nachdem er jetzt bereits mehrere große Gemetzel überlebt hatte, musste sein Wille ungebrochener denn je sein. Aber wir würden nicht kampflos gehen! Ich wollte mit Timmi zusammen sein und wieder ein normales Leben führen können! Warum hatte ich diese Entscheidung nur so lange schon vor mir hergeschoben und nie daran gedacht, dass es eines Tages zu spät sein könnte, um noch 'ja' zu sagen? Ich liebte ihn, hatte ihn schon immer vom Grund meines Herzens auf geliebt und nie an ihm gezweifelt!

Das wollte ich ihm gerade auf sein erneutes "Ich liebe dich.." antworten, als ich eine Bewegung am anderen Ende der Lichtung wahrnahm und mich instinktiv fester an meinen Freund krallte. Rafi. Eine Seite seiner ehemals blauen Jeans war vollkommen in Blut getränkt, sein vor Schmutz starrendes Hemd mit Schlitzern und Grasflecken übersät. Seine Haare standen wirr in alle Richtungen ab und in seiner linken Hand hielt er an einem silbernen Kettenband einen Kompass, in der rechten seine geladene und entsicherte Waffe, bereit um jeden in seinem Weg mit Blei vollzupumpen. Wäre ich mir nicht vollkommen sicher, hätte ich den sonst so ruhigen, besonnenen Jungen nicht wiedererkannt, so verwildert hatte das Spiel ihn werden lassen. Als er Tobi nirgendwo finden konnte, kam er auf uns zu. "Wo ist er?", wollte er mit tonloser Stimme wissen, während er auf uns hinab starrte. Wir schwiegen tapfer. Rafi wurde ungeduldig. "Was habt ihr mit Tobi gemacht? Wenn ihr nicht antwortet, puste ich euch das Gehirn raus!"

"Rafi, beruhig dich bitte und denk nach, was du da sagst!", bat Tim und hatte im nächsten Moment einen Gewehrlauf direkt vor seiner Nase. Schwer atmend hielt er still, bis der Traitor seine Waffe zurückzog. "Ein letztes Mal, wo ist er?"

"Drei Mitspieler sind noch am Leben. Fünf Minuten bis Spielende verbleiben!"

Rafi bekam jetzt auch spürbar Angst, er schaute kurz zum Himmel hinauf, fuhr sich durch seine abstehenden Haare und fixierte uns dann wieder. Aus seinen Augen sprach der Wahnsinn. "Er ist im Haus, richtig? Habt ihr gedacht, dort wäre er versteckt? Dort würde ich ihn nicht finden? Oder ich würde mich von euch aufhalten lassen?" Er lachte kurz freudlos und wartete darauf, dass wir irgendwas taten, uns von der Tür wegbewegten oder ihm zustimmten, Narren gewesen zu sein. Aber als wir immer noch nichts dergleichen taten, packte er den um einen halben Kopf größeren Tim einfach am Kragen und zog ihn mit unglaublicher Kraft aus seiner gekauerten Haltung auf seine Augenhöhe hinauf. "Hör zu Kollege, ich lasse mich auch gerne auf einen Kompromiss ein! Töte Stegi und ich lass dich leben! Na, wie klingt das?"

"Beschissen!", antwortete Tim trocken, doch in mir begann es zu arbeiten. "I-ihn leben lassen?", fiepte ich mit so hoher Stimme, dass sie wohl bald unhörbar sein würde. Jetzt lachte Rafael richtig, es klang abartig fies und komplett wahnsinnig. "Er hat sich also nicht getraut, es dir zu sagen, kleiner Stegi? Es gibt keine Zukunft mehr für euch beide! Tim ist ebenfalls ein Traitor!"

TTT - Wem kannst du noch trauen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt