Alleine im Regen

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Seit Stunden lag ich schon regungslos im Bett und starrte die Wand an, so wie ich es die letzten zwei Wochen getan habe, nachdem ich von der Schule nach Hause kam. Ich hoffe der heutige Tag vergeht schneller als die letzten Tage. Das Wochenende kam mir wie die Hölle vor. Ich hatte keine Lust mehr. Keine Lust mehr irgendetwas wahrzunehmen außer meine bereits brennende Schulter, auf der ich solange verweilen würde, bis ich wieder in die Schule musste. Mir war mittlerweile so einiges egal geworden. Meine Noten, meine Freunde, meine Familie und mein Körper. Ich war gut darin geworden den Hunger zu ignorieren, der mich von innen auffrass. Noch viel schlimmer als der Hunger, fraßen mich aber meine Gedanken auf, die mich nachts wachhielten, obwohl ich todmüde war.
Ich wollte nur vergessen. Alles was ich kannte, alles was ich war. Ich wollte von vorne anfangen. Nochmal geboren werden oder einfach sterben. Das zweite war die andere, viel realistischere Variante zu vergessen und vergessen zu werden.
Das einzige, das mich nämlich daran erinnerte noch zu leben waren meine Mitmenschen, denn spüren konnte ich nichts mehr.
Meine Augen blieben an den gleichen Fleck der Wand gerichtet, als es plötzlich an meiner Zimmertür klopfte.
„Jungkook? Schläfst du?" hörte ich die Stimme meiner Mutter.
Sie war schon wieder da? Es war also schon nach 10 Uhr. Also nur noch 8 Stunden, bis ich wieder aufstehen musste.
Sie trat herein, so wie die vergangenen Tage auch und setzte sich an mein Bett. Ihre schmale Hand legte sich sanft auf meinem Oberarm ab.
„Hör mal Schatz. Ich habe mir Gedanken gemacht. So kann es doch nicht weiter gehen. Ich habe es wirklich versucht, aber mit mir willst du ja nicht reden. Ich will nicht, dass mein Kind verrückt wird.... oder das du leidest. Weist du eigentlich wie es sich anfühlt als Mutter dein Kind so zu sehen? Ich habe Angst um dich."
In dem Moment begann sie wieder zu weinen. Auch das war nichts neues mehr. Es hat vor ein paar Tagen angefangen, als sich einer meiner Lehrer bei ihr gemeldet hat und meinte ich sei nicht mehr ich selbst. Als meine Mutter dann heraus fand, dass ich in meiner letzten Bio-Klausur kein Wort geschrieben habe, nicht mal meinen Namen, ist sie schier zusammen gebrochen.
„Hörst du mir überhaupt zu? Ich rede mit dir. Schau mich doch wenigstens an."
Ein weißer Fleck durchfraß das Gesicht meiner Mutter, als ich meinen Blick zum ersten Mal seit mehreren Stunden von der Wand löste. Erst nach langen Sekunden löste sich das Nachbild der Wand auf dem Gesicht meiner Mutter auf und ich erkannte ihren verschleierten Blick.
Sah sie so auch gestern aus? Und die Tage zuvor?
„Junge ich..." sie räusperte sich „ich denke es ist das beste, wenn ich dich zu einem Psychologen schicke. Vielleicht fällt es dir leichter mit ihm zu sprechen."
Zum ersten Mal seit Tagen spürte ich wieder etwas anderes als einsame Melancholie. Nämlich Panik, die sich in meinem Körper ausbreitete.
„Ich will nicht" schoss es aus mir krächzig hervor. Zu lange hatte ich nicht mehr gesprochen, weshalb meine Stimmbänder es nicht mehr gewohnt waren benutzt zu werden.
„Aber warum denn nicht? Es wird dir gut tun dich auszusprechen."
„Das kann ich auch mit jemand anderem machen."
„Ja, aber das tuest du nicht. Nicht mit mir, nicht mit deinem Vater, deinem Bruder, deiner Schwester. Selbst Tae weis sich nicht mehr zu helfen."
„Ich werde nicht mit einem Psychologen reden."
Ich will mit überhaupt niemandem reden. Ich will nicht irgendjemand etwas erzählen, da ich keine Lust habe meine Gedanken, die sich nur um eine Person drehten laut auszusprechen. Ich kann seinen Namen nicht mehr nennen. Ich kann seinen Namen nicht mehr hören. Ich kann ihn nichtmal mehr denke ohne dass es mir schlecht wird. Ich will dass er sich aus meinem Gehirn löscht.
