Senna Quince | Kapitel 15

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Immer noch verwirrt folgten wir Finnick, der uns zu den Aufzügen geleitete. 

Er drückte jedoch nicht auf unsere Etage, sondern auf den obersten, noch über der Etage von Distrikt Zwölf. 

Aufs Dach?

Er wollte aufs Dach?

Maze und ich schauten uns kurz verwirrt an, beschloss aber lieber unseren Mund zu halten und Finnick einfach weiter zu folgen. 

Ich war noch nicht oben gewesen. Erstens war ich mir nicht sicher, ob es überhaupt erlaubt war und zweitens hatte ich nicht wirklich die Zeit dazu gehabt. Entweder ich hatte trainiert oder war halb Tod in mein Bett gefallen. 

Dabei hatte ich jedoch eindeutig etwas verpasst. 

Die Aussicht von oben war atemberaubend. Die Lichter der Stadt, die heute besonders einfallsreich waren, sorgten dafür das alles surreal und unecht wirkte. Die Stimmen der Jubelnden Menschen wehten zu uns herauf und waren doch ganz weit weg. 

Es gab nur uns drei und den Wind. 

Finnick machte es sich auf einer Bank bequem und seufzte genüsslich. 

„Hier hab ich letztes Jahr oft gesessen. Meistens wenn mich die anderen zu sehr genervt hatten. Mags hat mir den Platz empfohlen.“, erzählte Finnick und klopfte einladen neben sich. 

Maze wie ich kamen der Aufforderung nach, wodurch wir eng aneinander gekuschelt auf der kleinen Bank hockten und die Aussicht genießen konnten. 

Einen kurzen Moment hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, ehe Maze sie brach. 

„Das wars also.“, murmelte er. „So kommen wir nie wieder zusammen.“

„Nicht ehe wir alle tot sind.“, stimmte Finnick zu und ich fröstelte. 

Am liebsten hätte ich es auf den kalten Wind geschoben, aber mir war klar, dass nun wohl doch ein wenig die Angst und Nervosität vor morgen einsetzte.

„Hab ich dir eigentlich schon jemals danke gesagt?“, fragte ich Finnick. 

Er schaute mich kurz an und zuckte dann mit den Schultern.

„Wir hatten einen Deal.“

„Das meine ich nicht.“, gab ich schnell zurück, denn er verstand es falsch. „Nicht das du dich um Reeta gekümmert hast. Das du wiederkamst und … mich nicht verabscheut hast.“

„Oh“, meinte er kurz aus der Fassung gebracht. 

Doch schnell war sein Lächeln wieder da und er drückte mich freundschaftlich an sich.

„Bist du wahnsinnig? Am Ende hättest du mich auch noch gekillt.“

„Genau das denken alle von mir oder?“, fragte ich leise.

Es war vielleicht das erste mal, dass ich es mir eingestand. Einerseits war ich stolz immer eine der Besten gewesen zu sein, aber ich hasste es, dass mich alle zu fürchten schienen. Jeder schien zu denken, dass wenn er etwas falsches tat oder sagte, ich ihn gleich umbringen würde. 

Ja ich hatte einen Deal mit Finnick ausgehandelt, welchen ich nicht bereute. Reeta musste so oder so sterben, wenn er wieder nach hause kommen wollte und ich war froh das es er, und nicht Reeta war, die es geschafft hatte. 

Trotzdem war ich kein Monster. Zumindest nicht mehr, als alle anderen im Distrikt. 

Finnick lächelte mich traurig an, was Antwort genug war. Doch Maze wäre nicht Maze, wenn er nicht gleich wieder versuchen würde, mich aufzumuntern. 

„Hey, ich hab nie gedacht, dass du mich killen würdest. Verprügeln vielleicht, aber um mich umzubringen braucht es schon mehr, als dich.“ 

Gespielt beleidigt streckte ich ihm die Zunge entgegen, musste dann aber ebenfalls lachen. 

„Ist doch egal was die denken.“, stimmte nun auch Finnick ein, „Vielleicht fürchten sie dich jetzt aber wenn du die Spiele gewinnen solltest, werden sie dir die Füße küssen. Falls du verlierst... ich glaube, dann interessiert es dich erst Recht nicht mehr.“

Ich boxte ihm in die Seite und er zuckte kurz schmerzhaft zusammen, ehe er wieder grinste. 

