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An der Art, wie Tim geschlagen seinen Kopf sinken ließ, erkannte ich, dass Rafi mir die Wahrheit gesagt hatte. Wir konnten niemals zusammen zurückkehren! Einer von uns würde schließlich sterben müssen! Es gab für uns kein Happy End!

"T-timmi...", flüsterte ich gepresst mit Tränen in den Augen. Er hatte mich gefragt, ob wir nach dem Albtraum zusammen sein könnten, obwohl er gewusst hatte, dass es kein danach geben würde. Er hatte bloß die Gewissheit für sich gewollt, ob ich ihn so sehr liebte wie er auch mich.

"Keine Sorge Stegi, du wirst hier raus kommen! D-das ist in Ordnung für mich! Hauptsache, dir geht es gut!"

"Drei Mitspieler sind noch am Leben. Drei Minuten bis Spielende verbleiben!"

"Ich habe auch jemanden, dem ich diese Worte sagen möchte. Lasst mich zu Tobi oder ihr werdet beide sterben!" Rafi zappelte immer stärker herum. Als er Tim beiseite schubsen wollte, schlug dieser ihm plötzlich und unerwartet ins Gesicht, sodass er vor Schmerzen aufjaulend nach hinten taumelte. "Renn Stegi! Komm auf keinen Fall zurück! In drei Minuten bist du hier raus!", befahl mein Freund mir und nach kurzem Zögern sprang ich auf und flitzte in die Richtung des Waldes. Alles überschlug sich in mir. Ich würde Tim nie wiedersehen! Nie nie wieder. Ihn nicht mehr in meine Arme schließen können, keinen Trost mehr von ihm erhalten, er würde mir nie mehr durch meine Locken wuscheln und mir sagen, wie gern er mich hatte.

Ich bremste, ohne dass ich es wollte, und schaute zurück zu den Silhouetten von Rafi und Tim, die sich auf den wenigen Stufen zu dem Holzhaus keilten. Der Größere der beiden stemmte sich ausdauernd gegen seinen Kontrahenten, dem seine Entschlossenheit aber scheinbar Bärenkräfte verlieh. Er stieß Tim mit einem lauten Brüllen von sich, trat ihm gegen die Leiste, sodass er gegen die massive Wand hinter sich geschmettert wurde, legte die Waffe an und schoss. Einmal, zweimal, ein drittes Mal, die Abschüsse dröhnten so laut in meinen Ohren, dass sie sogar mein entsetztes Aufkreischen übertönten. Während mein Freund widerstandslos an dem rot getränkten Holz zu Boden sank, schaute Rafi noch einmal kurz zu mir hinüber und grinste böse, bevor er die Tür aufriss und ins Innere kletterte. Erst da gelang es mir, mich wieder aufzurappeln. Tim hatte gewollt, dass ich lebe! Also würde ich flüchten, so lange ich noch konnte! Auch wenn meine Lage vermutlich aussichtslos war, weil meine Verfolger jeden Schritt von mir beobachteten. Ich musste es trotzdem versuchen! Für meinen Freund!

Einige Sekunden geschah nichts, doch dann schien Rafael seinen Plan erfolgreich vollendet zu haben und er und Tobi jagten mir eine ganze Hölle aus Bleikugeln nach. Ohne klar denken zu können rannte ich weiter, schlug Haken, brachte so viele Bäume wie nur irgendwie möglich zwischen uns, mein eigener Puls trommelte dabei überall in meinem Kopf und blendete alles andere vollständig aus. Die letzte Minute Spielzeit zog sich bis in die Unendlichkeit. Meine Lungen verlangten nach einer Pause. Meine Füße nach Ruhe und ebenem Gelände ohne Löcher, in denen ich beinahe umknickte. Und ich rannte noch immer weiter.

Ein plötzlicher Abhang überraschte mich und ich stolperte in die Leere. Kam wenige Augenblicke später hart auf ungefedertem Boden auf. Kullerte weiter den kaum bewachsenen, schrägen Waldabschnitt hinunter. Blieb wie durch ein Wunder nahezu unverletzt unten liegen und konnte durch meine halb geöffneten Augen ganz oben meine Verfolger zwischen den dunklen Stämmen entdecken. Drei, Rafi legte an. Zwei, hastig zielte er auf mich. Eins, sein Finger am Abzug drückte durch und beinahe schon in Zeitlupe konnte ich die glänzende Patrone näherkommen sehen. Wenige Zentimeter genau vor meinem Gesicht stoppte sie schließlich. Null.

Ich konnte nicht ganz sehen, was die Welt mit den unglücklichen Verlierern anstellte. Ich hörte nur ihre verzweifelten Rufe, während sie um sich schlugen und sich, von ihren Füßen angefangen, immer weiter in feine Pixel aufzulösen schienen, die von einer nicht wahrnehmbaren Brise davongetragen wurden. Bis zum Schluss war ich dazu gezwungen, diesem befremdlich technischen Schauspiel in der sonst so realistischen Welt zuzuschauen, bis auch noch die letzten Reste von Rafis und Tobis Körper dispergiert waren, dann wurde die Welt um mich herum in helles Licht getaucht und ich wachte auf.

TTT - Wem kannst du noch trauen?Where stories live. Discover now