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POV Paluten

"Mitspieler GermanLetsPlay ist gefallen! Sein Status: Traitor!"

Diese Nachricht ließ mich innehalten und erschrocken Luft holen. Moment, was?! Manu war ein Traitor gewesen? Die ganze Zeit über? A-aber... wieso? Das ergab einfach keinen Sinn! Tobi, Ardy und Taka waren bereits Traitor gewesen, das hatte die Durchsage verkündigt, jetzt Manu und dann auch noch Rafi? Fünf Traitor? Oder hatte Ardy uns vorhin angelogen, als er uns von dem belauschten Gespräch erzählt hatte? Naja, wahrscheinlich ja. Machte eigentlich nur Sinn, dass er einem Unschuldigen etwas hatte anhängen wollen. Zwar gab es die Möglichkeit, dass auch fünf Traitor von sechzehn Spielern gewählt wurden, aber die Chance war verschwindend gering! Nein, es musste so sein, sonst wäre das Spiel ja jetzt vorbei! Fünf Traitor und Rafi lebte noch, warum auch immer Ardy uns davon erzählt hatte.

Ich schniefte und wischte mir über die Augen. Manu... er hatte mir mehrmals versichert, dass er ein Innocent war, doch am Ende war er wie die anderen zu ängstlich gewesen, um sich zu melden und die Wahrheit zu sagen. Was wohl vorhin geschehen war? Vor etwa einer Viertelstunde war hier die Hölle ausgebrochen, insgesamt vier Mitspieler waren innerhalb kürzester Zeit umgekommen! Dagegen war die Totenstille jetzt beinahe noch bedrohlicher. Manu musste wohl im Gefecht zwischen den beiden Gruppen verletzt worden und dann langsam verblutet sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum die Nachricht seines Ablebens erst mehrere Minuten später als die der anderen gekommen war. Doch egal was es letztendlich gewesen war, das Ergebnis war dasselbe: Manu war tot und der letzte Traitor im schlimmsten Falle mit einem Kompass ausgerüstet ganz in der Nähe!

Ein rotes Aufblitzen zwischen den Stämmen erweckte plötzlich meine Aufmerksamkeit und ich duckte mich instinktiv. Da war was, oder jemand! Aber weiterhin nicht das leiseste Geräusch. Auch keine Bewegung, keine flatternde Kleidung, kein wachsam suchender Gewehrlauf. Nur dieses schwache Glimmen in dem langsam immer dunkler werdenden Wald. Vorsichtig schlich ich mich heran. Rot bedeutete als Farbe der Traitor Gefahr, daran musste ich mich erinnern und im schlimmsten Fall bereit sein. Aber als ich endlich erkannte, wozu das Leuchten gehörte, hätte ich mir lieber gewünscht, mein Verlangen nach Sicherheit wäre größer als meine Neugier gewesen!

Rafi hatte Manu mit einem Strick an einem niedrigen Ast aufgehängt. Leblos starrten seine noch immer rot glühenden Augen in die Ferne, an seiner Hüfte fehlte ein Stück seines Oberteils und darunter wurde eine verdammt unappetitliche, große Fleischwunde sichtbar. Damit noch weiter laufen zu können war wohl ein Ding der Unmöglichkeit gewesen...

Zwar wusste ich, dass diese Geste der Traitor in den Spieleversionen ohne VR beinahe Gang und Gäbe geworden war, aber in Echt zu sehen, wie ein guter Freund ähnlich einem Mastschwein aufgeknüpft worden war, war wohl das schlimmste, was ich heute bisher gesehen hatte. Und das bedeutete eine Menge! Ich wandte mich ab, würgte sogar einmal durch den im mir aufgekeimten Ekel, aber schaffte es, alles bei mir zu behalten. Oh Manu... hätte er etwas gesagt, wäre ich wie Selfie an Takas Seite mit ihm gezogen! So hatte ich wie ein Feigling gehandelt und ihn im Stich gelassen!