„Ich vergess immer, wie fest du zuschlagen kannst.“, stellte er fest, während er seine Rippen massierte. 

„Solltest du als unser Mentor uns nicht eher irgendwelche Tipps geben?“, wollte ich nun wissen. 

Kurz tat er so, als würde er überlegen. 

„Also erst mal solltet ihr schneller als die Anderen sein, damit ihr das Füllhorn vor ihnen erreicht. Training hin oder her, Verzweiflung und Angst sind manchmal gute Faktoren um zumindest Glückstreffer zu landen. Manche haben auch einfach ein Talent für Waffen. Haltet euch gegenseitig den Rücken frei. In der Arena geht es ums nackte Überleben. Niemand wird dort fair kämpfen. Man hat schneller eine Waffe im Rücken, als man schauen kann. Ich würde euch raten, immer abwechselnd in den Wachen zu sein. Schlaft niemals beide.“

„Vertraust du unserem Bündnis nicht?“, fragte nun Maze berechtigt und Finnick seufzte. 

„Wir wissen alle warum. Bis letztes Jahr waren Distrikt Eins, Zwei und Vier ein eingeschworenes Team. Die ungeschriebenen Regeln standen fest. Wir halten zusammen, bis nur noch wir übrig sind. Dann kämpfen wir gegen einander.“

„Aber du hast diese Regel gebrochen.“, murmelte ich leise. 

Finnick nickte. 

„Nicht nur, dass ich nicht bei ihnen mitgemacht hatte, ich hatte dazu auch noch Reeta gleich am Füllhorn getötet und sie mir einer nach dem anderen geholt. Die Regeln sind seit letztem Jahr gebrochen. Die Frage ist, wie sehr die anderen noch an ihnen hängen oder ob es so etwas einfach nicht mehr gibt. Also ist sich jeder selbst am nächsten. Jemand könnte versuchen euch jederzeit auszuschalten.“

Das gleiche hatte ich ebenfalls befürchtet. Es jetzt aber aus Finnicks Mund zu hören, machte es jedoch nur um so realer. 

„Dann passen wir eben auf einander auf.“, meinte Maze. Er war ein ewiger Optimist, „Schließlich haben wir auch einen Deal, nicht war Senna?“

Mein Blick huschte zu ihm und er grinste mich an. 

Ich konnte nicht anders, als es zu erwidern. 

„Natürlich. Wir halten zusammen, bis nur noch wir beide da sind.“

„Und einer wird gewinnen.“, fügte er hinzu und klopfte auf Finnicks Schulter, „Einer muss ja auf dich aufpassen, damit du nicht zu viel Mist baust.“

Finnick lachte kurz auf, aber ich sah, dass das Lächeln nicht wirklich seine Augen erreichte. 

Ja, einer von uns musste wirklich für ihn gewinnen. 

Wir blieben noch eine ganze Weile oben auf dem Dach und lauschten den Geräuschen der Stadt, die von unten zu uns herauf wehten. Irgendwann hing jedoch jeder seinen eigenen Gedanken nach. Um so weiter die Nacht voranschritt, um so bewusster wurde mir, dass ich das alles vielleicht nie wieder sehen würde. 

Meinen Vater. Das Meer. Finnick. 

Im Gegenzug zu den meisten anderen Jugendlichen hatte ich diese Entscheidung jedoch selber getroffen. Ich hatte nicht bis zur letzten Sekunde gehofft, nicht gezogen zu werden, sondern hatte mich intensiv darauf vorbereitet. Wenn ich es so nicht schaffte, dann sollte es wohl einfach nicht sein.

Als wir beinahe schon auf der Bank einschliefen, gingen wir schweigend in unsere Etage zurück. 

Doch Maze und ich gingen nicht in unsere Zimmer. 

Finnicks Bett war groß genug, wodurch wir uns alle drei eng zusammen kuschelten. 

Schließlich waren es nun wirklich die letzten Stunden, die wir so zusammen waren, wie Finnick so schön gesagt hatte. 

Zumindest bis wir alle Tod wären.

Senna Quince | Geboren um zu töten Where stories live. Discover now