„Es ist nicht gut, wenn man alles in sich rein frisst."
„Ich. Will. Aber. Nicht." zischte ich meine Mutter an. Meine Atmung ging so schnell wie schon lange nicht mehr.
Ein Knarzen an der Tür, lies mich aufblicken.
Meine Schwester stand in der Tür und schaute besorgt in unsere Richtung.
„Er ist wach?" stellte sie fragend fest, was sie schon wusste.
Meine Mutter nickte. Dann bat sie meine Schwester weiter rein. Sie setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl, den in letzter Zeit nur sie oder Eomma benutzt hatten.
„Ich weis nicht mehr weiter. Er will mit niemandem reden" erklärte meine Mutter, was mich tierisch nervte, da ich anwesend war.
Meine Schwester nickte, das sah ich im Augenwinkel, dann rutschte sie näher zum Bett.
„Kookie, wir machen uns alle sorgen um dich. Weist du du machst uns ganz schön traurig. Ich dachte du würdest uns vertrauen. Wir sind doch deine Familie" ihre Stimme war ruhig. Spuren von Traurigkeit war klar aus ihrem Tonfall zu hören, doch ihre Stimme blieb dennoch stark.
„Und Kookie?" sie wartete einen Moment, bis ich sie tatsächlich ansah.
„Denkst du nicht, es ist langsam an der Zeit?"
Verwirrt blickte meine Mutter sie an.
„Was meinst du?" fragte sie nach und ich spürte Angst meinen Körper erfüllen.
„Irgendwie denke ich, ich weis was los ist. Und ich glaube es hat auch keinen Zweck mehr es weiterhin zu verheimliche, wenn es nur verursacht, dass du weiterhin so leidest."
Geschockt starrte ich sie an. Ohne in der Verfassung zu sein, etwas zu sagen.
„Kookie? Ich verspreche dir es wird besser werden, wenn du es jetzt sagst. Eomma wird dich verstehen. Es ist okay" versuchte meine Schwester mir etwas aus dem Mund zu zaubern, von dem ich beschlossen hatte es für immer weit im inneren meiner dunklen Seele eingesperrt zu lassen. Nach den letzten Wochen wollte ich dieses Thema, dieses Teil von mir nie wieder ausleben oder auch nur ansprechen. Es hat mich zerstört.
„Es ist okay. Du kannst es mir sagen. Ich bin nicht böse" bestärkte jetzt auch meine Mutter, doch ich schwieg weiterhin.
Doch dann passierte es: Der Fehler meiner Schwester, der alle Sicherungen bei mir durchbrennen ließen.
„Erzählt ihr einfach von Jimin."
Ich wusste nicht ob das laute Geräusche meine Zimmertür war, oder doch meine Mutter, die ich auf die Seite geschmissen habe, als sie mir im Weg saß.
Meine Beine brannten, als ich zur Haustür rannte, während mir die Tränen bereits über die Wangen liefen. Ich war froh die Türklinke unter meiner kalten Hand zu spüren, da es mir begann schwarz vor den Augen zu werden. Trotzdem drückte ich sie mit voller Kraft nach unten und zog an ihr, als ich merkte, dass sich nichts rührte. Sie war verschlossen. Ich hörte wie sich mehrere Türen im Haus öffneten, nur nicht die richtige, während ich auf den Boden sank. Mein Kopf sank auf meine Knie, die von meinen Armen umschlungen wurden.
Fußschritte waren nur zu hören, nicht zu sehen, da mir meine Arme, meine Tränen und das Schwarz vor meinen Augen den Blick verwehrten.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?" hörte ich meine Bruder von oben emotionslos feststellen.
Das war das letzte was ich wahrnahm. Alle anderen Stimmen um mich herum wurden lautlos, nur ein Wortfetzen hallte mir durch den Schädel und lies meinen Körper Beben. Nur ein Name, der mich erneut von innen umhüllte und alle meine Sinne zu einem einzigen Chaos verwirbelten. Zeit und Raum spürte ich nicht mehr. Es war alles wie gelähmt. Ich merkte nicht, wie ich weinte, wie ich von meiner Familie verstört beobachtet wurde.
