Tag 26

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»Wie gewonnen,
so zerronnen.«

Es war schlimm

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Es war schlimm. Es war unerträglich zu sehen, wie Damian zusammenbrach und sich an die Leiche klammerte. Er weinte und wollte nicht mehr aufhören. Sein Rücken zuckte und die lauten Schluchzer, die er von sich gab, taten mir in den Ohren weh. Seine Tränen rannten unaufhörlich über seine Wangen und ich erkannte glasklar, dass in ihm etwas zerbrach.

Er erzählte mir in letzter Zeit viel über sich. Er offenbarte sich und öffnete sich mir ein Stück weit.

Er erzählte mir, dass Lorenzo die Vaterfigur für ihn war, die er nie hatte. Denn sein Vater starb als er noch ein Baby war.

Deshalb war es umso schlimmer mit an zu sehen, wie Lorenzo die letzten Atemzüge machte und Damian ein Versprechen gab.

„Ich werde immer für dich da sein. Du bist ein starker Junge, Damian, du wirst es schaffen. Besiege diese Eiszeit für mich. Ich liebe dich."

Seine Worte haben sich in mein Gehirn eingenistet und es läuft ständig wie ein Film vor meinem inneren Auge ab.

„Damian, wir sollten ihn begraben.", sanft lege ich ihm meine Hand auf die Schulter und will ihn von der Leiche loszerren.

Er sieht zum ersten mal nach gefühlten Stunden auf und seine dunklen Augen sind glasig und rot unterlaufen.

Dieser Anblick gab mir einen Stoß.

„Alles wird gut.", flüstere ich und er beginnt wieder zu schluchzen.

Es war ungewohnt zu sehen, wie der sonst so kräftige Damian in sich zusammenbrach. Ich wusste, dass es ihn auffraß und ich musste ihm helfen.

Ohne zu zögern umklammert Damian meinen zierlichen Oberkörper und weint in meine Halsbeuge.

Der Schnee unter meinen Knien frisst sich durch meine Hose. Doch alles worauf ich mich konzentrieren kann ist Damian. Wie er so zerbrochen vor mir kniet und sich an mich klammert, als wäre ich sein einziger Halt.

Nichts war so schlimm als diesen Anblick erleiden zu müssen. Nichts.

✱✱✱

"Es wird immer kälter.", hauche ich und blicke nervös in den Nachthimmel, der mir tausend seiner schönsten Sterne präsentiert.

"Irgendwann, wird alles zu Eis gefroren sein.", flüstert Damian.

Prüfend sehe ich ihn von der Seite an. Seit Lorenzo unter der Eisdecke liegt, hat er keine einzige Träne mehr verloren.

Ich konnte buchstäblich mit ansehen, wie sich seine Mauer neu aufbaute und sogar noch stärker und stabiler wurde. Er hatte all die Trauer hinausgelassen, sie in die eiskalte Welt gelassen und nun war es - seiner Meinung nach - wieder Zeit, stark zu sein. Stark für mich, meinen Bruder und die gesamte Menschheit, deren Schicksal auf unseren Schultern lastet.

Der Druck, der entsteht, wenn man daran denkt, für wieviele Leben wir verantwortlich sind, ist beinahe unterträglich.

Je näher wir unserem Ziel kommen, und ich hoffe, damit liege ich richtig, desto schwerer wird der Steinbrocken auf meiner Brust. Desto schwerer liegt die Last, die ich zum Glück mit meinen neugewonnenen Freunden teilen kann. Zumindest bin ich nicht alleine.

„Ich bin dir so dankbar, Katara. Für alles, was du getan hast.", spricht Damian und sein Atem bildet Wölkchen in der Luft. „Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn dein Bruder damals nicht in diese Falle getreten wäre und ich dich, Eisprinzessin, niemals kennengelernt hätte."

Ich blicke ihn an, durchforste seine dunklen Augen, welche tief in meine sehen, als wollen sie meine Seele durchwühlen. Das Feuer vor uns flackert in seinen Augen wieder, spiegelt sich daran. Wie das Feuer seiner Seele.

Ich bin in diesem Moment so froh, dass mein Bruder und Euphoria bereits in ihrem Zelt schlafen und unsere Gefährten auf verschiedenen Posten Wache halten. So waren wir ganz unter uns und konnten uns alles von der Seele reden, was uns schon so lange belastet.

„Womöglich würde ich noch immer in diesem Baumhaus leben und mein Schicksal, meine Aufgabe, nicht ernst nehmen.", er lacht rau auf. Doch ich weiß, dass dies kein Witz war. Er meint es vollkommen ernst.

„Was denkst du, was aus Yanik und mir geworden wäre, hätten wir dich nicht entdeckt?", hauche ich mit leiser Stimme. Es ist, als hätte sich eine unsichtbare Hand um meinen Hals gelegt und drückt langsam zu.

„Ich bin ein Monster.", seine Worte sind so hasserfüllt, so voller Selbsthass, dass es mir weh tut.

„Bist du nicht.", hauche ich und schlucke, versuche, den Druck auf mir zu lösen. Versuche, normal zu sprechen. Doch wenn er mir so nah sitzt, seine Körperwärme auf meine dünne Gestalt überschlägt und sein warmer Atem mein Gesicht streift, ist es so, als würde die Zeit stehen bleiben. Als bräuchte ich nichts anderes mehr, als seine Anwesenheit.

„Doch, Katara, ich habe so viel schlimmes getan.", seine Stimme bricht und ich bemerke, wie er versucht, sich in sich zurückzukehren.

„Es ist nicht mehr von Belangen, Damian. Alles was vorher geschah, ist vergessen. Bedeutet nichts mehr. Alles, was noch wichtig ist, ist die Gegenwart. Solange sie noch existiert.", flüstere ich und lege meine Hand auf seine Wange. Keine Ahnung, was mich dazu gebracht hat. Überrascht ziehe ich sie zurück, doch Damian umfasst sie noch zuvor und drückt sie auf sein Gesicht. Seine vollen Lippen drücken einen federleichten Kuss auf meinen Handrücken, genau dort, wo meine Schneeflocke prankt.

„Du hast Recht. Wir wissen nicht, wie lange es diese Welt, so wie wir sie kennen, noch gibt. Wie lange wir noch Zeit haben, um das zu tun.", haucht er und seine tiefe Stimme hinterlässt eine Gänsehaut auf meiner Haut.

„Was denn?", krächtze ich und bemerke, dass meine Stimme immer weniger wird.

Damian beugt sich zaghaft nach vorne, kommt meinem Gesicht immer näher und mir wird schlagartig bewusst, was er vorhatt. Sofort rattert mein Gehirn und malt sich aus, was ich alles falsch machen kann.

Das scheint auch Damian zu bemerken, denn er hält in seiner Bewegung inne. Sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. „Denk nicht so viel nach. Genieß es einfach."

Noch bevor ich über seine Worte nachdenken konnte liegen seine vollen, warmen Lippen auf meinen. Zunächst bin ich noch in einer Schockstarre und halte die Luft an, ehe ich mich entspanne und mich synchron mit seinen Lippen bewege.

Diese Explosion, welche in meinem Magen entsteht, macht mich verrückt. Und das Krippeln meiner Lippen, die an seine gepresst sind, erhöhen mein Verlangen nach mehr.

Wieso hatte ich jemals gedacht, Damian war ein Idiot?

Und auch wenn. Dann war er absofot mein Idiot.

Eiszeit - ein Kampf ums Überleben [WIRD ÜBERARBEITET]Where stories live. Discover now