Schweigend zog ich weiter, bedacht auf jeden Laut, jedes Knacken und jedes noch so leise Geräusch sonst. Die Anspannung ließ Adrenalin durch meinen ganzen Körper schießen und machte mich paranoid und schreckhaft. Mittlerweile hatte ich auch vollkommen die Orientierung verloren und hoffte einfach, dass es nicht mehr lange dauerte, bis die halbe Stunde vorbei war!

Plötzlich hörte ich vor mir ein Rascheln und versteckte mich sofort bestmöglich im hohen Gestrüpp. Rafi, hundert prozentig! Ängstlich nahm ich meine M16 in Anschlag und zielte zitternd vor mich. Das Rascheln wurde immer lauter und dazu gesellte sich ein Ächzen, als würde die Person Schmerzen leiden. Und sie kam weiterhin genau auf mich zu. Ich wollte schießen, aber ich hatte zu starke Hemmungen und verharrte bloß reglos. Im letzten Moment drehten die dumpfen, unregelmäßig schwankenden Schritte vor meinem Versteck ab und versuchten erst zwei Meter weiter, sich einen Weg durch die Sträucher hindurchzubahnen. Sofort als ich ihn sehen konnte, sprang ich auf und hielt ihm mit heftig klopfendem Herzen die Mündung gegen seine Schläfe unter den verwahrlosten, dunklen Haaren. "Stop! Noch ein Schritt weiter und du bist Mus!", verkündete ich mit dünner Stimme, die bei weitem weniger tapfer klang als sie sollte.

Der Kerl wandte mir erschrocken sein Gesicht zu und ich zuckte zusammen. Es war, wie auch seine Kleidung, komplett blutüberströmt und von tausend kleinen Schnitten übersät. Er sah so schlimm aus, dass ich meinen Gegenüber pardou nicht erkennen konnte, bis-

"Palle? Warum..? Wir sind doch Freunde..?" Er konnte es nicht sein! Er war tot! Ich hatte ihn doch mit eigenen Augen gesehen! Und dennoch stand er zwar schlimm zugerichtet, aber dennoch quicklebendig gerade vor mir! Manu! Kein Zweifel möglich!

Er schniefte ängstlich und endlich lösten sich meine verkrampften Finger von der Waffe. Mit einem dumpfen Ton fiel sie auf den Waldboden zwischen uns. "Wie bist du noch am Leben..?", fragte ich ihn ungläubig und er lächelte vorsichtig. Aus seiner Tasche fischte er einen kleinen Gegenstand. "Ich wusste, dass es besser ist, meinen Inhalator mitzunehmen. Zum Glück hat der NerveSuit sogar ihn mit hierher gewarpt!" Ich schüttelte aber verständnislos meinen Kopf. "Du bist tot, Manu! Du hast d-dort gehangen u-und die Durchsage..."

"Durchsage?", fragte Manu langsam. Er wirkte plötzlich unendlich müde. "Wie lange war ich ohnmächtig..?"

"Du warst nicht ohnmächtig! Du warst tot! Oder hat dich dein Kollege Rafi etwa auch noch wiederbelebt?" Meine Panik trieb mich beinahe in den Wahnsinn und ich begann, Manu anzubrüllen. Der wurde derweil mit jedem Wort von mir immer kleiner und ängstlicher. "Ich bin kein Traitor, Palle, bitte glaube mir! Ich weiß nichts von einer Durchsage und auch nichts davon, dass ich irgendwo gehangen-" Er stockte und seine Augen wurden riesengroß. "Lauf!", befahl er mir und schubste mich von sich. Was war denn jetzt mit ihm los? "Hau ab Patrick! Das ist eine Falle! Er hat eine Fakeleiche platziert um-"

Ein Schuss aus nächster Nähe. Manu knickte widerstandslos ein und rührte sich nicht mehr. "Mitspieler GermanLetsPlay ist gefallen! Sein Status: Innocent!"

Er hatte Recht gehabt! Und ich war Rafi voll auf den Leim gegangen! Zum Wegrennen war es bereits zu spät! Ich spürte nur noch quälende Schmerzen, die sich in meinen Brustkorb bohrten wie ein Pfahl, dann war auch schon alles vorbei und ich fiel in eine bodenlose Schwärze...

TTT - Wem kannst du noch trauen?Where stories live. Discover now