Nichts schien mich mehr aus meiner schwarzen Welt holen zu können. Nichts außer seine Berührung. Und so geschah es auch:
So wie die viele Male zuvor fühlte es sich an, als ich spürte wie seine Hand über meinen Kopf streichelte, sich in meine Haaren kurz verfang und sich dann auf meinen Nacken legte. Seine warme Hand, die mich schon so oft beruhigt hatte, übertrug ihre Wärme auf meinen Körper. Meine Atmung verlangsamte sich und ich spürte die Wasserperlen auf meiner Wange wieder, die die selben Bahnen benutzten wie ihre Vorgänger.
Er ist bei mir. Er ist da.
Hoffnungsvoll hob ich den Kopf an, um in sein schönes trauriges Gesicht zu blicken.
Doch das schöne traurige Gesicht gehörte meiner Schwester. Sie hörte nicht auf mich zu streicheln, mit ihrer Stimme zu beruhigen und mir irgendetwas zu zu sprechen.
Irgendwann schaute sie mich fragend an und ich nickte. Wusste nicht was sie gesagt hat, aber ein Nicken schien die richtige Antwort zu sein. Ihr Blick wand sich kurz von mir ab. Dann lächelte sie mir wieder zu, bevor ich zwei Arme an mir spürte, die mich hoch zogen und mich ins Wohnzimmer auf die Couch führten. Einen Moment lang geschah nichts. Dann wurde mir eine Tasse in die Hand gedrückt, dessen Inhalt ich nur betrachtete und in ihm wie in einem klaren Sternenhimmel versank.
Den Sternenhimmel den ich nur mit ihm zusammen betrachten wollte.
„Kookie" holte mich die Stimme meines Bruders aus den Tiefen meines Tees.
Ich blickte auf und sah in das liebevolle Gesicht meiner Mutter, die sich dicht neben mich setzte.
„Könntet ihr zwei uns kurz alleine lassen?"
Meine Geschwister verschwanden mit einem Nicken.
„Trink... das beruhigt."
Ich tat was sie mir sagte und sie hatte recht. Der Wärme Inhalt fühlte sich gut in meinem Mund an und noch besser in meinem leeren Magen.
„Jungkook" sagte sie so sanft wie noch nie zuvor und gewann so meine Aufmerksamkeit „ist etwas vorgefallen, zwischen dir und Ji..."
Sie stoppte, als sie sah wie ich meine Augen zukniff.
Ziemlich schnell begriff sie, dass ich noch nicht in der Lage war ihr zu antworten, weshalb sie einfach weitere Fragen stellte und wohl auf ein Nicken oder ähnliches hoffte.
„Du magst ihn recht gerne, stimmt's?"
Ich schaute sie nicht an, während ich nickte, da ich Angst vor ihrer Reaktion hatte.
„Und dich mag er auch oder?"
Das war die entscheidende Frage, die ich mir die vergangenen Wochen jede Sekunde stellte. Ich war immer auf ein anderes Ergebnis gekommen, bis in der letzten Zeit eines klar die überhand gewann, welches ich dann auch meiner Mutter durch ein Kopfschütteln mitteilte.
Ein enttäuschtes Schnauben war ihrerseits zu hören.
„Bist du dir sicher?"
Ich nickte.
„Und das macht dich jetzt traurig?"
Ihre Worte gingen mir ziemlich nah, weshalb ich wieder begann zu weinen. Schnell legte sie einen Arm um mich und zog mich in eine Umarmung. Das reicht wohl als Antwort.
In diesem Moment merkte ich auch, wie sehr mir Körperkontakt die vergangenen Wochen gefehlt hat. Es tat gut, sich richtig auszuheulen.
„Ach Schatz, wie gerne würde ich dir deinen Schmerz jetzt abnehmen, aber das geht leider nicht. Das Leben verläuft manchmal anders, als man es sich vielleicht wünscht. Gerade wenn es um ... Gefühle geht, die nicht erwidert werden. Aber lass deswegen den Kopf nicht hängen. Es kommen bessere Tage und Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden. Also bitte tue nicht nur mir, sondern auch dir den gefallen und versuche darüber hinweg zu kommen. Ja ich weis: Leichter gesagt als getan, aber versuche es ja? Es wird sich lohnen."
Ich hörte meiner Mutter genauestens zu und stimmte ihr am Ende mit einem Nicken zu.
Sie lächelte mir zufrieden zu und schaute mich einfach eine Weile an.
„Wie wäre es, wenn ich dir noch etwas zu essen mache?"
Ich zuckte mit den Schultern, was sie als ja verstand.

Maybe more than friends| Jikook Donde viven las historias. Descúbrelo ahora